Illustration einer Sprechblase einer Person, die zerstochen wird
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Politisches Mäßigungsgebot
Wieviel Freiheit darf sich ein Wissenschaftler nehmen?

Hochschullehrer und Hochschullehrerinnen stehen als Beamte in einem besonderen Treueverhältnis und tragen eine besondere Verantwortung.

Von Klaus Ferdinand Gärditz Ausgabe 2/18

Politische Meinungen können provozieren. Der Schutz der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz [GG]) hängt nicht von der Qualität einer Meinung oder davon ab, ob diese gut begründet oder durchdacht ist. Dies mag bisweilen schmerzen, hat aber seinen Eigenwert. Es wird die Möglichkeit geschützt, sich frei und unbefangen zu äußern, ohne Sanktionen zu befürchten. Zudem verdeutlicht die Meinungsfreiheit fortwährend, dass der demokratische Prozess keine politischen Wahrheiten kennt, also stets entwicklungsoffen und unabgeschlossen zu denken ist. Die Meinungsfreiheit steht allerdings unter dem Vorbehalt des allgemeinen – meinungsindifferenten – Gesetzes, das für alle (auch für Hochschullehrerinnen und -lehrer) gilt, etwa die strafbewehrten Verbote der Beleidigung oder Volksverhetzung.

Das Mäßigungsgebot

Beamtenrechtliche Dienstpflichten können jedoch eine weitergehende Mäßigung verlangen. Das Dienst- und Treueverhältnis, in dem Beamtinnen und Beamte stehen, sichert einerseits ein hohes Maß an persönlicher Unabhängigkeit. Andererseits gehen damit auch besondere Pflichten einher, das eigene Verhalten den Erfordernissen des jeweiligen Amtes anzupassen. Mit dem Bundesverfassungsgericht: "Der freiwillige Eintritt in das Beamtenverhältnis ist eine vom Bewerber in Freiheit getroffene Entscheidung für die Bindung an das Gemeinwohl und die Treue zu einem Dienstherren, der in der Demokratie für das Volk und kontrolliert durch das Volk handelt. Wer Beamter werden will, darf deshalb das Gebot der Mäßigung und der beruflichen Neutralität nicht ablehnen, weder generell noch in Bezug auf bestimmte, vorweg erkennbare dienstliche oder außerdienstliche Konstellationen" (BVerfGE 108, 282, 316). Diese besondere Pflichtenbindung ist in den verfassungsrechtlich gewährleisteten "hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums" (Art. 33 Abs. 5 GG) verankert und daher grundsätzlich geeignet, verhältnismäßige

Grundrechtseingriffe zu rechtfertigen. Daher bestimmt das auch für verbeamtete Hochschullehrer geltende allgemeine Beamtenrecht, dass das jeweilige Verhalten der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden muss, die der Beruf erfordert (Paragraf 34 Satz 3 Beamtenstatusgesetz [BeamtStG]). Dies hat Folgen für die Möglichkeiten politischer Betätigung und Meinungsäußerung. Beamtinnen und Beamte sind zwar Träger politischer Freiheitsrechte, dürfen sich also aktiv politisch betätigen, etwa in Parteien eintreten, politische Ehrenämter übernehmen und durch Meinungsäußerungen an der politischen Willensbildung mitwirken. Das Berufsbeamtentum hat freilich verfassungsrechtlich gerade auch die Aufgabe, als Gegengewicht zum "politischen Kräftespiel eine stabile, gesetzestreue Verwaltung zu sichern" (BVerfGE 121, 205 220).

Dieses gezielt entpolitisierende Moment, das die rechtsstaatliche Bindung an das demokratische Gesetz durch Professionalisierung sichern soll (BVerfGE 119, 247, 261-262), wäre gefährdet, wenn Beamtinnen und Beamte ihre Amtsführung nach persönlichen politischen Überzeugungen ausrichten oder jedenfalls objektiv der Eindruck entsteht, dass eine neutrale Amtsführung nicht mehr gewährleistet ist. Aus diesem Grund setzt Paragraf 33 Abs. 2 BeamtStG der politischen Betätigung verfassungskonform Grenzen: Beamtinnen und Beamte haben hiernach diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergibt.

Inner- und außer­dienst­liches Verhalten

Amtliches und privates Handeln werden getrennt und verschiedenen Regeln unterworfen. Das Amt dient nicht der Entfaltung persönlicher Freiheit, sondern der gemeinwohl- und rechtsgebundenen Auftragserfüllung, es transformiert Macht in Recht (Josef Isensee). Beamtinnen und Beamte sind zwar hierdurch nicht rechtlos gestellt, können sich also weiterhin auf ihre Grundrechte berufen. Jedoch werden Freiheitsrechte in ihrem Verwirklichungsanspruch zurückdrängt, soweit die Amtserfüllung dies erfordert.

Das Mäßigungsgebot gilt uneingeschränkt nur im Zusammenhang mit dienstlichen Handlungen. Beamtinnen und Beamte können außerhalb der Amtsausübung als Privatpersonen demgegenüber weiterhin ihre politischen Freiheitsrechte in Anspruch nehmen. Sie müssen gleichwohl aus Rücksicht auf ihr Amt (materieller Dienstbezug) Einschränkungen hinnehmen, nur sind diese deutlich weniger restriktiv. Ein Verhalten außerhalb des Dienstes ist nur dann ein Dienstvergehen, wenn es nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für das jeweilige Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen (Paragraf 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG). Eine private Äußerung, die als solche kenntlich ist, verletzt dienstliche Pflichten allenfalls dann, wenn sie zum Beispiel auf eine parteiliche Amtsführung schließen lässt (zum Beispiel diskriminierende Verächtlichmachung von Personengruppen, die von dienstlichen Handlungen – wie einer Prüfung – betroffen sein können) oder das Ansehen des Dienstherrn massiv schädigt (zum Beispiel Verherrlichung totalitärer Ideologien).

Amtsspezifische Besonder­heiten der Hochschullehre

Welche Zurückhaltung das Mäßigungsgebot verlangt, lässt sich nicht abstrakt bestimmen, sondern hängt konkret von den jeweiligen Amtsfunktionen, der mit dem Amt verbundenen Verantwortung und der öffentlichen Wahrnehmung des Amtes ab. So müssen beispielsweise Richterinnen und Richter funktionsbezogen besonderen Neutralitätserwartungen entsprechen; wer mit der Anwendung von Zwangsgewalt betraut ist, verfügt über Machtmittel, die als Korrelat besondere Loyalität erfordern. Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer haben ein besonderes Amt, weil ihnen dieses übertragen wurde, freie – grundrechtlich geschützte – Forschung und Lehre wahrzunehmen. Hier wird atypisch der persönliche Freiheitsgebrauch mit dem Amt verbunden.

Immunität wissen­schaft­licher Thesen

Wissenschaftliche Tätigkeit als solche unterliegt nicht der Mäßigungspflicht. Forschungsergebnisse sind Resultat eines (gewiss: rechtlich umhegten) wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses, der (in geschützter Freiheit vertretbar gewählten) epistemologischen bzw. methodischen Prämissen einer Disziplin und damit Kriterien wissenschaftlicher Richtigkeit folgt, nicht aber rechtlichen Codes. Ein Forschungsergebnis mag richtig, falsch oder umstritten sein; es ist aber nicht rechtswidrig oder rechtmäßig.

Die Aussage, der Entropiesatz der Thermodynamik sei verfassungskonform, wäre unsinnig. Für die politisch unangenehmen Thesen eines empirischen Migrationsforschers gilt nichts anderes. Da die Rechtsordnung ihrerseits ein autonomes System bildet und die Rechtsgeltung als Akt politischer Setzung nicht von einer wissenschaftlichen Richtigkeit abhängt, ergeben sich hieraus auch keine grundsätzlichen Konflikte. So würde ein Theologe nicht zum Verfassungsfeind, weil er einer heiligen Quelle entnimmt, dass eine Monarchie von Gottes Gnaden die beste Herrschaftsform sei, solange er seine Erkenntnis nicht in politische Agitation umsetzt.

Die wissenschaftliche Richtigkeit oder Unrichtigkeit ist nach ständiger Rechtsprechung hoheitlicher Feststellung durch Staat oder Hochschule generell entzogen. Die Wissenschaftsfreiheit schützt Wissenschaft unabhängig von ihrer Qualität, nicht weil Qualitätssicherung unwichtig wäre, sondern weil der freie Kommunikationsprozess, der auch von Fehlern, Irrtümern, Dissens und Anpassung lebt, vor einer Intervention geschützt werden muss, die autoritativ Wahrheiten dekretiert. Über gute oder schlechte Wissenschaft kann daher im Vertrauen auf das bessere Argument nur die Scientific Community streiten.

Wissenschaftliche Erkenntnisse dürfen auch gelehrt werden. Die Bindung der Lehre an die Treue zur Verfassung (Art. 5 Abs. 3 Satz 2 GG) richtet sich nur gegen den Missbrauch des Hörsaals zur verfassungsfeindlichen Agitation, nicht etwa gegen wissenschaftliche Kritik an der Verfassung. Auch Verkürzungen, plakative Formulierungen und Provokantes sind geschützt, namentlich wenn hierdurch ein kritischer Denkprozess im Diskurs mit den Lernenden angeregt werden soll.

Die Grenzen sind allerdings überschritten, wenn der Ausbildungs- und Achtungsanspruch, der allen Studierenden gleichermaßen zukommt, verletzt wird, zum Beispiel durch Herabsetzung oder Ausgrenzung einzelner Personen oder Gruppen. Etwa der Versuch, Studentinnen mit religiös getragenem Kopftuch herablassend aus dem Hörsaal zu ekeln, verletzt Dienstpflichten.
Obgleich wissenschaftstheoretisch voraussetzungsvoll, gibt es immer auch methodisch evident Unvertretbares, das hinter basale Rationalitätserwartungen der Zeit zurückfällt (Beispiele: Wünschelrutengang, Gesundbeten, Kreationismus, Homöopathie, Astrologie). Auch wenn Betroffene subjektiv hieran glauben, wird daraus keine geschützte Wissenschaft.

Die Immunisierung freier Forschung und Lehre endet zudem dort, wo es gar nicht um ernsthafte methodengeleitete Erkenntnisprozesse ("Wahrheitsfindung") geht, sondern lediglich um Camouflage politischer Agitation, beispielsweise Holocaustleugnung (vgl. BVerfG, B. v. 30.11. 1988 – 1 BvR 900/88) oder Verschwörungstheorien in Aufsatzform. Aber auch eine ungefilterte politische Agenda unter Verzicht auf rationalisierende Methoden, die unverzichtbar sind, die Differenz zwischen wissenschaftlichen Aussagen und bloßen Meinungen zu markieren, fällt aus dem Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit. Indizien für bloße (nichtwissenschaftliche) Meinungsäußerungen wären etwa die fehlende fachliche Nähe zum Äußerungsgegenstand oder eine Dogmatisierung, die Mindestbedingungen argumentativer Offenheit verweigert und an die Stelle rationalisierenden Diskurses die Verkündung nicht mehr zu hinterfragender Wahrheiten stellt.

Nichtwissenschaftliche Meinungs­äußerungen

Auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kommunizieren nicht ausschließlich wissenschaftlich, sondern betätigen sich oft als Public Intellectuals auch über ihre Fachgrenzen hinaus. Dies muss nicht immer bereichernd sein. Es gehört aber zum tradierten Bild des Professorenamtes, Standpunkte zu haben und diese auch zu äußern. Die gesellschaftliche Rolle einer freien Wissenschaft erschöpft sich nicht darin, Triebfeder der Erkenntnis zu sein, sondern war und ist in bester Gelehrtentradition immer auch kritische Gegenöffentlichkeit, die sich gerade dann widerspenstig zeigen darf, wenn Konformitätsdruck gesellschaftliche Offenheit zu lähmen droht. Das Mäßigungsgebot hat daher für politische Meinungsäußerungen von Professorinnen und Professoren, die nicht für ihre Institution, sondern für sich selbst sprechen, nur begrenzte Relevanz.

Epistemische Offenheit als notwendiges Wagnis

Die Freiheitlichkeit eines Gemeinwesens hängt entscheidend von der Offenheit seiner epistemischen Struktur ab. Dies verlangt allen Seiten Toleranz ab. Diese basale Erwartung an die gesellschaftliche Kommunikationsstruktur, die das Recht nur schützen, aber nicht mit Leben erfüllen kann, ist in Zeiten von Hasskommentaren, Shitstorms und Empörungsritualen unter Druck geraten. Meinungsfreiheit ist hierbei allerdings wie jede Freiheit ein Recht auf eigenes Risiko, kein Anspruch auf Applaus. Es gehört zum Kern freiheitlicher Kommunikation, Gegenäußerungen auszuhalten, gerade wenn man sie provoziert. Hinter larmoyanten Verlustklagen über eine erodierende Meinungsfreiheit verbirgt sich nicht selten auch nur die Überforderung damit, dass man mit seiner Meinung eben keinen Anschluss findet. Selbstbewusste Wissenschaft kann mehr!