Portraitfoto von Professorin Dr. Sonja Munz
Julia Bergmeister

Interview mit Prof. Dr. Sonja Munz
"Forschung ist ein strategisches Ziel"

Für eine Professur an der Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW) München müssen Bewerbende einiges mitbringen. Wem gelingt die Berufung?

Von Vera Müller Ausgabe 11/17

Forschung & Lehre: Wenn Sie zum Beispiel eine Professur in den Ingenieurwissenschaften ausschreiben: Wie wollen Sie für W2 in München einen gut qualifizierten Bewerber aus der Praxis für sich gewinnen?

Sonja Munz: Wir versuchen, potenziellen Bewerberinnen und Bewerbern aufzuzeigen, wie attraktiv Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAWs) wirklich sind. Qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber bringen Persönlichkeit und mindestens fünf Jahre erfolgreiche  Industrie-/Berufspraxis mit und sind intrinsisch motiviert, anderen etwas beibringen zu wollen. Mit jungen Menschen zu arbeiten und Erfahrungen und Können in der Lehre an die nächste Generation weitergeben zu wollen, ist ein auch im Bereich der Ingenieurwissenschaften wichtiges Motiv.  Gleichzeitig möchten sich Bewerber häufig in der angewandten Forschung in Verbindung mit der Industrie aktiv engagieren, wofür die Hochschule München ausgezeichnete Möglichkeiten bietet. Diese Grunddisposition ist häufig gepaart mit dem Wunsch, gestalterische persönliche Freiheit zu gewinnen. Beides können wir als Hochschule München mit unserem Lehr-, Forschungs- und Transferansatz sehr gut bedienen. Neben der Gestaltungsfreiheit in Lehre und Forschung stellen die Möglichkeiten zum Technologietransfer durch vielfältige Firmenkontakte, zur internationalen Vernetzung sowie zur exzellenten Vereinbarkeit von Familie und Beruf weitere gute Gründe dar, eine W2 Professur anzustreben.

F&L: Können Sie über großzügige Nebentätigkeitsgenehmigungen diese HAW-Professur attraktiver gestalten?

Sonja Munz: Die Attraktivität von HAW-Professuren ist insbesondere durch das selbstbestimmte Arbeiten in Lehre und angewandter Forschung gegeben. Weitere Anreizelemente bestehen in der Möglichkeit, Forschungs- oder Praxissemester absolvieren zu können, in einer unserer zahlreichen internationalen Partnerhochschulen zu lehren sowie der Bezug von Leistungs- und  Forschungszulagen und Nebentätigkeitsgenehmigungen. Nebentätigkeitsgenehmigungen bilden damit nur ein Strukturelement bei einer Vielzahl von Anreizinstrumenten, die vorrangig aber dazu dienen, dass Professoren und Professorinnen nicht den Kontakt zur Praxis verlieren und sich vielseitig vernetzen können. Gleichwohl ist richtig, dass der monetäre Einkommensverlust für einzelne Berufsgruppen beim Wechsel von der freien Wirtschaft auf eine W2-Professur zum Teil erheblich ist.

F&L: Wie wichtig ist Ihnen bei der Besetzung einer Professur die Forschungsstärke und Drittmittelaffinität?

Sonja Munz: Forschung ist ein strategisches Ziel der Hochschule München. Forschung, die sich auf Problemstellungen und Lösungsansätze mit gesellschaftlicher Relevanz und wirtschaftlichem Nutzen fokussiert. Wir sehen unsere Herausforderung und Verpflichtung in einer aktiven und innovativen Zukunftsgestaltung durch Lehre, Forschung und Transfer. Daraus leitet sich auch ab, dass uns die Zusammenarbeit mit zahlreichen Partnern aus Wirtschaft und Gesellschaft sehr wichtig ist.

F&L: Erfahren Sie einen gewissen Druck, Bewerbern für Professorenstellen mehr Möglichkeiten zur Forschung zu eröffnen? Oder anders gefragt: Wollen vornehmlich die HAWs oder die Professoren die Ausweitung der Forschungsaktivitäten?

Sonja Munz: Immer mehr Professoren und Professorinnen der Hochschule München sind forschungsaffin. Für sie ist die anwendungsorientierte Forschung in einem interdisziplinären Umfeld ein Kristallisations- und Identifikationspunkt ihres wissenschaftlichen Schaffens und gehört inzwischen neben der praxisorientierten Ausbildung der Studierenden zu den elementaren Säulen der Hochschule München. Die Forschungsaktivitäten auszubauen ist gemeinsamer Wille der Hochschulleitung und eines Großteils der Professoren und Professorinnen, nicht zuletzt aus der Überzeugung heraus, dass aktuelle Lehre eine Grundlegung und Weiterentwicklung durch die Forschung erfährt und insbesondere Masterstudiengänge ohne Forschung nicht denkbar wären.

F&L: Fordern forschungsstarke Bewerberinnen und Bewerber ein reduziertes Lehrdeputat? Wie reagieren Sie darauf? Welche informellen Lösungen gibt es?

Sonja Munz: Selbstverständlich wünschen sich Bewerberinnen und Bewerber eine Reduzierung des Lehrdeputats für Forschungsaktivitäten. Das ist bei einem Lehrdeputat von 18 SWS mehr als verständlich. Die Hochschule hat hierzu einen Kriterienkatalog entwickelt, der die Reduktion des Lehrdeputats für Forschung semesterweise regelt und allen Professorinnen und Professoren, unabhängig von der Zeitspanne seit der Berufung, gleichermaßen offen steht.

F&L: Gibt es Fälle, in denen Sie mit proaktiver Kandidatensuche erfolgreich sind?

Sonja Munz: Kandidaten und Kandidatinnen sind über eine öffentliche Ausschreibung anzusprechen und über ein transparentes Berufungsverfahren zu selektieren. Der Prozess der Berufung ist vielschichtig und erstreckt sich häufig über einen Zeitraum von einem Jahr. Gesucht werden schließlich Personen, die eine gesunde Kombination aus fachlicher Expertise, beruflicher Praxis, Persönlichkeit und didaktischen Fähigkeiten mitbringen, so dass sie gut lehren und erfolgreich forschen können. Von daher kann sich der Begriff der Proaktivität lediglich darauf beschränken, dass man Personen in einschlägigen Netzwerken auf Ausschreibungen aufmerksam macht und hinsichtlich der zu erwartenden Rahmenbedingungen und Verfahrensschritte gut und umfassend informiert. Andernfalls kann es nachhaltig zu einer hohen Belastung bestehender Netzwerke und Kontakte kommen.

F&L: Die HAWs haben ein Rekrutierungsproblem, zumindest in Fächern mit universitärem und außeruniversitärem Parallelmarkt. Wie fangen Sie das auf?

Sonja Munz: Die formale Berufungsfähigkeit für eine Professur an der Hochschule München ist bei gleichzeitiger Erfüllung zweier Kriterien gegeben: Erstens bei besonderer Befähigung zu wissenschaftlicher Arbeit, die in der Regel durch eine Promotion nachgewiesen wird. Zweitens bei Nachweis besonderer Leistungen bei der Anwendung oder Entwicklung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden in einer mindestens fünfjährigen beruflichen Praxis. Mindestens drei Jahre der beruflichen Praxis müssen dabei außerhalb des Hochschulbereichs erbracht worden sein. Insbesondere das letzte Kriterium führt dazu, dass potenzielle Bewerberinnen und Bewerber für Universitäts- und HAW-Professuren in der Regel nicht deckungsgleich sind. Das heißt, die anwendungsorientierte Profilierung unserer Berufungsanforderungen schließt einen universitären Parallelmarkt weitgehend aus. Ein außeruniversitärer Parallelmarkt besteht ebenfalls nicht, da in außeruniversitären Forschungseinrichtungen oder der freien Wirtschaft zwar die Tätigkeit der angewandten Forschung, aber eben nicht die Lehrtätigkeit ausgeübt werden kann.

F&L: Gibt es in manchen Berufungsverfahren das eingestandene oder uneingestandene Dilemma, entweder nicht oder unterqualifiziert zu besetzen?

Sonja Munz: Die Frage der Unterqualifizierung ist bereits durch die Kriterien der formalen Berufungsfähigkeit ausgeschlossen. Sind diese Mindestbedingungen nicht erfüllt, kann eine Professur nicht besetzt werden. Gleichwohl können Fälle eintreten, in denen der Zuschnitt der Stellenausschreibung auf nur wenig Resonanz trifft, das heißt die Zahl der Bewerbungen zu gering ist, um ein Berufungsverfahren zu starten. Dieses Marktsignal muss dann dahingehend aufgegriffen werden, dass eine Schärfung der Stellenprofile erfolgt, was in der Regel zum Erfolg führt. Im Übrigen möchte ich hinzufügen, dass wir als Hochschule in der Stadt München sicherlich über einen gewissen Standortvorteil verfügen.

F&L: Welche Rolle spielen die berufspraktischen Erfahrungen tatsächlich bei der Einstellungspraxis?

Sonja Munz: Die gesetzlich geforderte berufspraktische Erfahrung entspricht unserer gelebten Grundauffassung und unterscheidet uns von den Universitäten dahingehend, dass wir die Praxisbezogenheit der Lehrenden konsequent einfordern und diese durch angewandte Forschung, Wissens- und Technologietransfer und andere Möglichkeiten des Engagements an Schnittstellen zur Praxis aktuell halten. Auch aus didaktischen Gründen ist uns das sehr wichtig, da wir insbesondere bildungsferneren Lernenden hierdurch eine adäquate Brücke in die akademische Bildung bauen können und Absolventen zum Beruf befähigen möchten. Unsere Kolleginnen und Kollegen mit berufspraktischen Erfahrungen kennen den Berufsalltag und wissen, worauf es ankommt.

F&L: Welche Vor- und Nachteile sehen Sie in dem Rekrutierungsmodell, zukünftig die berufspraktische Qualifikation von HAW-Professoren mit einer forschenden parallelen Tätigkeit zu teilen? Minimiert das nicht den großen Vorteil der HAW-Professur?

Sonja Munz: Ich frage mich an dieser Stelle eher, welches Interesse ein Unternehmen an einer Person hat, die erklärtermaßen auf dem Absprung an eine HAW ist. Die Idee, dass Aspiranten während der Zeit im Unternehmen ein bis zwei Tage an einer Hochschule lehren und forschen, um nach drei Jahren endgültig an die Hochschule zu wechseln, hört sich zunächst interessant an. Möglicherweise adressiert dies aber Personen, die nicht unbedingt für eine Professur an der Hochschule München geeignet sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn die berufspraktische Erfahrung hier nur noch ein Feigenblatt darstellt oder die HAW-Professur lediglich zur Notfallspur wird.

F&L: Wie bilden Sie den wissenschaftlichen Nachwuchs für Ihre Hochschule aus?
Sonja Munz: Doktorandinnen und Doktoranden werden von einem Professorentandem kooperativ betreut. Das bedeutet, dass der Nachwuchs an der Hochschule München eng bei der wissenschaftlichen Arbeit begleitet wird, während eine Einbindung in das akademische Umfeld einer Universität die Ausbildung abrundet. Ein weiterer Fokus unserer Hochschule liegt auf der fachlichen sowie überfachlichen Qualifikation von wissenschaftlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Hierfür haben wir ein strukturiertes Programm etabliert.

F&L: 2012 schlug der HRK-Präsident Hippler vor, HAWs mit sehr guten Forschungsleistungen den Universitätsstatus zuzusprechen und forschungsschwache Universitäten zu HAWs herabzustufen. Was halten Sie von diesem Vorschlag?

Sonja Munz: Es ist richtig, dass es innerhalb der einzelnen Universitäten und Hochschulen für angewandte Wissenschaften zu einer weiteren Ausdifferenzierung kommt. In manchen Bereichen der Hochschulen bildet sich eine starke Forschung heraus, die den Vergleich mit Universitäten nicht scheuen muss. Und obgleich es an dieser Stelle hinsichtlich der Forschung zu einer Konvergenz zwischen Universitäten und HAWs kommt, sollten wir aus meiner Sicht das Label Universität nicht zum Zweck der vertikalen Differenzierung einfordern. Denn die Forschungsstärke ist nur ein mögliches Wesensmerkmal von Hochschulen für angewandte Wissenschaften. Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal der Hochschulen ist, dass wir uns durch eine höhere Vielfalt der Lehrenden auszeichnen, weil andere Personen als an Universitäten berufen werden. Des Weiteren stehen wir in engem Austausch mit der Wirtschaft und Gesellschaft und nehmen durch die Diversität unserer Studierenden eine wichtigere Rolle bei der Realisierung von Bildungsgerechtigkeit als Universitäten wahr.

F&L: Was sind Ihre Erfahrungen mit kooperativen Promotionen?

Sonja Munz: In den letzten Jahren stieg die Anzahl kooperativer Promotionen stetig an. Insbesondere herausragende HAW-Absolventen und -Absolventinnen nutzen die Chance, sich weiter zu qualifizieren. Für die Mitarbeit in angewandten Forschungsprojekten interessieren sich aber zunehmend auch Universitätsabsolventen. Die Kooperation mit Universitäten wurde im Bereich Promotionen stark ausgebaut. In einigen Fächern gestaltet sich die Suche nach Doktormutter beziehungsweise Doktorvater an einer Universität dennoch schwierig. Gerade in Fachgebieten, die auf universitärer Seite kein Pendant haben, scheitern wir zum Teil.

F&L: Was halten Sie von einem eigenständigen Promotionsrecht der HAWs?

Sonja Munz: Die Hochschule München strebt den weiteren Ausbau kooperativer Promotionen und die Etablierung eines eigenständigen Promotionsrechts auf der Basis anerkannter nationaler und internationaler qualitätsgesicherter, strukturierter Promotionsverfahren für forschungsstarke Bereiche an. Dies ist aus Sicht der Hochschule München umso dringlicher geboten, als HAW-spezifische Fachgebiete auf universitärer Seite häufig nur unzureichende Möglichkeiten für kooperative Promotionen vorfinden.