Michael Ignatieff
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CEU-Präsident Michael Ignatieff
"Es geht um den europäischen Frieden"

Der Präsident der Central European University warnt vor Folgen von Einschnitten in die Wissenschaftsfreiheit. Die EU spiele ein "gefährliches Spiel".

03.12.2020

Michael Ignatieff hat die EU-Staaten zu einem entschiedeneren Vorgehen gegen Einschnitte in die Wissenschaftsfreiheit aufgerufen. "Wenn Länder wie Deutschland oder Frankreich so etwas hinnehmen, um die Union am Leben zu halten, spielen sie ein gefährliches Spiel", sagte der Präsident der von der ungarischen Regierung aus Budapest verdrängten Central European University (CEU) auf der Konferenz "ZEIT für Bildung" am Donnerstag. Es sei nicht ausgeschlossen, dass die Wissenschaft auch in anderen Ländern zunehmend unter Druck gerate.

"Es geht um den europäischen Frieden", sagte Ignatieff über den Erhalt der Wissenschaftsfreiheit. "Wenn Regierungen den freien Diskurs eingrenzen wollen, sind zuerst die Wissenschaftsfreiheit und die Pressefreiheit betroffen." Irgendwann schwebe dann eine Art Wolke über der Gesellschaft. "Diskussionen ziehen sich ins Private zurück. Die freie Gesellschaft steht auf der Kippe."

Die jüngste Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), wonach das ungarische Hochschulrecht, das die CEU zum Wegzug aus Ungarn gezwungen hatte, nicht mit EU-Recht vereinbar sei, beschrieb Ignatieff als "bittersüßen Sieg". "Wir hätten das Urteil vor zwei Jahren gebraucht", sagte er im Interview mit der "Zeit". Das Urteil setze jedoch ein wichtiges Zeichen und erschwere es den Regierungen anderer Länder das Spiel zu spielen, das Orban mit der CEU gespielt habe.

Freie Wissenschaft in Budapest unmöglich

Die CEU wolle zunächst an ihrem Aufbau der Lehre am neuen Standort in Wien festhalten. In Budapest bliebe unter anderem ein Forschungsinstitut und eine Bücherei. Universitäten seien mit den Orten verwurzelt, an denen sie begründet wurden, sagte Ignatieff. Eine einfache Rückkehr nach Budapest sei aber unmöglich. Die Lage sei "vergiftet". Es sei nie um die eigentliche Arbeit der CEU gegangen, sondern ein politisches Vorgehen aus Kritik am Gründer der CEU, George Soros.

Dem wissenschaftlichen Ansehen der CEU hätten die Entwicklungen der vergangenen Jahre bislang nicht geschadet. Die Einschreibungen seien sogar gestiegen. Er hoffe, bald wieder "einfach nur eine Universität" sein zu können, sagte Ignatieff.

Zur Freiheit der Universität gehöre für ihn dabei auch, allen Positionen auf dem Campus ein Forum zu bieten. Das bedeute nicht, dass sich die Universität mit der Meinung der Person gemein mache. Die Einladung von Rednerinnen und Redner extremer Positionen wird an den Hochschulen kontrovers diskutiert. Der CEU-Präsident vertritt dazu diesen Standpunkt: "Diskussionen sind hart, Standpunkte können uns aufbringen, aber das gehört zum intellektuellen Leben dazu."

kas