Illustration eines Mannes im Anzug, der mit einem großen Pinsel einen roten Kreis um sich selbst auf den Boden malt
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Deutscher Hochschulverband
DHV mahnt zu politischer Sensibilisierung

Wissenschaftler dürfen sich politisch engagieren – aber mit Vorsicht, so der neue DHV-Präsident. Auch Kooperationspartner seien mit Bedacht zu wählen.

05.04.2023

In der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Politik ist nach Ansicht des Deutschen Hochschulverbands (DHV) ein besseres gegenseitiges Verständnis nötig. Denn die beiden Domänen folgten verschiedenen Logiken: "Wissenschaft schafft Wissen, ist aber nicht allwissend", erklärte der neue DHV-Präsident Professor Lambert T. Koch am Mittwoch. Wissenschaft strebe nach Wahrheit, Politik müsse hingegen unterschiedliche Interessen und Sichtweisen bündeln, abwägen und in mehrheitsfähige Entscheidungen überführen. Die Wissenschaft müsse daher – gerade im Dialog mit der Politik – ihren Wissensstand transparent machen und klarstellen, wo gesicherte Erkenntnisse vorliegen und wo nicht.

Koch zufolge kann die Wissenschaft in der Regel strittige Fragen nicht abschließend beurteilen, aber durch fundierte Urteile ihrer verschiedenen Disziplinen gesellschaftliche Debatten öffnen. Das fachübergreifend vorhandene Wissen solle sie bündeln und für politische Entscheidungen zur Verfügung stellen. "Ein allgemeines Mandat, zentral und abschließend im Namen der Wissenschaft mit ihren Teilgebieten zu sprechen, kann damit allerdings nicht verbunden sein", so Koch weiter.

Koch: Professorentitel nicht für politische Meinung nutzen

Gefährlich sei es, wenn Wissenschaft mit politischem Engagement verschmelze. "Wissenschaft darf leidenschaftlich und muss kritisch und unbequem sein. Wo allerdings Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre professionelle Distanz aufgeben, verlieren sie ihre Unabhängigkeit", betonte der DHV-Präsident. Im politischen Meinungskampf sei für Zuspitzung und Polarisierung viel, für Zwischentöne und Differenzierungen oft wenig Platz. Letztere seien aber wichtiger denn je. Ohne Zurückhaltung könnten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kein Gegenwicht und Korrektiv zur hitzigen Politik sein.

Die verfassungsrechtlich gewährte Wissenschaftsfreiheit dient Koch zufolge dem Gemeinwohl. "Natürlich sollen und dürfen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wie alle Bürgerinnen und Bürger politisch engagieren", so der DHV-Präsident. Sie sollten bei politischer Betätigung aber nicht den Eindruck erwecken, mit wissenschaftlicher Autorität zu handeln. "Insbesondere sollte ein Professorentitel oder ein herausgehobenes Amt in einer wissenschaftlichen Institution nicht dazu verleiten, politisch motivierte Äußerungen als wissenschaftsbasiert zu maskieren. Wenn dies dennoch geschieht, nehmen die Person und mithin die Wissenschaft Schaden."

Wissenschaft in der Außenpolitik: Abgrenzen ohne sich abzuschotten

Bei Wissenschaftskooperationen mit autokratischen Staaten müssen diese nach Einschätzung des DHV künftig differenzierter als bisher betrachtet werden: mal als Partner, mal als Herausforderer oder auch als Gegner. Bei globalen Problemen wie Klimawandel und Gesundheitsschutz seien globale Lösungen nötig, auch unter Einbeziehung nicht-demokratischer Staaten, erklärte DHV-Präsident Koch. "Wo allerdings autoritäre Staaten unter Androhung oder Anwendung militärischer Gewalt die auf Rechtsvereinbarungen fußende internationale Ordnung aushebeln oder gar beseitigen wollen, ist es leider notwendig, wie im Falle des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine zu Recht geschehen, auch harte Schnitte bei den institutionellen Beziehungen mit dem Aggressor nicht zu scheuen."

Wissenschaft bleibe autonom, könne sich aber den politischen Implikationen ihres Tuns nicht entziehen, betonte Koch mit Verweis auf die zunehmende Abgrenzung westlicher Demokratien von Autokratien wie Russland oder China. Besonders heikel seien Wissenschaftskooperationen, die die technologische Souveränität einschränkten oder Autokratien dazu befähigten, ethnische und politische Minderheiten zu verfolgen, sowie Dual-Use-Projekte, die sowohl militärische wie zivile Verwendungszwecke haben könnten. In der Frage, welche Kooperationen vertretbar sind, sollten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler daher Beratungsangebote aus Politik und der Scientific Community nutzen.

DHV betont Rolle der Science Diplomacy

Der Wissenschaftsaustausch mit autoritären Staaten ist laut Koch "ein schwieriger Balanceakt". Er plädierte für Leitplanken in Kooperationsvereinbarungen, die eine Zusammenarbeit ermöglichen, aber auch Vereinnahmungen und unerwünschte Abhängigkeiten abwehren können. "Differenzen müssen angesprochen, Verstöße gegen die Freiheit der Wissenschaft benannt und verurteilt werden", hob der DHV-Präsident hervor. Wo Wissenschaftsfreiheit mit Füßen getreten werde, müssten Kooperationen beendet werden.

"Wie zu Zeiten des Kalten Kriegs wird sich die Zusammenarbeit dann allenfalls noch auf individueller Ebene punktuell fortführen lassen", ergänzte Koch. Zwar berge auch dieser Weg Risiken, weil gute persönliche Kontakte blenden könnten, vertiefte Kenntnisse des Gegenübers schafften jedoch auch Verständnis und Vertrauen. "Eine freie Wissenschaft kann positiv auf geschlossene Gesellschaften ausstrahlen", so Koch abschließend. "Eine an unbequeme außenpolitische Realitäten angepasste 'Science Diplomacy‘ bleibt deshalb wichtig und richtig."

ckr