Zwei Männer betrachten ein Bauteil
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Doktortitel
Ein Plädoyer für die Promotion als Ingenieur

Promovierte Ingenieurinnen und Ingenieure sind besonders stolz auf ihren Dr.-Ing. Warum ist das so?

Von Hans-Ulrich Heiß 25.02.2019

Der Doktor-Ingenieur wurde 1899 eingeführt von Kaiser Wilhelm II. im Rahmen der Verleihung des Promotionsrechts an die Technischen Hochschulen in Preußen. Die anderen Gliedstaaten des Deutschen Reiches zogen unmittelbar nach. Aus Rücksichtnahme auf Empfindlichkeiten der klassischen Universitäten verzichtete man auf einen latinisierten Doktorgrad und verwendete stattdessen die deutsche Schreibweise mit dem Bindestrich. Ist dies nun die einzige Besonderheit, die den Dr.-Ing. von anderen unterscheidet? In den letzten Jahren wurden dazu einige Erhebungen durchgeführt, deren wesentliche Ergebnisse kurz dargestellt werden sollen.

85 Prozent der Promovierenden arbeiten in Vollzeit

Die Promotionsquote (Anteil der Absolventen, die eine Promotion anschließen) von ca. 20 Prozent ist vergleichbar mit anderen Fächern, die Promotionsdauer mit gut fünf Jahren relativ hoch und der Frauenanteil mit 19 Prozent deutlich unterdurchschnittlich, allerdings auf gleichem Niveau wie bei den Studierenden. Auffallend ist, dass circa 85 Prozent der Doktorandinnen und Doktoranden während der Promotion in einem Vollzeit-Arbeitsverhältnis mit ihrer Universität stehen (Assistenz-Promotion), davon zwei Drittel über Projekte finanziert (DFG, BMBF, EU, Industrie). Lediglich eine kleine Minderheit nutzt strukturierte Promotionsprogramme oder promoviert extern.

Während dieser Zeit können sich die Doktorandinnen und Doktoranden nicht ausschließlich ihrer Promotion widmen, sondern sind auch mit anderen Dingen beschäftigt, zum Beispiel mit der Lehre. So wird typischerweise eine Grundlagenvorlesung mit einigen Hundert Studierenden durch Kleingruppenübungen begleitet, die von studentischen Tutoren geleitet werden. Die Planung und Organisation (Zeiten, Räume, Personal), die Anleitung der Tutoren, die Administration von Lernplattformen obliegen den zuständigen Mitarbeitern.

Auch in die Promotionsprojekte sind oft Studierende mit Abschlussarbeiten oder als wissenschaftliche Hilfskräfte eingebunden. Daraus ergeben sich erste Führungs- und Managementerfahrungen. Es wird zudem erwartet, dass Teilergebnisse der Promotion bereits vorab publiziert werden. Dies geschieht häufig durch Vorträge auf internationalen Konferenzen. Beteiligung bei der Beantragung neuer Forschungsprojekte, Kooperation mit Forschungspartnern innerhalb und außerhalb der Universität runden den Kreis der Tätigkeiten ab.

Nach fünf Jahren hat die Doktorandin oder der Doktorand nicht nur neue wissenschaftliche Erkenntnisse generiert, sondern eine Reihe von Fähigkeiten erworben, die für Führungsaufgaben in der Industrie qualifizieren. Nur zehn Prozent der Promovierten verbleiben an der Universität, um eine akademische Karriere anzustreben, während 90 Prozent direkt in die Industrie gehen. Die Industrie honoriert dieses spezifische Kompetenzprofil durch höhere Einstiegsgehälter und zügige Übertragung von Personalverantwortung. Einige derjenigen, die in führende Positionen in Forschung und Entwicklung gelangen, kehren dann wieder auf Professuren in die Universität zurück. Dies stellt sicher, dass Lehre und Forschung an Universitäten relevant für die Praxis bleiben.

Ingenieurpromotion im Ausland

In anderen Ländern funktioniert die Kooperation zwischen Universität und Industrie weniger gut. Dort hat man vereinzelt durch neue leichtgewichtige Promotionsformen versucht, dies zu verbessern. Während der britische Doctor of Engineering (EngD) in der Regel noch in der Anfertigung einer Thesis besteht, platziert sich das niederländische Professional Doctorate in Engineering (PDEng) bezüglich der wissenschaftlichen Anforderungen bewusst unterhalb des Ph.D.. Das 2-Jahresprogramm umfasst 120 ECTS-Punkte und endet mit einem industriellen Abschlussprojekt.

Es mag durchaus sein, dass ein solches Programm für Industriekarrieren sinnvoll ist. Wenn jedoch die Kernforderung an eine Promotion, nämlich neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen, aufgegeben wird, sollte auch kein Doktortitel verliehen werden, der ja dann auf der gleichen Stufe steht wie ein forschungsorientierter Ph.D. oder ein deutscher Dr.-Ing.. (Man muss den Fehler in der Medizin nicht noch in anderen Fächern wiederholen.) Der Versuch, das PDEng-Programm auch noch als Europäischen Standard für die Ingenieurpromotion zu etablieren, hatte dann auch entsprechende Widerstände ausgelöst.

Zehn Qualitätsmerkmale der Ingenieurpromotion

Bei aller Notwendigkeit, einige Qualitätsaspekte des Dr.-Ing. und seiner Betreuung zu verbessern, sind sich Promovierende, Betreuende und Industrievertreter darin einig, dass die Kernelemente erhalten bleiben sollen, die von 4ING in zehn Prinzipien niedergelegt wurden:

  1. Kern der Promotion ist die eigene, selbstständige und originäre Forschungsleistung, die wesentlich zum Erkenntnisfortschritt im jeweiligen Fach beiträgt.
  2. Der Doktorand oder die Doktorandin ist in ein wissenschaftliches Umfeld mit anderen Forschern und Forscherinnen eingebunden und wird von einem Professor oder einer Professorin angeleitet.
  3. Die Promotion (dritter Zyklus im Bologna? Prozess) ist Berufstätigkeit als Nachwuchsforschender, sie ist kein Studium.
  4. Die Ausbildung zum Forschenden findet vor der Promotionsphase im ersten und zweiten Studienzyklus (Bachelor und Master) statt.
  5. Die individuelle Leistung des Doktoranden/ der Doktorandin muss erkennbar sein. Sie wird in der Regel durch eine schriftliche Dissertation nachgewiesen.
  6. Die Fakultät bestimmt hervorragend ausgewiesene Wissenschaftler/innen ihres Faches, welche die wissenschaftliche Leistung des Doktoranden/der Doktorandin begutachten. Einer der Gutachter soll als Betreuer des Doktoranden mit der Genese der Arbeit vertraut sein. Ein weiterer Gutachter soll nicht in die Betreuung der Arbeit involviert gewesen sein.
  7. Das Promotionsverfahren schließt mit einer mündlichen Prüfung ab, die zusammen mit der Dissertation eine differenzierte Aussage über die Leistung des Doktoranden/der Doktorandin erlaubt.
  8. Die Dissertation muss publiziert werden, auch damit sie öffentlich kritisierbar ist.
  9. Nur die Universitäten sind Träger des Promotionsrechts.
  10. Innerhalb der Universitäten übernehmen die Fakultäten die Verantwortung für die Qualität der Promotionsverfahren. Die Fakultäten haben geeignete Systeme zur Qualitätssicherung des transparenten Zugangs zu Promotionsverfahren, zur Gewährleistung einer adäquaten Betreuung in Promotionsverfahren und zur Begutachtung der wissenschaftlichen Arbeit. Diese Systeme sollen in Promotionsordnungen beschrieben sein.


Mit diesen Prinzipien stehen die deutschen Ingenieurfakultäten sowohl auf der Grundlage der europäischen Empfehlungen (Salzburg II Recommendations der EUA) als auch in weitgehender Übereinstimmung mit ihren europäischen Kolleginnen und Kollegen und deren Organisationen, die mehrheitlich eine stärkere Strukturierung und Regulierung der Promotionsphase (Bologna 3rd cycle) ablehnen.

Professor Dr. Hans-Ulrich Heiß war von 2015 bis 2016 Vorsitzender von 4ING, Dachverband der Fakultätentage der Ingenieurwissenschaften und der Informatik.

Zuerst erschienen in Forschung & Lehre 6/15

Ingenieurwissenschaften

Schwerpunkt der Ausgabe 3/19 von Forschung & Lehre