Bildung in Deutschland 2022
Nachfrage nach Hochschulbildung stagniert
Die Akademisierung der Bildung schreitet vorerst nicht weiter voran, befindet der Nationale Bildungsbericht "Bildung in Deutschland 2022". Die bis vor zehn Jahren wachsende Nachfrage nach Hochschulbildung stagniere weiter mit nur geringen Schwankungen, liege aber auf hohem Niveau. Anzeichen für eine strukturelle Überakademisierung des Arbeitsmarkts sieht der Bericht dabei nicht. Der geschäftsführende Direktor des Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation (DIPF), Professor Kai Maaz stellte den aktuellen Bericht am Donnerstag in Berlin im Beisein von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) und der Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Karin Prien (CDU) vor.
Der umfangreiche Report wird alle zwei Jahre unter Federführung des DIPF erstellt und bildet alle Bereiche des Bildungssystems ab – von der Kita, über die Schulen, die Berufs- und Hochschulen bis zur Weiterbildung. Der aktuelle Bericht analysiert die Erfahrungen der Corona-Pandemie in den unterschiedlichen Bildungsbereichen. Dabei betonen die Autorinnen und Autoren, dass sich sämtliche Auswirkungen der Pandemie an den Hochschulen wie in anderen Bildungsbereichen noch nicht gänzlich abschätzen ließen.
Hochschulen für angewandte Wissenschaften und private Hochschulen werden wichtiger
Der Bericht hebt die zunehmende Bedeutung der Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW, vormals Fachhochschulen) hervor, für die sich fast die Hälfte der heutigen Studienanfängerinnen und –anfänger entschieden. Auch private Hochschulen gewännen weiter an Bedeutung mit knapp 14 Prozent der Studienanfängerinnen und Studienanfänger in 2020, gegenüber etwa zwei Prozent im Jahr 2000. Private Hochschulen stützten den Trend, hochschulische Bildung als Weiterbildung in Anspruch zu nehmen, mit einem spezialisierten Studienangebot, das sich an beruflich bereits qualifizierte und berufstätige Studieninteressierte richte. Dabei dominierten vor allem die Wirtschaftswissenschaften. Laut Bericht schreiben sich 37 Prozent der Studienanfängerinnen und –anfänger an privaten Hochschulen in einem wirtschaftswissenschaftlichen Fach ein im Vergleich zu 14 Prozent der Erstsemester an öffentlichen Hochschulen. Die Gesundheitswissenschaften und psychologische Studienangebote spielen demnach ebenfalls eine große Rolle: Zehn beziehungsweise 13 Prozent der Studienanfängerinnen und –anfänger an privaten Hochschulen konzentrierten sich auf diese Bereiche im Vergleich zu nur zwei Prozent an öffentlichen Hochschulen.
Die Anzahl der Hochschulen in Deutschland ist laut Bericht mit 423 im Jahr 2021 in etwa konstant geblieben (424 im Jahr 2020). An diesen werden demnach knapp 21.300 Studiengänge angeboten, darunter 9.570 Bachelorstudiengänge, 10.000 Masterstudiengänge und etwa 1.300 Studiengänge, die zum Staatsexamen führen. Damit sei die Anzahl der Studiengänge ungefähr doppelt so hoch als noch im Jahr 2005, was auch mit der flächendeckenden Einführung des Bachelor- und Master-Systems zusammenhinge. Jüngste Zuwachse seien allerdings einer stärker werdenden Spezialisierung geschuldet.
Herkunftsspezifische Unterschiede am Übergang in die Hochschule
Allgemein würden die Studienzeiten länger und Regelstudienzeiten meist überschritten. Die mittlere Gesamtstudiendauer im Bachelorstudium lag demnach zuletzt bei 7,9 Semestern an Universitäten und 7,5 Semestern an HAW, obwohl an Universitäten das Modell des sechssemestrigen Bachelorstudiums dominiere und dieses an HAW meist auf sieben oder acht Semester ausgelegt sei. Nur ein gutes Drittel aller Studierenden erreiche den Abschluss aktuell innerhalb der Regelstudienzeit. In Bezug auf das Bafög urteilt der Bericht entsprechend, dass seine Förderhöchstdauern die Studienrealität der meisten Studierenden nicht widerspiegelten.
Nach wie vor beeinflussten Unterschiede in der Herkunft von Schülerinnen und Schülern den Übergang ins Studium. So studierten Studienberechtigte aus Nichtakademikerfamilien seltener. Dabei beeinflussten sie verschiedene Faktoren. Die drei wichtigsten seien die wahrgenommenen Kosten eines Studiums (darunter finanzielle, soziale und räumliche Kosten), der elterliche Studienwunsch für das Kind und die Schulabschlussnoten. Dies stellt bildungspolitische Bemühungen vor die Herausforderung, dass sie an vielen unterschiedlichen Stellen ansetzen müssen (und können), wenn sie das Ziel verfolgen, herkunftsspezifische Ungleichheiten am Übergang ins Studium abzubauen, so die Autorinnen und Autoren des Bildungsberichts.
Personalzuwachs durch gestiegene Kinderzahlen fast ausgeglichen
Für den aktuellen Bericht wählten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das Schwerpunktthema "Bildungspersonal": Trotz zum Teil kräftigen Personalzuwachses in Kitas, Schulen und Hochschulen in den vergangenen zehn Jahren stehen dem deutschen Bildungssystem nach Expertenansicht schwierige Zeiten wegen Fachkräftemangels bevor. "Die Frage des Personalbedarfs ist eine der drängendsten", sagte Maaz.
Laut Report hat sich in Kitas, Schulen und Hochschulen die Personalstärke seit 2010 "teils merklich" erhöht. Personalgewinnung und Personalqualifizierung bleibe aber in den kommenden Jahren essenziell für weiterhin hochwertige Bildungsangebote. Und der Personalbedarf wird nach Ansicht der Autoren weiter steigen, besonders in der Frühen Bildung.
Auf etwa 400 Seiten werden im Bericht "Bildung in Deutschland 2022" Entwicklungen, Trends und Probleme im gesamten Bildungssystem beschriebe. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben dafür Daten aus Statistiken und Studien ausgewertet.
cpy/dpa