Die chinesische Flagge vor grauem Himmel.
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Volksrepublik China
Lehren und Forschen in China

Über die Arbeitsbedingungen deutscher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an den Hochschulen Chinas ist wenig bekannt. Ein Erfahrungsbericht.*

Von Alicia Hennig 14.12.2021

Zahlreiche deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten derzeit als vollwertige Fakultätsmitglieder an chinesischen Universitäten. Die genaue Zahl scheint deutschen Organisationen, wie zum Beispiel dem DAAD oder der deutschen Botschaft in China, nicht bekannt zu sein. Tentativ ist von mehreren hundert Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auszugehen, die an staatlichen chinesischen Universitäten auf der Basis von zeitlich befristeten Drei-Jahres-Verträgen lokal angestellt sind, die gegebenenfalls verlängert werden. Diese Verträge entsprechen im Grunde denjenigen für chinesische Fakultätsmitglieder, das heißt sie beinhalten dieselben Pflichten wie etwa Mittel einzuwerben, Konferenzen beziehungsweise internationale Austausche zu organisieren. Die Verträge sind stets auf chinesisch verfasst und nur die chinesische Version ist die verpflichtende, unabhängig davon, ob der Vertrag auch ins Englische übersetzt wurde (was auch nicht an jeder Universität der Fall ist). Das jährliche Gehalt ist gedeckelt und die Höhe unter anderem auch davon abhängig, in welcher Stadt sich die Uni befindet und welcher Arbeitseinheit (danwei 单位) sie angehört. Insofern sind Verhandlungsspielräume hinsichtlich des Gehalts begrenzt. Die zusätzliche internationale Qualifizierung und Vernetzung ausländischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kann beispielsweise nur bedingt gehaltstechnisch reflektiert werden. Im Unterschied zu chinesischen Akademikerinnen und Akademikern wird ausländischen Wissenschaftlern nicht notwendigerweise der Zugang zu Chinas (ohnehin begrenzten) sozialen Sicherungssystemen, wie zum Beispiel zum öffentlichen Gesundheitswesen, geboten.

Tabus und unrealistische Vertragsziele

Von September 2015 bis Dezember 2017 war ich, Alicia Hennig, als Assistant Professor (Harbin Institute of Technology, HIT, Shenzhen) und später als Associate Professor of Business Ethics (Oktober 2018 bis April 2021, Southeast University, SEU, Nanjing) in China als vollwertiges Fakultätsmitglied angestellt. In Shenzhen unterrichtete ich im Rahmen meiner Vertragspflichten zwei Kurse pro Semester für ausländische Studierende. Ausländische Fakultätsmitglieder wurden bereits damals zunehmend ausländischen Studierenden zugeteilt. Bereits 2016 musste ich, wenn ich an Konferenzen im Ausland teilnehmen wollte, eine Vereinbarung unterzeichnen, nicht über Taiwan und die "One-China-Policy" zu sprechen. Zudem wurde damals eines meiner Lehrbücher zu Philosophie und Ökonomie im Zuge der Unterbindung westlicher Werte bei der Einfuhr vom chinesischen Zoll konfisziert. Allgemein war es bereits zu diesem Zeitpunkt schwer, englische Lehrbücher in China zu bestellen. In aller Regel mussten sie importiert werden mit dem Risiko der Konfiszierung.

Ein Drittel des Gehalts war an die Erfüllung des Publikationsziels gebunden.

Meiner späteren Position in Nanjing gingen langwierige Vertragsverhandlungen voraus. Die Gründe dafür waren unrealistische Vertragsziele (geforderte Anzahl an Publikationen und weitere damit zusammenhängende Kriterien) und -inhalte (Einwerbung von Fördergeldern, Organisation von internationalem Austausch), insbesondere in Bezug auf ausländische Angestellte. Die unrealistischen Publikationsziele resultierten primär daraus, dass ich als ausländische Wissenschaftlerin nicht an chinesischen Verfahren zur Beantragung von Fördergeldern partizipieren konnte. Daraufhin verdoppelte die Administration die Anzahl der zu liefernden Publikationen als "Ausgleich". Ein Drittel des Gehalts war an die Erfüllung des Publikationsziels gebunden. In der Hoffnung, die Publikationsziele beziehungsweise andere Vertragsinhalte vor Ort in einem persönlichen Gespräch nachverhandeln zu können, wie beispielsweise zuvor am HIT in Shenzhen, nahm ich das Angebot an. Letzten Endes häuften sich, vor Ort angekommen, die Probleme. Nachverhandlungen wurden unterbunden. Trotz geforderter jährlicher Einreichung der Publikationen fand weder eine systematische Evaluation statt noch wurden entsprechend Evaluationsergebnisse kommuniziert. Dessen ungeachtet wurde aber behauptet, die Publikationsziele wären nicht erfüllt worden, was ein Drittel an Gehaltsverlust mit sich brachte. Ein Budget für Konferenzen und Forschungsaufenthalte im Ausland wurde verhandelt und im Vertrag aufgenommen, aber die eigentliche Beantragung des Budgets wurde nicht kommuniziert, das Prozedere war gänzlich intransparent. So kam es auch, dass trotz Anmeldung der internationalen Dienstreisen zu Konferenzzwecken die Kosten dafür seitens der Universität nie erstattet worden sind (ca. 3.700 Euro). Die Universität kündigte den Drei-Jahres-Vertrag vorzeitig im April 2020, ignorierte jegliche Klärungsversuche dazu und hat bis heute keine ordentliche Vertragskündigung ausgestellt. Ohne die ist jedoch eine weitere Anstellung in China nicht möglich. Um Unterstützung in dieser schwierigen Situation zu erhalten, habe ich mich mit dem deutschen Konsulat in Verbindung gesetzt – bislang ohne Ergebnis.

Hörsaal mit Kamera

Aus unserer gemeinsamen Erfahrung vor Ort lässt sich darüber hinaus festhalten, dass es Freiheit in Lehre und Forschung an chinesischen Universitäten nicht gibt. So sind seit Anfang 2018 Hörsäle und Seminarräume durchweg mit Kameras und Mikrophonen ausgestattet und mehrmals pro Semester wird der Inhalt von Lehrveranstaltungen unangekündigt durch anonyme Inspektoren inspiziert. Auch dürfen bestimmte Begriffe im Unterricht, wie beispielsweise Menschenrechte, nicht mehr fallen. Es kann zudem vorkommen, dass Studierende Dozenten wegen ideologischen Fehlverhaltens bei der Universität anzeigen, was zu einer Reihe von Strafen führen kann. Dies ist bereits mehrfach an der Universität meines Co-Autoren vorgekommen.

Die Forschung wird ebenso stringent überwacht. So muss zum Beispiel der zu haltende Vortrag vorab einer ideologischen Inspektion unterzogen werden. Veröffentlichungen werden insbesondere in den Geistes- und Sozialwissenschaften regelmäßig auf ihren politischen Inhalt hin inspiziert. Während der Corona-Pandemie und der Abschottung Chinas hat sich die Situation im Hinblick auf Auslandsreisen und den Zugang zu ausländischen wissenschaftlichen Medien noch verschärft. Internationaler Austausch findet lediglich statt, sofern es um naturwissenschaftliche und technische Inhalte geht, an der chinesische Universitäten und der Einparteienstaat interessiert sind. Ansonsten wird jegliches ausländische Gedankengut stringent unterdrückt.

Ahndung ideologischer Regelbrüche

Die Tatsache, dass ein Teil dieses Erfahrungsberichts anonymisiert werden musste, verweist auf ein weiteres Problem in der akademischen Arbeit in China: Insbesondere als in China tätige Wissenschaftlerin beziehungsweise Wissenschaftler geht offene Kritik an den lokalen Verhältnissen mit erheblichen Sanktionen einher. So sind den Autoren dieses Textes mehrere Fälle deutscher Wissenschaftler bekannt, denen aufgrund minimaler ideologischer Regelbrüche (zum Beispiel von Studierenden initiierte Diskussionen zum Thema Hong Kong im Unterricht) von ihren Universitäten gekündigt wurde.

Basierend auf unserer Erfahrung lässt sich abschließend sagen, dass die Administration an chinesischen Universitäten in vielerlei Hinsicht einen großen Einfluss ausübt, beispielsweise auf die Vertragsgestaltung, die oftmals den Ansprüchen internationaler akademischer Arbeit nicht gerecht wird. Ausländische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind zudem in diversen Situationen systematisch benachteiligt im Vergleich zu ihren chinesischen Kollegen. Dass man sich an der Universität ausreichend und akkurat um die formalen Anforderungen im Rahmen des Visums und der Aufenthalts- wie auch Arbeitsgenehmigung kümmert, ist zudem nicht immer garantiert. Hier ist ein deutlicher Mangel an Institutionalisierung und strukturierten Abläufen zu beobachten. Darüber hinaus ist die Einhaltung und Auslegung von Verträgen, Vereinbarungen und Ähnlichem stets abhängig von hierarchischen Beziehungen und sogenannten Gatekeepern. Hinzu kommt die seit einigen Jahren weiter zunehmende ideologische Kontrolle und entsprechende Sanktionen bei Nicht-Einhaltung.
Dauerhaft an einer chinesischen Universität zu arbeiten bedeutet automatisch, auch für den Einparteienstaat zu arbeiten. Die ethische Frage, die wir uns hier gerade in Anbetracht unserer eigenen deutschen Geschichte stellen müssen ist: Inwieweit können wir es vertreten, mit unserer Arbeit direkt oder indirekt ein totalitaristisches System zu fördern beziehungsweise zu legitimieren? Diese Frage stellt sich nicht nur für ausländische Mitarbeiter an chinesischen Universitäten, sondern auch für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland mit Kooperationsprojekten in China.

Anmerkung der Autoren: Unser Bericht reflektiert ähnliche Erfahrungen und Beobachtungen vieler anderer ausländischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an chinesischen Universitäten. Dazu liegen uns bereits umfangreiche qualitative Datensätze vor, die wir systematisch auswerten werden, sobald uns Fördermittel dafür zur Verfügung stehen.

*Anmerkung der Redaktion: Der Co-Autor möchte aus Sorge vor Sanktionen anonym bleiben.

2 Kommentare

  • Peter Bloecker Das ist ein klares Statement, das ich spannend finde: Erfahrungen aus erster Hand und nicht ideologiosch belastet. Gut so ... thank you!
  • Lutz Plümer Ich habe in den letzten 3 Jahren an als Dekan an einer Universität in Chengdu im Südwesten Chinas gearbeitet und finde mich mit meinen Erfahrungen und meinen Wahrnehmungen in diesem Artikel in keiner Weise wieder. Ich erlebte eine eindrucksvolle Willkommenskultur gegenüber internationalen Experten, ein großzügiges Gehalt, weit über dem was meine chinesischen Kollegen in vergleichbaren Positionen erhalten, fleißige Studierende mit großer Lernbereitschaft, die Anregungen aufnehmen wie ein Schwamm, und exzellenten Umfangsformen; eine herzliche Gastfreundschaft auch bei dem „Mann auf der Straße“. Ich habe dort immer gerne gearbeitet und gelebt. Wenn ich allerdings einen nicht zufriedenstellenden Vertrag erst unterschreibe und auf Nachverhandlungen setze, kann das auch in Deutschland zu Frustration führen. In der Tat, der Publikationsdruck ist (unangemessen) hoch, ebenso das Ranking, aber das gilt inzwischen auch für deutsche (Top-) Universitäten, wenngleich mit mehr Augenmaß. Das Verwaltungshandeln ist oft weder transparent noch effizient, aber das habe ich auch an deutschen Universitäten erlebt, wenngleich in geringerem Ausmaß. Trotzdem: die positiven Erfahrungen sind dominant. Videokameras im Hörsaal habe ich nicht erlebt, außer für Online-Veranstaltungen 2020. Natürlich musste ich mich vertraglich verpflichten, mich an die Gesetze der VR China zu halten. Politische Diskussionen mit meinen Studierenden habe ich weder in China noch vorher in Deutschland gesucht, mich stattdessen an die Maxime Max Webers gehalten: Politik gehört nicht aufs Katheder. Aber dass ich meine Lehre frei gestalte, einen ganz anderen Stil pflege als meine chinesischen Kollegen, dass ich internationale Studienkultur und unabhängiges Denken fördere und die Studierenden motiviere, ihren eigenen Stil zu entwickeln – das wurde von der Universität nicht nur unterstützt, sondern regelrecht erwartet. Erlebnisse wie die geschilderten sind bedauerlich, die Gesamtsituation beschreiben sie nicht.