Das Wort "Gendern" steht auf weißen Platten, darumherum sind kleine Figürchen angeordnet
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Sprache
Hessen will kein Gendern an Hochschulen

In drei Bundesländern sind Genderzeichen an Schulen verboten. Hessen will das Verbot auf Unis und Rundfunk ausweiten und erntet Kritik.

11.12.2023

In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein gelten Genderzeichen in der Schule als Rechtschreibefehler. In Bayern und Hessen reicht das einigen nicht, sie wollen, dass das Genderverbot noch weiter geht. Der bayrische Ministerpräsident Markus Söder bezieht die Behörden mit ein. Und in Hessen wollen CDU und SPD, die sich zurzeit in Koalitionsverhandlungen befinden, einem Eckpunktepapier zufolge "festschreiben, dass in öffentlich-rechtlichen Institutionen auf das Gendern mit Sonderzeichen verzichtet wird und eine Orientierung am Rat der deutschen Sprache erfolgt." Hessen wäre damit das erste Bundesland, dass die Sprachregelung auch auf Universitäten und Rundfunk ausweiten würde.

Professor Henning Lobin, Direktor des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim, ist von dem Passus aus dem Eckpunktepapier der Hessenkoalition gleich in mehrfacher Hinsicht überrascht. "Die 'Festschreibung' eines 'Verzichts' auf das Gendern mit Sonderzeichen kommt einem Verbot dieser Schreibweise gleich", sagt Lobin gegenüber "Forschung & Lehre". Das sei überraschend, da im Satz vorher noch betont werde, mündige Bürgerinnen und Bürger könnten selbst entscheiden, ob sie die Sonderzeichen verwenden. "Wir bekennen uns zum Leitbild des mündigen Bürgers. Das bedeutet für uns: Anreize statt Verbote", heißt es in dem Papier, erläutert Lobin. Außerdem gebe es keinen "Rat der deutschen Sprache", sondern nur den Deutschen Sprachrat und den Rat für deutsche Rechtschreibung. "Vermutlich ist letzterer gemeint", so Lobin. Der hatte im Juli einstimmig beschlossen, dass Genderzeichen nach wie vor keine regulären, sondern Sonderzeichen sind. Ihre Verwendung gilt daher als Rechtschreibfehler. Die Mehrheit der Bundesländer hält es so, dass das Genderzeichen zwar als Rechtschreibfehler betrachtet, aber die Verwendung nicht sanktioniert wird.

Forschende gehen gegen das Verbot vor

Bei einem Sprachverbot für öffentliche Einrichtungen sei mit juristische Folgeproblemen zu rechnen, erklärt Lobin gegenüber "Forschung & Lehre". An Hochschulen stelle ein solches Verbot eine erhebliche Verletzung der Wissenschaftsfreiheit und beim öffentlichen-rechtlichen Rundfunk der Rundfunkfreiheit dar.

An Hochschulen in Hessen formiert sich Widerstand gegen das mögliche Verbot. Die Universität Kassel ließ 2021 beispielsweise ein Gutachten erstellen, demzufolge es unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist, geschlechtergerechte Sprache in Prüfungen zu verlangen. Am Forschungszentrum Cornelia Goethe Centrum (CGC) der Universität Frankfurt am Main haben sich hessische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammengeschlossen, um gegen das Genderverbot vorzugehen. Geschlossen fordern sie eine demokratische und inklusive Wissenschaft und Gesellschaft, die sich auch in inklusiver Sprache niederschlägt.

Auch die SPD in Hessen scheint sich bezüglich des Verbots noch uneinig zu sein. Am Wochenende sollen die Parteigremien den Koalitionsvertrag beschließen, dazu trifft sich die SPD zu einem Außerordentlichen Landesparteitag, bei dem das Genderverbots zum Streitpunkt werden könnte. Denn die SPD Jusos Hessen und die SPD-queer Hessen-Süd lehnen das Verbot strikt ab. Sie drohen damit ihre Zustimmung zum Koalitionsvertrag zu verweigern.

Auch Lobin merkt an, dass das Verbot nicht dazu passte, dass die SPD Hessen im Landtagswahlkampf ein Wahlprogramm vorgelegt hatte, "das konsequent mit dem Genderstern gegendert war und das sogar in der besonders weitreichenden Variante mit gegenderten Formen innerhalb von Komposita."

Genderzeichen: als Sonderzeichen kein Verstoß gegen Rechtschreibregeln

Für Lobin "gehören Genderzeichen als eine Untergruppe einer größeren Menge von Sonderzeichen nicht zum Kernbestand der deutschen Rechtschreibung, aber stellen trotzdem nicht einen regellosen, inkorrekten Schriftsprachgebrauch da." Er weist darauf hin, dass über die Verwendung von anderen Zeichen, wie beispielsweise Paragraphen oder Hashtags auch nicht diskutiert werde. Hinzukomme, dass Genderzeichen keinen Verstoß gegen gültige Rechtschreiberegeln darstellten, wenn man sie als Sonderzeichen verwende. Allerdings gebe es noch keine Einigkeit darüber, welche orthotypografischen Verwendungsregeln für Genderzeichen gelten müssten, weil sich die Aufmerksamkeit bislang ausschließlich auf ihren orthografischen Status gerichtet habe.

Hinzukommt laut Lobin, dass es keine staatliche Institution gebe, die solche Verwendungsregeln verbindlich festschreiben könne. "Der Rechtschreibrat hat in meinen Augen nicht die Kompetenz, über Sinn und Unsinn von 'Gendersprache' zu entscheiden, die es ja neben den typografischen Kennzeichnungen auch in vielen anderen sprachlichen Formen gibt", so Lobin. Zudem würde ein Genderverbot genauso wie ein Genderzwang eine Einschränkung der grundlegenden sprachlichen Freiheit eines jeden Einzelnen im Umgang mit Sprache darstellen. "Insbesondere im Hochschul- und im Rundfunkbereich wäre das nicht hinnehmbar", sagt Lobin, der vermute, dass im Zweifelsfall darüber in Zukunft die Gerichte zu entscheiden hätten.

kfi