Schachfiguren stehen in einer Reihe: vier weiße Bauern und ein roter König.
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Mitarbeiterführung
Führung im Kontext der Wissenschaft ist komplex

Welche Aspekte gilt es bei der Führung im Wissenschaftskontext zu beachten? Wie lassen sich Führungsinstrumente effektvoll einsetzen?

Von Lioba Werth, Anna Steidle 07.06.2021

Ist Führung in Hochschulen und Forschungseinrichtungen etwas anderes als jene in der freien Wirtschaft, in der Verwaltung oder im kleinen Einzelhandel? Die Antwort lautet eindeutig: Ja und Nein. Zunächst einmal zum Nein: Führung ist und bleibt Führung, egal, wo sie stattfindet. Natürlich gelten die Basics wie zum Beispiel Wertschätzung, Vertrauen und gute Kommunikation sowie die grundlegenden Steuerungsinstrumente wie Informieren, Feedback, Delegieren überall als Methode. Und selbstverständlich ist auch hier der Führungsalltag von Konflikten und Krisen begleitet, die es zu bearbeiten gilt. Dennoch gibt es bedeutsame Aspekte, die vom normalen Führungsalltag abweichen.

Was ist anders an der Führung im Wissenschaftskontext?

1. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterscheiden sich in ihrer Motivation und Triebfeder von denen anderer (durchaus motivierter) Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: Sie agieren aus stark intrinsischem Interesse, denn sie streben nach Erkenntnisgewinn oder auch Selbstverwirklichung; für die meisten von ihnen ist der Beruf mehr als ein Job. All dies sind immens starke Motivatoren, die einen enormen persönlichen Einsatz nach sich ziehen.

Doch bedeutet das Vorhandensein einer hohen intrinsischen Motivation nicht, dass keine Führung erforderlich ist, sondern vielmehr, dass eine Führung benötigt wird, die die hohe intrinsische Motivation nicht zerstört, sondern erhält. Es gilt, Randbedingungen zu schaffen, so dass die Beteiligten ihrer intrinsischen Motivation folgen können, und Führungsinstrumente so einzusetzen, dass Energie und Motivation in die richtige Richtung gelenkt werden. Im Speziellen sind hier das Führen durch Ziele sowie immaterielle Anreize (zum Beispiel Rahmenbedingungen guter Forschung, reputationsfördernde Maßnahmen) hilfreich, um die intrinsische Motivation zu locken beziehungsweise ihr Ausleben zu verstärken. Allerdings muss sich bei alldem die Leistungsbeurteilung auf die "richtigen" Kriterien beziehen; falsch gehandhabte Leistungsbeurteilungen können die intrinsische Motivation untergraben. Entscheidend ist, dass Leistungsbewertung und Anreize als selbstbestimmt erlebt (siehe Punkt 2) oder/und durch Peers/Experten bewertet werden (siehe Punkt 4), damit sie motivierend wirken.

2. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind ihre Freiheitsgrade enorm wichtig, um nicht zu sagen, wichtiger als den meisten anderen Arbeitnehmenden. Und hiermit sind nicht (nur) die Freiheiten in der Zeitgestaltung gemeint, sondern vor allem inhaltliche Freiräume, beispielsweise im Hinblick auf ihre Forschungsinteressen, ihre Ideeneinbringung und die Theorieentwicklung.

Freiheitsgrade zu erhalten heißt nicht, keinen Einfluss auf das Personal zu nehmen, sondern nur, dies auf eine bestimmte Weise (bezüglich des Ausmaßes und der richtigen Ansatzpunkte) zu tun. Zum einen gilt es, das Autonomiebedürfnis des Einzelnen in den Blick zu nehmen: das Gewähren individueller Handlungsspielräume und Freiheiten sowie das Betreiben eines aktiven Job Craftings. Letzteres steht für eine individuelle Ausgestaltung des Arbeitsumfelds seitens des Mitarbeiters und der Führung. Zum Zweiten ist Partizipation – insbesondere bei wichtigen Entscheidungen – unerlässlich. Sie sollte jedoch nicht nur "erzwungenermaßen" im Rahmen der gegebenen Gremien erfolgen, sondern auch ernsthaft so gemeint und vor allem durch eine kluge Partizipationsmethodik inhaltlich gewinnbringend gestaltet sein. Eine gut gemachte Partizipation ist nicht nur formale Beteiligung, sondern auch Steuerungsinstrument einer lernenden Organisation.

"Psychologische Sicherheit, Offenheit gegenüber Neuem, die Einbeziehung von Vielfalt sowie ein gutes Veränderungsmanagement sind Maxime, auf die Führung fokussieren sollte."

3. Das Wissenschaftssystem enthält systemimmanente Wirkmechanismen, die nicht unproblematische Auswirkungen haben: Wissenschaftliches Arbeiten ist per definitionem ein Arbeiten unter inhaltlicher Unsicherheit und mit ungewissem (wissenschaftlichen) Ausgang, die ewige Suche nach Neuem und Innovativem anstelle des Bewährten, starker Konkurrenzdruck innerhalb und außerhalb der Universität, einsame Positionen als Professor beziehungsweise unsichere Zukunftssituation als Nachwuchswissenschaftler.

Einerseits darf Führung daher die Unsicherheit nicht vergrößern, sondern muss im Gegenteil an den richtigen Stellen Sicherheit gebende Faktoren erhöhen. Neben einer klaren Kommunikation von Erwartungen sowie der Transparenz von Prozessen und Anforderungen gelingt dies etwa durch Coaching, Paten-/Mentoren-Systeme zur persönlichen Begleitung sowie Stabilität in den Rahmenbedingungen. Andererseits muss ein Nährboden für Kreativität und Innovationsgeist gewährleistet sein. Hier spielen unter anderem effektive Teamprozesse (zum Beispiel Wissenstransfer, Moderationsmethoden) sowie Klima und Organisationskultur eine Rolle. Psychologische Sicherheit, Offenheit gegenüber Neuem, die Einbeziehung von Vielfalt sowie ein gutes Veränderungsmanagement sind Maxime, auf die Führung daher fokussieren sollte.

4. In einer Expertenorganisation stehen wissenschaftliche Exzellenz und fachliche Qualifikation an erster Stelle und sind die entscheidenden Komponenten für Erfolg, Karriere und Akzeptanz.

Führungserfolge sind höher, wenn die Führungskraft über Merkmale verfügt, die das Kerngeschäft der Organisation abbilden. Zum einen befähigt die eigene wissenschaftliche Kompetenz der Führungskraft diese, wissenschaftliches Arbeiten zu strukturieren und zum anderen erhöht sie Glaubwürdigkeit und Akzeptanz, so dass sich ein Team von ihr eher führen lassen will. Des Weiteren ist bedeutsam, nicht nur nach "trial and error" zu führen, sondern auch im Führungsverhalten Professionalität und Expertise anzustreben, das heißt neben der Fachexpertise über Kernkompetenzen der Führung zu verfügen: Wer ein brillantes Sitzungsmanagement beherrscht, wird nicht nur als professionell und exzellent erlebt, sondern bremst auch die Teammitglieder in der Ausübung ihrer Exzellenz nicht durch seine eigene Führungsineffizienz aus.

5. Insgesamt erscheint die Führung einer wissenschaftlichen Einrichtung deutlich komplexer als in hierarchisch aufgebauten Organisationen: Es werden selbstbewusste und in Forschung und Lehre freie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geführt, es besteht ein hoher Anteil an Selbstverwaltung, es ist allzu oft im Wahlamt oder ohne formale Weisungsbefugnisse zu führen.

Damit sind die Rahmenbedingungen speziell und sprechen für deutlich erschwerte Führungsvoraussetzungen: Führungskräfte können weitaus weniger über "Ansagen" oder hierarchisches Verhalten führen, sondern vielmehr über Feedback, vereinbarte Ziele, immaterielle Anreize (beispielsweise Forschungsbedingungen) sowie durch eine hohe Sozial- und Methodenkompetenz überzeugen. Gestaltungsoptionen kollegialer und geteilter Führung zu kennen und zu nutzen ist im Expertenkontext ebenso bedeutsam wie transformationale Führungsweisen. Das Teilen von Macht und Einfluss, das zeitweilige Schlüpfen in Führungsrollen, Führung von und durch Kollegen zeichnen die situative Führung in der Wissenschaft aus.

Kurzum, bei der Führung im Wissenschaftskontext sind zusätzliche Werte und Einflussgrößen enthalten, die es zu berücksichtigen gilt. Wer dies nicht beachtet, wird mit seiner Führung zu kurz greifen und seine Mitarbeiterschaft nicht wirksam bewegen können; wer jedoch die genannten Spezifika adäquat zu adressieren versteht, kann sein Team zur vollen Entfaltung bringen.