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Ästhetik und Kunstmarkt
"Jenseits der Sicherheit lauert das Wilde"

Die Preise für Kunstwerke explodieren. Wie steht es um das Verhältnis von Markt und Kunst? Was ist Kunst?

Von Felix Grigat 02.06.2019

Die Skulptur "Rabbit" des US-amerikanischen Künstlers Jeff Koons wurde unlängst in New York zum Rekordpreis von 91,1 Millionen Dollar versteigert. Sie ist damit die bislang teuerste Skulptur eines lebenden Künstlers. Ein Kritiker beschrieb sie als "eine Mischung aus Playboy-Bunny und Comicfigur". Seit seiner Entsehung im Jahr 1986 ist der "stählerne Hase" allerdings umstritten. Der Kurator des Auktionshauses "Christie's" jedenfalls beurteilt laut Tagesschau "Rabbit" als eine der prägnantesten Skulpturen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: "Es gab große Aufregung um das Werk. Die Urteile reichten von 'grauenhaft' bis 'fantastisch'. Er ist die Antithese zu Michelangelos David. Es ist gewissermaßen der Anti-David", zitiert ihn die Tagesschau.

Der Kunstmarkt ist wieder einmal um einen neuen "denkwürdigen Rekord" reicher, resümierte der Kritiker. Erst einen Tag zuvor sei in New York ein Gemälde von Claude Monet für 110 Millionen Dollar versteigert worden. Der teuerste Monet aller Zeiten und der höchste Preis, der bisher für das Werk eines Impressionisten gezahlt worden sei. Das Fazit des Berichts: "Der Kunstmarkt dieser Tage – er ist ein Geldmarkt".

Geht es überhaupt noch um Kunst? Was ist Kunst? Das ist nicht so einfach zu beantworten, sagt man. Oder doch? Zumindest ist es heute ein kategorialer Unterschied, über einen Schrotthaufen im Museum oder außerhalb zu stolpern. Wäre da nicht der Museumsraum und das erläuternde Schild, es wäre schwergefallen, zwischen Kunst und Nichtkunst zu unterscheiden. Die Überraschung, die der Schrotthaufen beim Betrachter auslöst – "Das kann also auch Kunst sein" – ist Teil des Plans, die für Kunst notwendige ästhetische Einstellung zu gewinnen, oder, systemtheoretisch, das Gebilde für "Kunstbeobachter überhaupt beobachtbar" zu machen.

Das System Kunst, so ist Luhmann überzeugt, hat entschieden, der Betrachter ist irritiert, lernt aber dazu: Alles kann Kunst sein, so wie man alles kaufen kann in der Wirtschaft oder alles erforschen kann in der Wissenschaft. Das ist dynamisch und deshalb typisch modern, da alle "Funktionssysteme" in der Moderne zur Universalisierung und damit zur "Unabhängigkeit von vorgegebenen Weltausschnitten" tendieren. Obgleich autonom, leistet jedes System immer auch etwas für andere Funktionssysteme.

"Ohne Geld keine Kunst"?

Wann aber ist es noch Kunst und wann Funktion? Ist das Design, das einfach dem Windkanal überlassen und dann etwas überarbeitet wird, noch Kunst? Wenn es "lediglich eine ökonomische Operation" ist, wenn es nur eine Marke von der anderen unterscheiden soll, keinesfalls. Es gibt bei autonomer Kunst kein Gesetz außerhalb der Kunst, dem sie unterworfen wäre. Das gilt auch für die Wissenschaft und ist kein besonderes Privileg, sondern systemadäquat. Und doch lauert jenseits dieser Sicherheit "das Gesetzlose, Namenlose und Wilde, das als ewige Quelle der Gefahr nicht gezähmt werden kann" (Boris Groys). Für manche mag dazu das Materielle der Kunstwerke gehören, das sie damit zu Dingen macht, die verkauft, gebraucht oder mißbraucht werden können. Hier öffnet sich dann die bunte Welt der Klischees, der machtgierigen Mäzene, der geldgeilen Kunstspekulanten und der spektakulären Höchstpreise bei Auktionen.

Ja, es gibt die Anschauung "Ohne Geld gibt es keine Kunst", Markus Lüpertz hat sie vertreten. Auch meinte er, Kunst habe es immer dort gegeben, wo sich auch wirtschaftliche Potenz konzentriert habe. Das Problem entstehe erst und genau dort, wo das Geld fehle, weil zum Beispiel der Staat falsch gewirtschaftet habe. Auch sei Erfolg kein Qualitätsmerkmal. Freiheit dürfe nicht der Konkurrenz geopfert werden. So gebe es Künstler, die sich dem Erfolg gerade verweigerten, weil sie "schon Zukunft" seien. Vielmehr sei es entscheidend, dass Kunst in Ruhe arbeiten könne.

Die ästhetische Einstellung weist darauf hin, dass die anderen menschlichen Einstellungen ergänzungsbedürftig sind. Sie tut dies aber mit ihren eigenen Mitteln. Sicher kann ein Kunstwerk auch nicht-ästhetisch aufgefasst werden, zum Beispiel pekuniär, politisch oder historisch. Dies führt vielleicht zu Erkenntnisgewinn, verfehlt aber die Eigenart von Kunst. Denn ein Kunstwerk veranlasst uns ja soviel zu denken, "als sich niemals in einen bestimmten Begriff zusammenfassen läßt" (Kant). Seine Realität ist "stets nur ein Vorwand" (Musil), weshalb der Schrotthaufen im Museum vielleicht doch kein solcher ist – vielleicht.