Papierfigueren: Blaue bilden einen Kreis und halten sich an den Händen. Eine rote Figur steht daneben (Symbolbild: Diskriminierung von Frauen)
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Diskriminierung
Maßnahmen gegen Sexismus gefordert

Ein Team von Wissenschaftlerinnen hat eine To-do-Liste gegen Sexismus in der Wissenschaft vorgelegt.

30.11.2023

"Sexismus ist nicht nur schlecht für Frauen, sondern auch für die Wissenschaft" ist der Titel des jüngst im Wissenschaftsmagazin "Nature" veröffentlichten Artikels. Darin beschäftigen sich fünf aktuelle und ehemalige Forschungsleiterinnen, drei von ihnen Deutsche, mit den Folgen von Sexismus in der Wissenschaft, nicht nur für die betroffenen Frauen, sondern auch für den Wissenschaftsbetrieb. Denn: "Forschungseinrichtungen sind entscheidend für gesellschaftlichen Erfolg verantwortlich, weswegen ihre finanzielle Unterstützung stark im öffentlichen Interesse liegt. Allerdings werden diese Prinzipien derzeit entscheidend verletzt: durch Sexismus." Um dagegen vorzugehen skizzieren sie in ihrem Artikel auch ausführliche Reformen für den Wissenschaftsbetrieb. 

Ihr Artikel beginnt mit der Geschichte von Professorin Katalin Karikós. In ihrer Wissenschaftslaufbahn wurde sie mit mangelnder Finanzierung und Anerkennung konfrontiert, degradiert und von der Universität verdrängt. Doch sie ließ sich nicht unterkriegen und gewann dieses Jahr gemeinsam mit einem Kollegen den Medizi-Nobelpreis für ihre Mitwirkung bei der Entwicklung der COVID-19-Impfstoffe. Doch nicht alle Frauen können mit der allgegenwärtigen Geschlechterdiskriminierung so umgehen und verlassen häufig die akademische Laufbahn, berichten die Wissenschaftlerinnen. Auch sie haben vergleichbare Erfahrungen gemacht. Der international bekannteste Fall ist der von Professor Nicole Boivin vom Max-Planck-Institut für Geoanthropologie in Jena. 

Boivin wurde von der Max-Planck-Gesellschaft aufgrund von Mobbingvorwürfen als Direktorin abgesetzt. 2021 wehrte sie sich vor dem Arbeitsgericht dagegen. Erfolgreich. In einem offenen Brief warfen Forscherinnen der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) Sexismus vor. Doch die entzog im Folgejahr Bovin erneut den Direktorinnenposten. Mit großer Mehrheit. Professorin Ulrike Beisiegel, die damals im MPG-Senat saß, stimmte damals dagegen. Laut ihr hätte Boivin keine Chance bekommen, ihre Argumente darzulegen, erklärte Beisiegel dem Wissenschaftsmagazin "Science". Heute hat die ehemalige Präsidentin der Uni Göttingen zusammen mit Boivin und drei anderen den Sexismus-Artikel verfasst. Die Kernaussagen: Sexismus schädigt Frauen und die Wissenschaft. 

'Leaky Pipeline' durch Sexismus

Immer weniger Frauen sind in immer fortgeschritteneren Karrierestadien zu finden – ein Phänomen, das als "Leaky Pipeline" bezeichnet wird. Es überrascht laut Artikel nicht: Sexuelle Belästigung an akademischen Arbeitsplätzen sei nach wie vor weit verbreitet, nur im Militär stärker als an Hochschulen. Wenn Zielpersonen die Belästigungen meldeten, würden sie entweder ignoriert oder mit Vergeltungsmaßnahmen bestraft, so die Kritik. Auch voreingenommene Leistungsbeurteilung und mangelnde Anerkennung von Forschungsbeiträgen seien nach wie vor fest verwurzelte Probleme. Laut Artikel erleben Akademikerinnen am Anfang ihrer Karriere außerdem eine Reihe zusätzlicher, subtilerer Formen des Sexismus, von Mikroaggressionen bis hin zu Bevormundung, die ihre Fähigkeiten herunterspielen und ihren Aufstieg behindern. 

Wenn Frauen in fortgeschrittenere akademische Karrierestufen aufsteigen, wird oft eine größere Karrierestabilität erwartet. Doch die Erfahrung mit feindseligen Arbeitsplätzen für Akademikerinnen halte während ihrer gesamten Karriere an und könne sich sogar verstärken, sobald sie eine Festanstellung oder Stipendienerfolge verbuchen können. Frauen in späteren Karrierestadien berichten, dass ihnen übertriebene Dienstleistungen auferlegt würden und es ihnen an unterstützenden sozialen Netzwerken mangele, was teilweise auf ihre Unterrepräsentation zurückzuführen sein könnte. Erfahrungen umfassen laut Artikel Unhöflichkeit, Ausgrenzung, Online-Missbrauch, ins Stocken geratenen Beförderungen, akademischer Sabotage, ungleichem oder eingeschränktem Zugang zu Ressourcen, böswilligen Anschuldigungen sowie sexueller Belästigung. 

Auch haben Frauen laut Artikel weiterhin mit ausgeprägter Doppelmoral zu kämpfen. Sie erhalten demnach weniger Anerkennung und Auszeichnungen. Die wiederum sind mit weniger Geld, öffentlicher Aufmerksamkeit und beruflichem Aufstieg verbunden als die der Wissenschaftler. Darüber hinaus würden Verhaltensweisen, die bei männlichen akademischen Führungskräften positiv gesehen würden, bei weiblichen Führungskräften negativ bewertet. Je weniger Frauen in einem Bereich, desto stärker seien die Probleme. Sie führten zu einer anhaltenden Fluktuation von Wissenschaftlerinnen. Diese sei im MINT-Bereich besonders hoch. Dort verließen doppelt so viele Wissenschaftlerinnen die akademische Laufbahn wie ihren männlichen Kollegen. 

To-do-Liste gegen Sexismus in der Wissenschaft

"Der Verlust, der Missbrauch, die Behinderung und die Sabotage von weiblichen Talenten in der akademischen Welt stellen eine enorme Belastung für öffentliche Haushalte dar", schreiben die Wissenschaftlerinnen. Sie stellen fest, dass Forschungseinrichten es bislang versäumt hätten, notwendige Schritte zu unternehmen, um dagegen vorzugehen. Einige hätten stattdessen sogar Trainings- und Mentoring-Programme entwickelt, die den Frauen im Wesentlichen die Verpflichtung auferlegten, sich zu verändern. "Deswegen ist es Zeit Systeme zu überarbeiten, die fest verwurzelten Sexismus mit öffentlichen Geldern belohnen, die Täter von Sexismus, Diskriminierung und Belästigung schützen und sich destruktiv auf den Fortschritt der Wissenschaft auswirken", fordern die Wissenschaftlerinnen. 

Um einen echten systemischen Wandel herbeizuführen, müssten akademische Akteure Verantwortung übernehmen. Allen voran würde das ein Transparenzethos der Forschungseinrichtungen selbst erfordern, was bedeute, dass sie jährlich Daten sammeln und veröffentlichen sollten – nach Geschlechtern aufgeschlüsselte Daten in Bezug auf Einstellung, Ernennung, Bezahlung, Arbeitsverteilung, Beförderung, Diskriminierung, Belästigung, Fehlverhalten, Herabstufung, Entlassung und Austritt. Auch Arbeitslastverteilungsmodelle sollten transparent sein und auf geschlechtsspezifische Vorurteile überwacht werden. Transparenz sei auch bei der Ressourcenverteilung entscheidend, um die Macht informeller Netzwerke zu verringern und Frauen einen gerechteren Zugang zu Ressourcen zu ermöglichen. 

Zudem sollten Führungspersonen dafür verantwortlich sein, Geschlechtergleichheit überall umzusetzen. In Irland hat die Hochschulbehörde empfohlen, dass dies eine Voraussetzung bei der Ernennung von höchsten Führungspositionen sein sollte. Darüber hinaus müsse die Geschlechterbindung und -verteilung auf allen Entscheidungsebenen erreicht werden. Immer mehr Organisationen, darunter auch das Europäische Parlament, empfehlen, dass Entscheidungsgremien zu mindestens 40 Prozent aus Frauen bestehen sollten. Solche Ansätze haben sich als erfolgreich erwiesen: Zum Beispiel in Schweden. Hier verpflichtete die Regierung unlängst die Hochschulen, ihr eine geschlechtergerechte Einstellungspolitik vorzulegen. Das Beispiel Schweden zeige: Geschlechtergerechtigkeit ist möglich, wenn der (hochschul-) politische Wille da ist.

kfi