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dpa

Flüchtlinge an deutschen Hochschulen
Integration mit Hürden

Die Hochschulen sind in das Sommersemester 2017 gestartet. Mit dabei sind auch Flüchtlinge, die ihren Neu­anfang in Deutschland wagen.

Von Katrin Schmermund Ausgabe 5/17

Beratungen, interkulturelle Trainings oder die Einstellung neuer Lehrkräfte: Die Integration von Flüchtlingen gehört für viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an deutschen Hochschulen seit einiger Zeit zum festen Bestandteil ihres Berufsalltags. "Wir haben für die Integration von Flüchtlingen einen ganz besonderen Lehrauftrag angenommen", erklärt etwa Dr. Susanne Preuschoff von der Universität zu Köln. "Sie kehren nicht wie andere internationale Studenten nach wenigen Semestern in ihr Heimatland zurück. Wir wollen sie langfristig halten."

Auch hätten sie ganz andere Bedürfnisse als andere internationale Studierende. "Sie kommen aus einem zerrütteten Umfeld und konnten sich nicht auf ihr Studium vorbereiten. Ihr Existenzdruck ist viel höher als bei anderen Studierenden, weil sie in der Regel kein Geld von zuhause erbitten könnten. Oft sind sie deutlich älter als andere Studierende und haben kaum Deutschkenntnisse."

Man stehe in einem Spannungsfeld, sagt Luise Haack, Projektleiterin eines Flüchtlingsprogramms an der Universität Passau. "Wir können Flüchtlinge nicht immer in Programme für internationale Studierende einbinden, müssen aber auch sicherstellen, dass sie nicht isoliert werden und sich Angebote doppeln." Außerdem gebe es laut Hochschulmitarbeiterinnen und -mitarbeitern trotz viel Unterstützung auch Kritik, dass so viel Geld in die Unterstützung einer vergleichsweise kleinen Gruppe fließe. 100 Millionen Euro sollen bis 2019 alleine vom Bund kommen.
Wie viele Flüchtlinge genau an deutschen Hochschulen studieren, weiß niemand.

Einmal eingeschrieben, werden sie als internationale Studierende gezählt – und das ganz bewusst, betont Katharina Riehle, zuständig für Hochschulprogramme für Flüchtlinge beim Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD). Schließlich soll ihr Studieninteresse und nicht ihr Fluchthintergrund im Vordergrund stehen. Haben sie an keinerlei studienvorbereitenden Programmen teilgenommen, tauchen sie im System der Hochschulen überhaupt nicht als geflüchtet auf.

Eine kürzlich von der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) erhobene Umfrage unter 157 Hochschulen stützt sich daher auch auf Schätzungen der Hochschulen. 1.140 Flüchtlinge waren demnach im Wintersemester 2016/17 in einem Fachstudium immatrikuliert – fünfmal mehr als noch im Sommer 2016, anteilig an rund 2,8 Millionen Studierenden in Deutschland verschwindend wenige.

Voraussetzungen für das ­Studium in Deutschland

Um sich für einen Studienplatz in Deutschland bewerben zu können, müssen Flüchtlinge grundsätzlich dieselben Voraussetzungen erfüllen wie andere internationale Studienbewerberinnen und -bewerber. Dazu zählen eine Hochschulzugangsberechtigung und ausreichend Deutschkenntnisse, für die meisten Fächer das Niveau C1 nach dem Europäischen Referenzrahmen.

Darüber hinaus können Hochschulen weitere Qualifikationen definieren. Der Stand des Asylverfahrens und der Aufenthaltsstatus sind laut Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) grundsätzlich irrelevant. Doch können Flüchtlingen ausländerrechtliche Hindernisse im Weg stehen. Dazu zählen Residenzpflicht und Wohnsitzregelung. Erstere besagt, dass Flüchtlinge im Asylverfahren oder mit Aufenthaltsgestattung in den ersten drei Aufenthaltsmonaten beziehungsweise für die Zeit, in der sie in einer Aufnahmeeinrichtung wohnen müssen, nicht den Bezirk der Ausländerbehörde verlassen dürfen, in dem sie registriert wurden.

Nach der Wohnsitzregelung müssen sie ihren Wohnsitz für drei Jahre nach Anerkennung oder Erteilung der Aufenthaltserlaubnis in einem bestimmten Bundesland halten. Beide Auflagen können auf Antrag für ein Studium oder studienvorbereitende Maßnahmen aufgehoben werden.

Große Hürde Sprach­anforderungen

Die meisten Flüchtlinge haben bislang laut DAAD ein Abschlusszeugnis der Schule oder eines vorherigen Studiums im Heimatland dabei, meist in Kopie oder digital auf dem Handy. Die anabin-Datenbank der Kultusministerkonferenz (KMK) informiert darüber, welche Abschlüsse grundsätzlich anerkannt werden. Um die Qualifikation der Bewerber besser beurteilen zu können, verlangen viele Hochschulen den Studierfähigkeitstest TestAS.

4.730 Flüchtlinge haben sich bis Ende März 2017 angemeldet, die mit Abstand meisten kamen wie der Großteil der Asylbewerber aus Syrien (79 Prozent), dahinter folgten Afghanistan und Iran (5 Prozent) sowie Irak (3 Prozent). Letztlich abgelegt haben den Test 3.552 Flüchtlinge.

Ihre größte Hürde sind häufig die fehlenden Sprachkenntnisse. Den Spracheinstufungstest onSET-Deutsch haben 72 Prozent der Flüchtlinge bisher mit Sprachniveau A2 oder niedriger abgeschlossen. Nur 17 Prozent erreichten B1, 11 Prozent B2 oder ein höheres Niveau.

Im Schnitt brauchen Flüchtlinge laut Deutschem Studentenwerk zwei Jahre, um auf das Sprachniveau C1 zu kommen. Dies liege auch daran, dass es nicht immer einen passenden Kurs gebe.

Medizinstudium favorisiert

Die beliebtesten Fachrichtungen von Flüchtlingen sind laut der Servicestelle uni-assist, die je nach Regelung einer Hochschule die Bewerbungsunterlagen prüft, Medizin und Gesundheitswissenschaften (16 Prozent), Ingenieurwissenschaften (15 Prozent) sowie Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften (15 Prozent). Dass Flüchtlinge einen Studienplatz bekommen, bedeutet es natürlich nicht, denn gerade im Wunschfachgebiet Medizin sind die Anforderungen hoch und die Plätze umkämpft. Oft empfiehlt Susanne Preuschoff den Flüchtlingen auf die angrenzenden Fächer Biologie oder Chemie auszuweichen. Der Grund für die Fächerwahl ist laut DAAD oft deren Prestige in den Heimatländern.

Klappt es mit dem Studienplatz erst einmal nicht, können sich Flüchtlinge an vielen Universitäten als Gasthörer oder zu Schnupperkursen anmelden, was ihnen teils für ein späteres Studium angerechnet wird. Darüber hinaus will etwa die Universität zu Köln künftig stärker mit Wirtschaftsverbänden zusammenarbeiten, um Flüchtlinge besser über die Möglichkeiten einer dualen Ausbildung informieren zu können. Die meisten Flüchtlinge kennen diese Möglichkeit aus ihren Heimatländern nicht und sehen sie zunächst skeptisch.

Probleme mit Studienfinanzierung und Unterkunft

Abgesehen von den Studienanforderungen ist für viele Flüchtlinge die Finanzierung ihres Studiums ein Problem. Registrierte Flüchtlinge im laufenden Asylverfahren erhalten Asylbewerberleistungen. Anerkannten Flüchtlingen steht BAföG zu, vorausgesetzt sie haben ein Sprachniveau von C1 und eine eigene Krankenversicherung. "Dazwischen liegen mehrere Monate Verwaltungsarbeit, in denen sie kein Geld haben", beklagt Susanne Preuschoff.

Die Universität zu Köln löst das Problem damit, dass sie die Flüchtlinge zunächst nicht einschreibt, sondern sie nur an Veranstaltungen teilnehmen lässt. Eine Einschreibung erfolgt nur in expliziter Rücksprache mit den Flüchtlingen.

Die meisten Flüchtlinge erhalten aktuell laut Deutschem Studentenwerk eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen oder sind geduldet. Selbst wenn sie bei Asylantragstellung alle Voraussetzungen erfüllen sollten, müssen sie auf jeden Fall 15 Monate warten bis sie BAföG erhalten können. Eine alternative Studienfinanzierung kann in Einzelfällen ein Stipendium sein.
Hochschulen haben außerdem die Erfahrung gemacht, dass es Flüchtlingen oft nicht gelinge, die Aufhebung ihrer Residenzpflicht durchzusetzen. Durch die häufig prekären Unterkünfte seien sie weiterhin schwer erreichbar und könnten sich nur schlecht auf Kurse vorbereiten, obwohl die meisten sehr motiviert seien.

Hohe Anforderungen an Lehrkräfte von Vorbereitungs­kursen

Flüchtlinge können sich unter anderem in einjährigen Studienkollegs oder Programmen an den Hochschulen auf ihr Studium vorbereiten. Über die vom Bund geförderte Initiative "Integra" wurden 2016 135 Projekte an Hochschulen – darunter 63 an Universitäten – sowie 37 Projekte an Studienkollegs für insgesamt über 6.000 Flüchtlinge gefördert. Zusätzliche Unterstützung kommt von Initiativen wie "NRWege ins Studium" in Nordrhein-Westfalen oder privaten Spendern.

Jede Hochschule entwickelt ihr individuelles Förderkonzept. Katharina Riehle hält deren Entwicklung grundsätzlich für vielversprechend: "Alle Beteiligten sind extrem motiviert. Die Hochschulen haben wirklich sehr schnell reagiert und einige selbst ohne gesicherte Finanzierung schon Förderprogramme initiiert." Unter den Vorbereitungskursen machen Sprachkurse dabei mit 80 Prozent laut DAAD den größten Anteil aus.

Mit dem Umfang ihrer Kursangebote sind die einen auf Nachfrage von Forschung & Lehre schon zufrieden. Andere sehen noch Ausbaubedarf – unter anderem wegen fehlender Räume und nicht ausreichendem Lehrpersonal. Das Gleiche gilt für die Abstimmung zwischen Mitarbeitern von Zulassung, Sprechstunde, Sprachkurs oder Mentorenprogramm sowie mit externen Akteuren wie dem Jobcenter.

Zu den Herausforderungen im Hochschulalltag gehören interkulturelle Unterschiede. Viele Flüchtlinge kämen unpünktlich und hätten zum Beispiel Probleme damit, Vorgaben von Lehrerinnen zu akzeptieren. Susanne Preuschoff bietet interkulturelle Trainings für Lehrkräfte und Flüchtlinge an. Es dürfe auf keinen Fall zu einem Erziehen nach dem Motto 'in Deutschland machen wir es aber so und so' kommen, sagt sie. Oft seien Konflikte auch unbedachtem Handeln geschuldet: "Wenn Lehrkräfte Sprachbeispiele über politische Situationen aus dem Nahen Osten heranziehen, müssen sie akzeptieren, dass Flüchtlinge aus Israel, Syrien oder dem Iran konträrer Meinung sind."

In einem regelmäßigen Arbeitskreis können sich Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeiter an der Universität zu Köln über ihre Erfahrungen austauschen. "Es wird auch künftig noch viele Diskussionen geben, denen wir uns offen stellen müssen." Das sei beim Thema 'Interkulturelles Miteinander' gar nicht anders möglich.

Eine Herausforderung, die sich erst nach und nach zeigt, sind psycho-soziale Probleme der Flüchtlinge. "Aktuell suchen die Hochschulen nach Möglichkeiten, wie sie damit umgehen können", sagt Katharina Riehle. Erfahrungen im Umgang mit Kriegs- und Fluchttraumata hätten Lehrkräfte kaum.

Forschungsarbeiten zur Integration von Flüchtlingen an Hochschulen notwendig

Veränderte Anforderungen an Dozentinnen und Dozenten könnten derzeit noch nicht festgemacht werden, sagt Katharina Riehle, da die meisten Flüchtlinge noch in den Vorbereitungskursen seien. Laut HRK-Umfrage waren es im Wintersemester 2016/17 5.700, 80 Prozent mehr als im Semester davor. Susanne Preuschoff rechnet nicht mit großen Veränderungen. "Im Fachstudium fallen Flüchtlinge zwischen den anderen Studierenden gar nicht unbedingt auf", sagt sie. Natürlich sei es dennoch hilfreich, wenn sich auch Hochschullehrerinnen und -lehrer fortbildeten. "Wir brauchen auch mehr Forschungsarbeiten, die sich mit der Integration von Flüchtlingen an deutschen Hochschulen auseinandersetzen – viele Wissenschaftler arbeiten bereits an entsprechenden Fragestellungen", sagt Katharina Riehle.