Studentin mit Smartphone in der Hand im Hörsaal
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Vorlesungen
Mit kürzeren Lehreinheiten gegen digitale Ablenkungen

Mobiltelefone lenken ab, auch in Lehrveranstaltungen. Ein Vorschlag zur zeitlichen Umstrukturierung von Vorlesungen gegen das Abdriften.

Von Ronny Baierl 03.09.2019

Mobiltelefone bieten Studierenden in den Lehrveranstaltungen reichlich Ablenkungsmöglichkeiten. Die Konsequenzen des Abdriftens in digitale Welten sind hinreichend bekannt: Fehlende mentale Präsenz weist nahezu die gleiche Effektstärke wie fehlende physische Präsenz auf. Heftig diskutiert wird, wie Lehrende mit diesen Situationen umgehen sollen. Hier reicht das Argumentationsspektrum von durchweg liberalen Grundsatzeinstellungen bis zu einem Verbot von Mobiltelefonen, beispielsweise in Form einer "Electronic Etiquette Policy".

Lehrende verweisen allerdings häufig auf Situationen, in denen der Einsatz eines Mobiltelefons durchaus didaktisch sinnvoll ist. Diverse Anwendungen ermöglichen es, innerhalb kürzester Zeit eine solide Rückmeldung der Studierenden zu erhalten. Diese "Audience Response"-Anwendungen führen automatisch zu einer Mobiltelefonnutzung, da offensichtlich der (durch den Lehrenden stimulierte) Nutzen wesentlich größer ist als die Kosten. Da Letztere vor allem durch Flatrates monetär abgedeckt werden, sind sie als "Sunk Costs" ohnehin nicht entscheidungsrelevant.

Neben diesen "internen" Kosten spielen allerdings auch "externe" Kosten eine Rolle. Diese müssen als Erwartungswert – und damit als Produkt aus (wahrgenommener) Entdeckungswahrscheinlichkeit und (wahrgenommener) Sanktion – betrachtet werden. Lehrende, die eine liberale Laissez-faire-Einstellung vertreten, setzen (bewusst oder unbewusst) diese externen Kosten auf Null. Die Mobiltelefonnutzung ist damit in den hinteren Reihen des Audimax nur folgerichtig, ebenso das Phänomen der geringen Nutzungsintensität in kleinen Seminargruppen. Offen bleibt jedoch, wie Lehrende mit dem Einsatz von Mobiltelefonen in Großveranstaltungen umgehen sollen.

Die Pomodoro-Methode

Hierzu lohnt ein Blick auf etablierte und bisweilen sehr gut erforschte Methoden des Zeitmanagements wie zum Beispiel die Pomodoro®-Technik. Sie basiert auf der Unterteilung großer Zeiteinheiten in kleinere Blöcke, in denen dann ein konzentriertes Arbeiten möglich ist. Zwischen den Blöcken gibt es kleine Erholungspausen sowie regelmäßige größere Pausen. Angewendet auf Lehrveranstaltungen mit 90 Minuten Gesamtdauer bedeutet das: Nach jeweils 25 Minuten Lehrveranstaltung folgen fünfminütige Kurzpausen. Dies wird dreifach wiederholt, so dass der Gesamtumfang gut ausgeschöpft wird.

In den dreimal 25 Minuten wird genauso viel (häufig sogar spürbar mehr) Inhalt behandelt wie sonst in 90 Minuten en bloc. Die Kurzpausen dienen dem "Durchatmen", zum schnellen Blick auf neue Benachrichtigungen (also dem bewussten Benutzen des Mobiltelefons) und sonstigen kurzen Ausgleichshandlungen. Auch Verständnisfragen an die Lehrenden sind durchaus willkommen.

Diese zeitliche Strukturierung hat weitreichende Konsequenzen – für die Lehrenden und deren Lehrveranstaltungsvorbereitung sowie für die Studierenden und deren Mobiltelefonbenutzung. Auf Studierendenseite wird zunächst die Nutzenwahrnehmung verschoben. Es ist vergleichsweise einfach, 25 Minuten inhaltlich konzentriert und ohne multimediale Ablenkung zu arbeiten.

Insbesondere durch die bewusste Zulassung der Mobiltelefonbenutzung in den Kurzpausen wird dem latenten Gefühl des Verpassens von Benachrichtigungen adäquat begegnet. Insofern unterscheidet sich dieser Ansatz deutlich von der generellen Ablehnung des Mehrwerts von Mobiltelefonen oder dem Verweis auf den (im Zweifel 89 Minuten entfernten) Lehrveranstaltungswechsel. Darüber hinaus entsteht in der Regel ein sozialer Druck, der sowohl die Entdeckungswahrscheinlichkeit (durch den Sitznachbarn und andere Kommilitonen) als auch die Sanktion (beispielsweise durch Belächeln und verbale Kommentierung) erhöht.   

Auf der Seite der Lehrenden stellt sich damit die Frage, unter welchen Umständen der real vorhandene Aufwand der Lehrveranstaltungsumstellung auf dreimal 25 Minuten (dies entspricht hier der Kostendimension) größer ist als der versprochene Nutzen. Anders formuliert: Der wahrgenommene Leidensdruck der derzeitigen Lehrveranstaltungskonzeption entscheidet über didaktische Umstellungen.

Sollte die Dauer von Lehreinheiten verkürzt werden?

Professor Ronny Baierl plädiert in seinem Beitrag für eine Verkürzung von Lehreinheiten auf 25 Minuten. Studierende würden sich besser auf die Veranstaltung konzentrieren und nicht zwischendurch auf ihre Handys schauen. Ein sinnvoller Ansatz?

Lässt sich die Handynutzung zeitlich lenken oder haben andere Ansätze einen besseren Effekt? Wie ist Ihre Erfahrung? Teilen Sie Ihre Meinung im Kommentarbereich.

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1 Kommentar

  • Juergen Handke Ich habe große Probleme mit dem Vorschlag, Lehrveranstaltungen in 25
    Minuten-Blöcke zu unterteilen, und zwar aus folgenden Gründen:
    Zunächst einmal stellt sich die Frage: Warum eigentlich 25 Minuten? Die Aufmerksamkeit in vortragsbasierten Lehrszenarien sinkt doch schon viel früher ab, egal ob mit Handy oder ohne.
    Zentraler ist für mich Folgendes: Aus dem Beitrag ist nicht zu ersehen, um welche Lehrveranstaltungen es sich handelt. Sollte es sich um rein Wissens vermittelnde Vorlesungen handeln, ist die Diskussion nicht zielführend, da nach meiner Meinung diese Art der Veranstaltung in die Mottenkiste des 20. Jahrhunderts gehört.
    In seminaristischen Veranstaltungen dagegen, d.h. in Präsenzveranstaltungen, die primär zur Wissensvertiefung dienen, sind mobile Endgeräte (dazu gehört auch das Handy) unerlässliche Bestandteile des Lehr-/Lerngeschehens. Sie werden dort weit über das Live-Voting hinaus zur Datenrecherche und Datenerhebung eingesetzt, sie dienen zum kollaborativen Arbeiten oder zur Nutzung fachspezifischer Software. In solchen Präsenzszenarien entsteht die Frage nach der Ablenkung überhaupt nicht, da keine frontale Wissensvermittlung mehr stattfindet, sondern intensiv gearbeitet wird – in Gruppen, einzeln, forschungsorientiert unter Begleitung eines Lernbetreuers mit der Möglichkeit einer hohen Individualisierung. 25-minütige Blöcke sind in diesen Szenarien überhaupt nicht angebracht. Nach mehrjähriger Erfahrung mit solchen „Inverted Classroom“ Szenarien, würde ich mir oft wünschen, es wäre mehr Zeit zum gemeinsamen Arbeiten als nur die standardmäßig angebotenen 90 Minuten.
    Und wenn dann doch mal ein Student – nach getaner Arbeit (!) – seine E-Mails checkt oder eine WhatsApp-Message losschickt, warum eigentlich nicht? Das machen doch die Teilnehmer an Fachbereichs-, Senats- oder sonstigen Sitzungen auch, oder?