Illustration die Professor Dr. Christian Drosten und Professorin Dr. Sandra Ciesek zeigt.
Martin Rümmele

Hochschullehrer des Jahres 2021
"Jeder sollte seinen Beitrag leisten"

Professor Drosten und Professorin Ciesek sind die Hochschullehrer des Jahres 2021. Ein Gespräch über Corona und Kommunikation.

Von Friederike Invernizzi 03.05.2021

Als Protagonisten des NDR-Podcasts "Coronavirus Update" kommunizieren Professor Drosten und Professorin Ciesek seit Beginn der Covid-19-Pandemie Woche für Woche neue Erkenntnisse der Corona-Forschung, um in Krisenzeiten sachbezogen zu informieren. Dafür werden sie gelobt, aber häufig auch kritisiert. Dieses öffent­lichkeitswirksame Auftreten will der DHV mit der Auszeichnung Hochschullehrer des Jahres würdigen. Erstmalig geht der Preis gleichzeitig an zwei Personen.

Forschung & Lehre: Frau Professor Ciesek, Herr Professor Drosten, Sie sind vom DHV als exzellente Protagonisten der Wissenschaftskommunikation geehrt worden. Wo und wie haben Sie das gelernt?

Sandra Ciesek: Eine Fortbildung in Wissenschaftskommunikation in dem Sinne habe ich nie gemacht, aber ich habe schon immer gerne Dinge verständlich erklärt. In der zwölften Klasse mussten wir bei einer Berufsberatung im Arbeitsamt Fragen beantworten. Es ging darum herauszufinden, welcher Beruf für uns der richtige sein könnte. Bei mir kam damals heraus, dass ich ideal dafür geeignet sei, später einmal Beipackzettel für Medikamente zu schreiben. Schon zu dem Zeitpunkt habe ich gerne geschrieben und konnte komplizierte Dinge einfach erklären. Das hat sich später fortgesetzt. In den Jahren, in denen ich in der Inneren Medizin gearbeitet habe, musste ich Patienten medizinische Sachverhalte laienverständlich erklären. Und auch in der universitären Lehre lernen die Studierenden die Inhalte am besten, wenn sie sie leicht verstehen. So habe ich eine gewisse Routine entwickelt.

Christian Drosten: Das eignet man sich eigentlich in der Lehre fast schon zwangsläufig an. Bei der Betreuung von neuen Doktoranden oder Master-Studierenden im Labor ist eine kompakte und verständliche Kommunikation wirklich wichtig. Schließlich haben sie aus nachvollziehbaren Gründen oft nur eine allgemeine Fachkenntnisse.

F&L: Welche Herausforderungen warten auf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, wenn sie Ihre Forschungsergebnisse an die Öffentlichkeit bringen wollen beziehungsweise müssen?

Sandra Ciesek: Die Herausforderungen können ganz unterschiedlich sein. Das kann man auch gut an uns Virologinnen und Virologen festmachen. Vor zwei Jahren bestand für uns noch die größte Herausforderung darin, in der Öffentlichkeit überhaupt ein Interesse an unseren Erkenntnissen zu wecken. Aktuell stellt sich für uns eher die Herausforderung, alle Aussagen sehr genau abwägen zu müssen, weil unbedachte Äußerungen aufgrund der großen Aufmerksamkeit schnell hohe Wellen schlagen.

Christian Drosten: Dem schließe ich mich an.

Illustration, die Professor Dr. Christian Drosten zeigt.
Professor Dr. Christian Drosten ist Direktor des Instituts für Virologie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Martin Rümmele

F&L: Stehen wissenschaftliche Komplexität und Verständlichkeit in einem sporadischen oder einem dauernden Streit?

Christian Drosten: Die starke Vereinfachung, die zur Information der Öffentlichkeit notwendig ist, führt leider manchmal auch zu falschen Vorstellungen. Infektionsforschung ist nicht so einfach, wie wir sie in der Öffentlichkeit darstellen müssen. Da die Wissenschaftsinhalte in diesen Tagen für viele Menschen alltagswichtig werden, kommt es manchmal zu bedauerlichen Trugschlüssen in der öffentlichen und politischen Debatte. Spätestens hieran sieht man, wo die Grenze der Vereinfachung liegt. Ein bisschen Zeit für Inhalte muss schon sein.

Sandra Ciesek: Nicht grundsätzlich, würde ich sagen. Man kann auch komplexe Themen in so einfacher Sprache ausdrücken, dass sehr viele Menschen das verstehen können. Aber natürlich muss beim Zuhörer auch die Bereitschaft da sein, sich auf ein komplexes Thema einzulassen – man kann nicht alles in 30 Sekunden erklären. Doch wenn man sich die Zeit nimmt, lässt sich auch Komplexität verständlich machen. 

F&L: Fühlen Sie eine Verantwortung für Ihr Fach zu sprechen oder sprechen Sie nur für sich?Sandra Ciesek: Als Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Virologie ist mir bewusst, dass ich auch Repräsentantin unseres Faches bin. Nichtsdestotrotz geben meine fachlichen Einschätzungen zunächst mal nur meine eigene Position wieder. Aber natürlich achtet man darauf, dass hier keine Widersprüche zwischen den eigenen Einschätzungen und der Funktion entstehen.

Christian Drosten: Ich nehme nicht für mich in Anspruch, stellvertretend für mein Fach zu sprechen. Mir ist es wichtig, zu kommunizieren, was wissenschaftlicher Konsens ist. Wenn ich zu einer Frage meine ganz persönliche Meinung äußere, dann nur, weil es keinen Konsens gibt. Dann mache ich dies auch klar kenntlich.

"Wirklich schädlich wird es, wenn sich politische Entscheider hinter Aussagen von Wissenschaftlern verstecken." Christian Drosten

F&L: Wie steht es mit der Verantwortung für die Richtigkeit Ihrer Aussagen, an der mittelbar Leben und wirtschaftliche Existenzen hängen. Macht man sich das in jedem Moment bewusst?

Sandra Ciesek: Ja, für mich ist immer klar, worum es hier geht. Natürlich sollte man sich nicht zu sehr unter Druck setzen. Aber ich bin mir definitiv bewusst, dass ich mit meinen Äußerungen auch eine Verantwortung trage.Christian Drosten: Verantwortung für die Richtigkeit einer Aussage kann man durchaus tragen. Für Leben und Existenzen kann man das nicht, denn hier stehen zwischen Wissenschaft und den Leidtragenden die Entscheider, in erster Linie die Politik. Mitunter gerät man als Wissenschaftler durch Zuschreibungen und unklare Darstellung der Kräfteverhältnisse in eine schwierige Rolle: Man soll Verantwortung tragen, hat aber wenig Einfluss, geschweige denn Gestaltungsmacht. Wirklich schädlich wird es, wenn sich politische Entscheider hinter Aussagen von Wissenschaftlern verstecken. 

Illustration, die Professorin Dr. Sandra Ciesek zeigt.
Professorin Dr. Sandra Ciesek ist Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt. Martin Rümmele

F&L: Sie haben auch ordentlich Kritik einstecken müssen. Wie sind Sie damit umgegangen?

Christian Drosten: In den Fällen, in denen mich Kritik erreicht hat, habe ich diese immer ernst genommen und in einigen Fällen meine Position ja auch revidiert. Insgesamt gab es aber wenig Kritik an meiner Arbeit oder meinen Aussagen. Ich bin auf der persönlichen Ebene angegriffen worden und werde dies noch immer. Das hat mit Kritik allerdings nichts zu tun.  

Sandra Ciesek: Es gibt sehr unterschiedliche Formen von Kritik. Sachlich fundierte und konstruktive Kritik auf der einen Seite und auf der anderen Seite auch sehr unsachliche. Die erste Form nehme ich gerne an und habe auch kein Problem damit, meine Meinung zu revidieren – das ist Teil guter Wissenschaft. Unsachliche und persönliche Kritik versuche ich, einfach nicht an mich ranzulassen, aber ganz leicht ist das nicht immer.

F&L: Hat Sie das letzte Jahr etwas über Ihre Mitmenschen oder etwas über Sie selbst gelehrt?

Sandra Ciesek: Mein Eindruck ist, dass die öffentliche Auseinandersetzung insgesamt viel schärfer geworden ist im Verlauf der Pandemie. Das scheint mir in vielen Fällen nicht unbedingt sachliche Gründe zu haben, sondern die Ungeduld ist einfach deutlich gewachsen. Wahrscheinlich ist diese Erkenntnis nicht neu, dass in einer Ausnahmesituation der Geduldsfaden mit der Zeit immer kürzer wird. Die Pandemie scheint das aber noch einmal eindrucksvoll zu bestätigen. Ich wünsche mir, dass wir alle noch etwas Geduld aufbringen – schließlich sehen wir mittlerweile schon Licht am Ende des Tunnels.

Christian Drosten: Ich wundere mich über die Langmut und die Einsichtsfähigkeit der Vielen und die Aggressivität der Wenigen.

F&L: Sehnen Sie sich bisweilen zu Ihrem Leben vor Corona zurück?

Christian Drosten: Dazu müsste ich erst wissen, wie mein Leben nach Corona wird.

Sandra Ciesek: Na klar würde auch ich gerne wieder mehr Freunde und Familie treffen, einen Kaffee trinken gehen oder verreisen.

F&L: Haben Sie einen Preis das letzte Jahr gezahlt?

Sandra Ciesek: Ich habe noch nie in meinem Leben so viel gearbeitet wie im vergangenen Jahr, das ist schon derzeit alles sehr intensiv und vereinnahmend. Natürlich kommen da andere Dinge – vor allem im privaten Bereich – zu kurz.

Christian Drosten:
Viele haben im letzten Jahr Einbußen hingenommen, Preise gezahlt und Verluste erlitten, sowohl persönlich als auch wirtschaftlich. Einige haben massiv von der Pandemie profitiert. Ich hätte das ganz klar auch tun können, habe mich aber bewusst dagegen entschieden. Dies wiegt für mich den Preis auf, den ich durch meine öffentliche Rolle gezahlt habe.

"Natürlich gibt es Momente, in denen man wirklich keine Lust mehr hat. Aber wir stecken alle gemeinsam drin in dieser Lage und jeder sollte seinen Beitrag leisten." Sandra Ciesek

F&L: Was würden Sie in der Rückschau anders machen?

Sandra Ciesek: Sicher denkt man sich hier und da, dass wäre jetzt nicht unbedingt nötig gewesen oder an der Stelle hätte ich vielleicht etwas anderes sagen sollen. Im Großen und Ganzen bin ich aber mit meinen Entscheidungen im Reinen.

Christian Drosten: Darüber kann ich mir erst gegen Ende des Jahres ein Urteil bilden.

F&L: Gab es einen Moment, an dem Sie am liebsten hingeschmissen hätten?

Christian Drosten: Nein. Nie.

Sandra Ciesek: Natürlich gibt es Momente, in denen man wirklich keine Lust mehr hat. Aber wir stecken alle gemeinsam drin in dieser Lage und jeder sollte seinen Beitrag leisten. Ich bin allen dankbar, die zum Beispiel als Ärztinnen oder Pflegekräfte COVID-19-Patienten betreuen oder in Gesundheitsämtern Kontakte nachverfolgen. Die können auch nicht einfach hinschmeißen. Deswegen mache ich auch meinen Job – auch wenn das nicht immer nur Spaß macht.

F&L: Haben Sie eindrückliche und schöne Momente im letzten Jahr erlebt, die Sie ohne Corona nicht gehabt hätten?

Sandra Ciesek: Ich finde, die Wissenschaft hat in der Pandemie wahnsinnig viel in kurzer Zeit erreicht. Forscherinnen und Forscher auf der ganzen Welt haben Impfstoffe entwickelt und auch sonst haben wir sehr viel über das Virus gelernt: über die Übertragungswege, Krankheitsverläufe oder Mutationen. Das alles ist in atemberaubender Geschwindigkeit passiert, weil die Möglichkeiten der globalen Vernetzung genutzt wurden wie noch nie zuvor. An diesem ganzen Prozess der Wissensgenerierung beteiligt zu sein, ist schon immer wieder eine sehr spannende Erfahrung.

Christian Drosten: Ja, aber ohne die Pandemie hätte ich wohl mehr schöne Momente erlebt. Das ist bei mir wie bei fast allen Menschen so.