Das Foto zeigt den Blick durch ein rundes Fenster in ein Labor der Universität Chemnitz
dpa

Wissenschaftssystem
Wider den Zwang zur Konformität in der Wissenschaft

Jahrzehntelang haben sich die Prozesse in der Wissenschaft beschleunigt und verändert. Wissenschaftsorganisationen fordern nun grundlegende Reformen.

12.07.2018

Der herrschende Konformitäts- und Publikationsdruck steht der Qualität von Forschung und der Risikobereitschaft von Forschern entgegen. Quantifizierung, Indikatorisierung und der unsachgemäße Einsatz von Metriken in der wissenschaftlichen Leistungsbewertung verschärfen das Problem zusätzlich.

Vor diesem Hintergrund haben die Präsidenten und Vorsitzenden von Wissenschafts- und Förderorganisationen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) von heute zehn Prinzipien zur Stärkung von personenbezogenen Auswahlverfahren veröffentlicht. Die Autoren sind Professor Jörg Hacker, Präsident der Leopoldina, Professor Martin Lohse, Max-Delbrück-Centrum, Professor Peter Strohschneider, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, und Wilhelm Krull, Generalsekretär der Volkswagen Stiftung.

Immer abhängiger von Vorgaben der Politik

Vor dem Hintergrund des jahrzehntelangen steten Wachstums der Wissenschaftssysteme weltweit und dem schärferen Wettbewerb habe sich die Dynamik von Forschungsprozessen verstärkt und verändert. Zugleich wurden die Wissenschaft nach Ansicht der Autoren „immer abhängiger von wissenschaftspolitischen Vorgaben bei der Messung ihres Erfolges, die für ihre Finanzierung ausschlaggebend sind“. „Die Entscheidungsmacht im Wissenschaftssystem hat sich von der wissenschaftsinternen kollegialen zur wissenschaftsadministrativen und –politischen Ebene verschoben“, heißt es in dem Beitrag.

Dazu komme, dass das institutionelle Vertrauen in die Forschung und die Forscher abnehme. Ursache hierfür seien „überzogene Transparenz-Imperative und Dauer-Evaluation“, die geradezu das Misstrauen institutionalisierten. Innerhalb wissenschaftlicher Institutionen würden die Schnelligkeit der Erkenntnisgewinnung und die unmittelbare Nützlichkeit von Forschungsergebnissen erwartet und honoriert. Darunter werde früher oder später die Qualität der Forschung leiden. Es drohten Situationen, in denen risikobehaftete Projekte gar nicht erst in Angriff genommen würden und radikal neue Ideen keine finanzielle Unterstützung fänden.

"Unkultur der Selbstoptimierung"

All dies führt nach Ansicht der Autoren zu einem Konformitätszwang, der der Grundidee der Wissenschaft widerspreche. Dies wirke sich wiederum auf junge Wissenschaftler „besonders negativ“ aus. Es führe zu einer „geförderten Unkultur der Selbstoptimierung“ gemäß externer Vorgaben und gefährde die Risikobereitschaft und die Neugier in der Forschung.

Die Autoren schlagen deshalb vor, qualitative und quantitative Formen der Bewertung so zu kombinieren, dass die angesprochenen Folgen des Systemwachstums „so weit wie möglich“ abgeschwächt würden. Es gehe um einen „Informed Peer Review“. Der Auswahlprozess müsse in drei Phasen gegliedert werden. Darin sollten „Metriken schrittweise“ weniger Bedeutung erhalten.

In einer ersten Phase solle die Bewerberlage gesichtet und eine überschaubare Anzahl von Bewerbungen unter Einbeziehung auch von formalen Aspekten und Metriken ausgewählt werden.

In der zweiten Phase sollte die Gruppe der besten Bewerbungen differenziert nach qualitativen und quantitativen Aspekten ausgewählt werden.

Die dritte Phase brächte dann die endgültige Auswahl durch individuell qualitative Betrachtung der vorausgewählten Besten.

Zu den leitenden Prinzipien dieser so strukturierten Personalauswahl gehören aus Sicht der Autoren u. a.: qualitativen Aspekten mehr Relevanz zuzuerkennen, personalisierte Einzelvoten gegen den Konformitätsdruck einzusetzen, die Publikationsanzahl zu begrenzen, individuelle Besonderheiten von Lebensläufen zu beachten und soziale Kompetenzen wertzuschätzen. Darüber hinaus solle die Toleranz gegenüber Irrtümern gestärkt sowie Potenziale und Perspektiven stärker gewichtet werden.

gri