Verleihung der Fields-Medaille
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Fields-Medaillen-Gewinner
Und doch erst am Anfang

Peter Scholze hat mit 30 Jahren die höchste Auszeichnung in der Mathematik erhalten. Im Interview spricht er über seine Arbeit und die Wissenschaft.

Von Katrin Schmermund 03.09.2018

Forschung & Lehre: Herr Professor Scholze, schon kurz nach der Verleihung der Fields-Medaille haben Sie gesagt, dass Sie froh sind, wenn der ganze Rummel um Ihre Person vorbei ist und Sie mit Ihrer Forschung weitermachen können. Was liegt denn gerade so auf Ihrem Schreibtisch?

Peter Scholze: Einiges. Konkret gibt es ein ziemlich großes Projekt, mit dem ich vor vier Jahren angefangen habe und vielleicht gehofft hatte, dass ich beim Kongress schon etwas davon vorstellen kann. Daran werde ich weiterarbeiten. Und dann gibt es noch viele andere Ideen, denen ich nachgehen will.

F&L: Sie schätzen, dass höchstens zehn Mathematiker Ihre Forschung zwischen Zahlentheorie und algebraischer Geometrie in allen Details nachvollziehen können. Trotzdem diese eine Frage zum Inhalt Ihrer Forschung: Worum geht es bei diesem Projekt – können Sie vielleicht einen Teilaspekt herausgreifen?

Peter Scholze: Es ist ein Teil des großen Langlands-Programms. Hierbei werden Verbindungen zwischen Zahlentheorie und harmonischer Analysis postuliert, wodurch sich potenziell Aussagen von einem in das andere Gebiet übersetzen lassen. Ich habe jetzt, aufbauend auf meinen Arbeiten zur "p-adischen Geometrie", einen direkten Weg gefunden, um von der harmonischen Analysis in die Zahlentheorie zu gelangen.

F&L: Wie gehen Sie in Ihrer Forschung vor?

Peter Scholze: Es ist immer ein Wechselspiel zwischen den grundlegenden Strukturen, die ich verstehen will, und einer konkreten Frage. Es macht keinen Sinn, etwas nur abstrakt zu analysieren. Grundlegende Strukturen finde ich zum Beispiel dadurch, die Arbeit von Kollegen zu studieren und zu versuchen zu verstehen, was im Innersten dahintersteckt.

F&L: Auch Ihnen fallen die Lösungen für komplexe mathematische Probleme nicht einfach zu. Ihre Forschung verlangt Hartnäckigkeit, teils über Jahre. Wie lange grübeln Sie am Stück, nachdem Sie morgens im Büro angekommen sind?

Peter Scholze: Möglichst lange (lacht). Ich könnte den ganzen Tag nur dasitzen und für einen Außenstehenden passiert nichts. Das ist auch wichtig. Ich brauche Zeit, um unbegrenzt nachdenken zu können.

Prof. Dr. Peter Scholze
"Ich habe mit meiner Forschung doch gerade erst angefangen", sagt Peter Scholze, Hausdorff Chair am Hausdorff-Zentrum für Mathematik (HIM) in Bonn und Direktor am Max-Planck-Institut für Mathe­matik (MPIM). Günther Ortmann

F&L: Was macht dabei Ihre Faszination für die Mathematik aus?

Peter Scholze: In einem gewissen Sinne bin ich Platonist. Ich möchte mathematische Strukturen entdecken, die unabhängig von den äußeren Umständen einfach da sind, und sie möglichst klar und einfach beschreiben. Dabei werde ich immer wieder von der Einheit der Mathematik überrascht, von der Relevanz von Geometrie, Topologie, Analysis und anderen Teilgebieten der Mathematik für die ganzen Zahlen.

F&L: Neben der Forschung steht auch bei Ihnen die Lehre auf dem Programm. Wie gestalten Sie als vergleichsweise junger Professor Ihre Veranstaltungen?

Peter Scholze: Meine Lehre ist noch ganz klassisch an der Tafel. Dabei versuche ich, den Inhalt, den ich vermitteln will, möglichst gut zu erklären, ohne irgendwelche Medien. Ich habe das Glück, dass ich in Bonn viele Lehrveranstaltungen zu Themen geben kann, die mich selbst interessieren und bei denen nur eine relativ kleine Gruppe von Studierenden dabei ist. So ist der ganz persönliche Kontakt möglich.

F&L: Momentan wird viel über eine mangelnde oder gar fehlende Studierfähigkeit von Absolventinnen und Absolventen diskutiert – gerade auch mit Blick auf das Fach Mathematik. Wie sehen Sie das?

Peter Scholze: Darüber mache ich mir zwar auch Gedanken, kann mir aber noch kein Urteil erlauben.

"Es war vermutlich günstig, dass damals die Bologna-Reform noch nicht richtig umgesetzt war." Peter Scholze

F&L: Sie hatten als Schüler und später als Student auch das Glück, dass Lehrer und Dozenten erkannt haben, wo Ihre Talente stecken, und sie gefördert haben. Welchen Barrieren standen Ihre Förderer und Sie dabei gegenüber?

Peter Scholze: Während meiner Schulzeit habe ich bereits Vorlesungen und Seminare an der Universität besucht, allerdings keine Scheine gemacht. Nach meinem Abitur hatte ich dann zwar viel Wissen, aber wenig formale Leistungen. Ich hatte das Glück, dass in Bonn eine unbürokratische Lösung gefunden wurde; es war vermutlich günstig, dass damals die Bologna-Reform noch nicht richtig umgesetzt war.

F&L: Haben Sie denn auch strukturelle Schwachstellen des Wissenschaftssystems mitbekommen, die man verbessern müsste?

Peter Scholze: (denkt lange nach) Ich bin noch zu jung, um hier allgemeine Ratschläge zu geben.

F&L: Sie arbeiten am Bonner Hausdorff-Zentrum für Mathematik, das durch Geld der Exzellenzinitiative von Bund und Ländern als Exzellenzcluster aufgebaut werden konnte und explizit "herausragende Forschung" in der Mathematik fördern soll. Wie beurteilen Sie solche Center als "Ausgliederung" aus dem übrigen Universitätsbetrieb?

Peter Scholze: Das Center konnte durch die Exzellenzinitiative entstehen, aber die Universität Bonn hat auch vorher schon einen Schwerpunkt auf die Mathematik gelegt. Ich halte solche Einrichtungen für wichtig, um international konkurrenzfähig zu sein. Man muss aber aufpassen, dass die Verwaltung nicht zu groß wird.

F&L: Angebote von international renommierten Hochschulen wie Harvard, Princeton oder dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) haben Sie bisher abgelehnt. Was hält Sie in Bonn?

Peter Scholze: Ich habe gute Kollegen, es gibt eine gute Förderung. Bonn ist ein sehr vibrierendes mathematisches Umfeld. Das ist auch historisch gewachsen. Außerdem mag ich an der Stadt, dass ich alles gut mit dem Fahrrad erreichen kann, und ich fühle mich kulturell verankert in Deutschland.

F&L: Ihnen ist die Grundlagenforschung wichtig – ohne direkten Anwendungsbezug. Inwieweit sehen Sie sich dabei in der Mathematik eingeschränkt?

Peter Scholze: Eigentlich gar nicht.

F&L: Wie steht es um den Publikationsdruck?

Peter Scholze: In meinem Fachgebiet, der Zahlentheorie – und vielleicht allgemein in der Mathematik – wird generell relativ langsam publiziert. Eine hochkarätige Arbeit zählt wesentlich mehr als viele schwächere Arbeiten. Aber natürlich muss man in der Wissenschaft auch Ergebnisse erzielen, und auch ich spüre natürlich nicht zuletzt den eigenen Druck, der einen da immer weiter treibt.

Peter Scholze – zur Person

Kindheit und Schulzeit
Peter Scholze (30) wurde als Sohn einer Informatikerin und eines Physikers in Dresden geboren und zog kurz danach mit seiner Familie nach Berlin. Dort besuchte er später das mathematisch-naturwissenschaftliche Heinrich-Hertz-Gymnasium in Friedrichshain.

Schon in der Schule wurde sein außergewöhnliches Talent erkannt. Mit 16 Jahren schickte ihn sein Lehrer zu Professor Klaus Altmann, Heinrich-Hertz-Absolvent und mittlerweile Professor für Mathematik an der Freien Universität Berlin, bei dem er neben der Schule Veranstaltungen besuchte.
Studienzeit, Promotion und Habilitation
Professor Klaus Altmann verwies Scholze zum Studium an seinen späteren Doktorvater Professor Michael Rapoport von der Universität Bonn, ebenfalls Heinrich-Hertz-Absolvent. Dieser sagt heute, er könne Scholzes Beweise für seine eigenen Theorien nachvollziehen, wäre aber nie selbst darauf gekommen. Scholze habe das "Mathematik-Gen", was aber nicht bedeute, dass auch er nicht vor unlösbaren Problemen stünde.

Die Universität Bonn erließ Scholze viele Pflichtveranstaltungen, sodass er in fünf Semestern Bachelor und Master abschließen konnte. Promoviert wurde Scholze mit 24 Jahren und erhielt im selben Alter den Ruf zum damals jüngsten W3-Professor Deutschlands am Hausdorff-Zentrum. Seit kurzem ist er außerdem Direktor des Bonner Max-Planck-Instituts für Mathematik.
Forschung
Zu seiner Forschung zwischen Zahlentheorie und algebraischer Geometrie führte Scholze mit 16 Jahren der Versuch, den Beweis des "Großen Fermatschen Satzes" nachzuvollziehen. Vor mehr als 350 Jahren hatte Pierre de Fermat behauptet, dass sich die Gleichung x^n+y^n=z^n nicht mit ganzen Zahlen (außer der Null) lösen lasse, wenn n größer als zwei ist. Der Beweis gelang Andrew Wiles 1994.

Neben der Fields-Medaille 2018 wurde Scholze unter anderem mit dem Leibniz-Preis 2016 ausgezeichnet. Den mit 100.000 US-Dollar dotierten Junior-Preis "New Horizons in Mathematics" von Mark Zuckerbergs "Break­through"-Stiftung lehnte er im selben Jahr ab.

F&L: Neben wissenschaftlichen Publikationen wächst auch der Ruf nach mehr Wissenschaftskommunikation, der Vermittlung der eigenen Forschung an die Bevölkerung. Sie sind nicht bei Twitter und kommunizieren Ihre Wissenschaft auch sonst nicht sonderlich nach außen. Wie denken Sie über Wissenschaftskommunikation?

Peter Scholze: In der Grundlagenforschung ist es einfach schwierig. Ich habe keine Ideen, wie man meine Forschung verständlich machen könnte. Ein Gebiet, das der Mathematik sehr nahe ist, ist die Theoretische Physik. Das ist schon viel besser zu kommunizieren, zum Beispiel, dass es diese ganzen kleinen Teilchen gibt, die etwas Lustiges tun, und dann gibt es diesen Riesenbeschleuniger, der etwas Komisches tut. Das ist dann spannend.

F&L: Glauben Sie, dass Forschungsfelder wie Ihres durch eine fehlende Kommunizierbarkeit gegenüber anderen in den Schatten gerückt wird?

Peter Scholze: In der öffentlichen Wahrnehmung sicherlich, aber das stört mich nicht. Ich sehe mich nicht in Konkurrenz mit den anderen Wissenschaften.

F&L: Kolleginnen und Kollegen schätzen Ihre offene und lockere Art. Auch Sie betonen, sich gerne auf dem Gang oder beim Mittagessen in der Mensa auszutauschen. Was berichten Sie denn aus Ihrer Forschung, die doch nur wenige verstehen?

Peter Scholze: Mathematik ist eine sehr soziale Wissenschaft. Wir reden viel miteinander. Dabei achte ich natürlich darauf, womit sich jemand beschäftigt und über was ich fachlich diskutieren kann. Und versuche so, dass ein paar Leute mehr meine Forschung verstehen.

F&L: Was haben Sie von Kolleginnen und Kollegen gelernt?

Peter Scholze: Das sind viele Dinge, zum Beispiel wie man einen guten Vortrag hält.

F&L: Sie haben einmal gesagt, Ihr wissenschaftliches Vorbild sei der 2014 verstorbene Mathematiker Alexander Grothendieck. Auch er gewann die Fields-Medaille, galt als Jahrhundertgenie. Was macht diesen Wissenschaftler für Sie aus?

Peter Scholze: Er ist das Beispiel par excellence für jemanden, der einfach versucht hat, die Grundlagen der Mathematik komplett richtig zu verstehen. Er hat die algebraische Geometrie auf ein völlig neues Fundament gestellt. Ohne seine Definitionen und Einsichten wäre die Forschung in vielen angrenzenden Gebieten heute völlig undenkbar, im wahrsten Sinne des Wortes.

F&L: Blickt man auf die formalen Stufen einer wissenschaftlichen Karriere in der Mathematik, haben Sie alles erreicht. Grothendieck hat sich kurz nach seiner Auszeichnung von der Mathematik abgewandt. Wie steht es um Ihre Ziele?

Peter Scholze: Ich möchte den Weg, den ich eingeschlagen habe, weiter verfolgen. Ich habe mit meiner Forschung doch gerade erst angefangen.

F&L: Herr Professor Scholze, vielen Dank für dieses Gespräch.