Studierende mit Laptop & Co
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Urheberrecht
Digitale Wissenschaft und Nutzung fremder Werke

Die Corona-Pandemie verlagert die Lehre und die Präsentation von Forschungsergebnissen verstärkt ins Digitale. Was müssen Wissenschaftler beachten?

27.04.2020

Der Einsatz digitaler Technologien in Forschung und Lehre wirft neue Fragen zum Urheberrecht auf. Die Lehre und der Austausch mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern laufen über Zoom und andere Software für Videokonferenzen, Scans von Artikeln werden geteilt oder auf digitalen Lehrplattformen zum Download abgelegt. In Zeiten der Corona-Pandemie und Kontakt- und Reisebeschränkungen gilt das mehr denn je. Der Jurist Dr. Till Kreutzer erklärt, was Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beachten müssen, um in Lehre und Forschung rechtskonform zu handeln.

Welche Vorgaben enthält das Urheberrecht zur technisch gestützten Lehre und Forschung?

Das Urheberrecht schützt Werke wie Texte, Musik, wissenschaftliche Darstellungen, Filme, Fotos und vieles mehr. Bereits kurze Texte, banale Tonfolgen oder Schnappschüsse sind in aller Regel geschützt. Dadurch ergeben sich erhebliche Auswirkungen auf das alltägliche Handeln, nicht nur in der Lehre und Forschung, sondern auch im Privatleben. Denn das Urheberrecht ist ein ausschließliches "Herrschaftsrecht", das heißt, der Urheber alleine hat die Rechte an seinem Werk und muss um Erlaubnis gefragt werden, bevor geschütztes Material genutzt werden darf.

Ob er seine Fotos frei zugänglich ins Internet gestellt hat, ändert hieran ebenso wenig etwas wie die Tatsache, dass die weitaus meisten Werke irgendwo im Netz frei verfügbar sind und ohne weiteres kopiert, digital geteilt oder verschickt werden können. Grundsätzlich gilt auch in der digitalen Welt: Wer ohne Erlaubnis vom Rechteinhaber kopiert, teilt oder streamt, begeht eine Rechtsverletzung und kann abgemahnt oder verklagt werden.

Dr. Till Kreutzer
Der Rechtsanwalt Dr. Till Kreutzer hat sich auf Urheberrechtsfragen im Digitalen spezialisiert. Er ist Mitgründer des Urheberrechtsportals iRights.info und assoziiertes Mitglied am Hans-Bredow-Institut für Medienforschung an der Universität Hamburg. privat

Von diesem Grundsatz gibt es zahlreiche Ausnahmen, die im deutschen Urheberrecht Schrankenbestimmungen genannt werden. Diese erlauben es per Gesetz – also ohne Zustimmung vom Rechteinhaber – geschütztes Material zu bestimmten Zwecken zu nutzen, beispielsweise zu kopieren oder online zu stellen. Einige dieser gesetzlichen Erlaubnisse beziehen sich auf die Bildung und Forschung.

Diese Regelungen sind oft nicht einfach zu handhaben. Sie gestatten es nicht etwa, mit geschütztem Material "zu machen, was man will" soweit es nur der Lehre oder Wissenschaft dient. Vielmehr sind auch in diesem Bereich nur ganz bestimmte Handlungen erlaubt, die im Urheberrechtsgesetz (UrhG) im Einzelnen geregelt sind. Leider ist es nicht immer eindeutig, ob die Voraussetzungen einer gesetzlichen Erlaubnis im konkreten Fall vorliegen. Weil sie eine Vielzahl unterschiedlicher Konstellationen abdecken müssen, werden viele "unbestimmte Rechtsbegriffe" verwendet, die unterschiedliche Interpretationen zulassen. Im Zweifel sollten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Rechtslage besser nochmals kurz mit der Rechtsabteilung klären, bevor sie versehentlich ein urheberrechtlich geschütztes Werk verwenden.

Darf ich geschützte Werke mit Unterrichtsteilnehmern oder Kolleginnen und Kollegen teilen?

Sowohl in der schulischen als auch der universitären Lehre werden heute meist Online-Systeme eingesetzt (wie Lern-Management-Systeme, LMS). Sie dienen unter anderem als Cloudspeicher, über die Materialien bereitgestellt werden können. Diese Methode hat das Austeilen oder Verschicken von physischen Kopien weitgehend verdrängt. Im Angesicht von Kontaktbeschränkungen und Ansteckungsrisiken durch Schmierinfektionen kommt der digitalen Verfügbarmachung eine besondere Bedeutung zu.

Das UrhG enthält zwei Bestimmungen, die das digitale Teilen unter bestimmten Voraussetzungen erlauben. Paragraf 60a UrhG (die "Unterrichtsschranke") erlaubt Nutzungen "zur Veranschaulichung des Unterrichts und der Lehre". Paragraf 60c UrhG ("Wissenschaftsschranke") enthält gesetzliche Gestattungen "zum Zweck der nicht kommerziellen wissenschaftlichen Forschung".

Die Unterrichtsschranke erlaubt es, "bis zu 15 Prozent" eines Werks für die Teilnehmenden an Lehrveranstaltungen an öffentlichen Bildungseinrichtungen online verfügbar zu machen. Das Material kann separat zugänglich gemacht werden (in einer eigenen Datei) oder auch in eigenes Lehr- und Lernmaterial integriert werden, beispielsweise ein Foto oder eine Grafik. Die Unterrichtsteilnehmer können es herunterladen und dauerhaft speichern. Analoges Material darf hierfür digitalisiert (zum Beispiel gescannt) werden.

Der Umfang von 15 Prozent kann bei bestimmten Inhalten überschritten werden. Abbildungen wie Fotos oder Grafiken beispielsweise dürfen kopiert und geteilt werden, ebenso einzelne Beiträge aus einer Fachzeitschrift. Gleiches gilt für "Werke geringen Umfangs". Hiermit gemeint sind zum Beispiel Musikstücke oder Filme und Videos von maximal fünf Minuten Länge oder Texte mit maximal 25 Seiten (auch wenn sie nicht in einer Fachzeitschrift erschienen sind).

Die Unterrichtsschranke hat einige Einschränkungen. So darf der Unterricht keinen kommerziellen Zwecken dienen. Das heißt, dass etwa kostenpflichtige Seminare, die der Gewinnerzielung oder Unternehmenszwecken dienen, nicht unter diese Regelung fallen. Zudem dürfen die Inhalte nur für konkrete Teilnehmer einer bestimmten Unterrichtsveranstaltung bereitgestellt werden. Der Zugriff durch Dritte ist durch technische Mittel zu verhindern. In einem LMS müssen also Lernräume eingerichtet werden, auf die nur die Teilnehmer der jeweiligen Unterrichtseinheit Zugriff haben.

"Eine Bereitstellung beispielsweise für alle Studierenden, die auf den Server einer Universität zugreifen können, ist nicht gestattet." Till Kreutzer, Rechtsanwalt für Urheberrecht

Auch können Ordner verwendet werden, die nur einer bestimmten Gruppe zugänglich gemacht werden. Eine Bereitstellung beispielsweise für alle Studierenden, die auf den Server einer Universität zugreifen können, ist nicht gestattet, umso weniger natürlich eine freie Zugänglichmachung im Internet. Allerdings dürfen Dozierende die Kopien auch mit Kolleginnen und Kollegen teilen, die sie dann ihrerseits den eigenen Unterrichtsteilnehmern zur Verfügung stellen können. Die Möglichkeit ist für Material interessant, das auf aufwändige Weise digitalisiert werden muss.

Für Forschungszwecke gelten weitgehend dieselben Regeln. Geschütztes Material kann kopiert und im Kollegenkreis geteilt werden. Auch hier gelten die genannten Umfangsbeschränkungen, zum Beispiel, das in der Regel nur 15 Prozent eines Werks verfügbar gemacht werden dürfen. Für die eigene wissenschaftliche Nutzung dürfen bis zu 75 Prozent eines Werkes kopiert werden, sofern die Kopien nicht an Dritte weitergegeben werden.

Kann ich urheberrechtlich geschütztes Material während Videokonferenzen oder Online-Vorlesungen zeigen?

Die Nutzung in Video-Konferenzen, zum Beispiel mit Zoom, Skype oder Google Hangouts, oder bei Online-Vorlesungen unterscheidet sich vom oben genannten Szenario dadurch, dass hier Live-Präsentationen stattfinden. Urheberrechtlich betrachtet ist das grundsätzlich eine andere Nutzungsart als das Hochladen, dauerhafte Speichern und zum Download verfügbar machen.

Dies wirkt sich auf die rechtliche Beurteilung solcher Nutzungen aus. Die Unterrichtsschranke erlaubt auch die "sonstige öffentliche Wiedergabe", worunter unter anderem Live-Streaming fällt. In einem Massive Open Online Course (MOOC), also einer Online-Lehrveranstaltung, dürfen also – nach den oben geschilderten Regeln – geschützte Werke genutzt und in das Unterrichtsmaterial eingebunden werden. Gleiches gilt für alle Formen des "Distance Learning", den Fernunterricht an Schulen oder Webinare an Hochschulen.

Im Forschungskontext unterscheidet sich die Rechtslage jedoch von der in der Lehre. Anders als die Unterrichtsschranke erlaubt die Wissenschaftsschranke nur die "öffentliche Zugänglichmachung" und nicht die sonstige öffentliche Wiedergabe. Das Streaming und Präsentieren von fremdem Material in wissenschaftlichen Online-Konferenzen oder rein wissenschaftlichen Zwecken dienenden Video-Calls fällt damit nicht hierunter. Diese Ungleichbehandlung führt zu merkwürdigen Ergebnissen. So dürfte beispielsweise eine Wissenschaftlerin, die auf einer Online-Konferenz einen Vortrag hält, Folien erstellen, in denen Auszüge aus fremden Publikationen oder Grafiken enthalten sind. Diese dürfte sie nach Paragraf 60c UrhG den Teilnehmern jedoch nur per Download zur Verfügung stellen, nicht aber in ihrem Vortrag live präsentieren. Letzteres wäre nur nach den engeren Voraussetzungen des Zitatrechts (Paragraf 51 UrhG) zulässig.

Zitieren erlaubt

Das Zitatrecht ermöglicht es, in wissenschaftliche Abhandlungen, Lehrmaterial oder Präsentationen fremde geschützte Inhalte einzubeziehen. Es verlangt, dass es einen inneren Zusammenhang zwischen dem Zitat und den eigenen Ausführungen gibt ("Zitatzweck"). Eine Grafik aus einem Buch darf daher etwa zitiert werden, wenn sie veranschaulicht, worüber man geschrieben hat. Auch Musik- oder Filmsequenzen dürfen grundsätzlich zitiert werden, wenn ein Zitatzweck vorliegt.

Zitate müssen der Unterstützung eigener Errungenschaften dienen. Sie sind nur insoweit zulässig, als es der Zitatzweck erfordert, Zitate dürfen einen "angemessenen Umfang" nicht überschreiten ("soviel wie nötig, so wenig wie möglich"). Dementsprechend gilt das Zitatrecht in aller Regel nur für auszugsweise Nutzungen (Ausnahme: Fotos und Grafiken) und nicht für isolierte Präsentationen oder Kopien von fremdem Material (dafür können die Unterrichts- oder Wissenschaftsschranken eingreifen).

Ordnungsgemäßes Zitieren erfordert nach Paragraf 63 UrhG eine Quellenangabe. Sie muss möglichst eindeutig kennzeichnen, dass der jeweilige Bestandteil übernommen wurde. Anzugeben ist zumindest der Urheber des zitierten Inhalts und die Fundstelle (zum Beispiel Werktitel, Seitenangabe, Erscheinungsjahr). Nur in Sonderfällen muss auch der Verlag (sofern es einen gibt) genannt werden. Details sind hier nicht durch das Recht vorgegeben. Standards werden vielmehr in der Praxis gesetzt, zum Beispiel durch die einzelnen Fachdisziplinen.