Das Foto zeigt eine Szene aus dem Film "The wild one" mit Marlon Brando in der Hauptrolle.
picture alliance/PictureLux/The Hollywood Archive

Musikgeschichte
Über Ablehnungsgesten und "ewige Jugend"

Zur Rock- und Popmusik gehört immer wieder Protest und Ablehnung der Elterngeneration. Aber altern diese Gesten nicht mit ihrem Publikum?

Von Fernand Hörner 22.12.2018

1994: Das Jahr roch nach Rockmusik und orientierungslosen Teenagern (von denen der Autor nach seinem Abitur selbst einer war). 1994 war das Jahr, in dem Kurt Cobain, der Sänger von Nirvana, Selbstmord begeht. Im Musikvideo des bekanntesten Hits "Smells Like Teen Spirit" (1991) spielt die Band in einer Turnhalle vor ausflippenden Schülern.

Anders als im damaligen Mainstream-Rock wird auf Virtuosität und Virilität verzichtet (keine Gitarrensoli, keine Dauerwellen und hohen Stimmen), der Gesamtklang wird unter einem Matsch von dumpfen Gitarrenverzerrungen begraben. Am Ende des Songs wiederholt Cobain mantraartig "a denial". Eine Ablehnung, aber wovon? Vielleicht zeichnet es die Rockmusik aus, dass sie über die Jahre präzise dieses Lebensgefühl einer jungen Generation in Musik, Kleidung und Gesten gefasst hat, aber in der referentiellen Funktion der Sprache oft im Wortsinn: unbestimmt geblieben ist.

Der Ursprung in dem Film "The Wild One"

Ihren Ursprung hat diese Geste der Ablehnung im Film The Wild One (1953). Auf die Frage, wogegen er denn rebelliere, antwortet Marlon Brando als Chef der Rockerband trocken: "What have you got?". Der Name der Rockerbande war "Black Rebel Motorcycle Club" und wurde später Namensgeber der gleichnamigen Rockband (die konkurrierende Rockerbande im Film nannte sich übrigens "The Beetles"). Es galt wild, oder wie es im Deutschland der 1950er Jahre hieß, "halbstark" zu sein, Jeans und Lederjacke zu tragen und Rock 'n' Roll zu hören.

Auf den zweiten Blick zeigt sich: So willkürlich ist die Ablehnung nicht, sie galt ganz klar im Grundsätzlichen der Erwachsenenwelt. In den 1960er Jahren brachte die Rockband The Who das in dem Song "My Generation" auf den Punkt: "Hope I die before I get old." Rock, so vielfältig seine Unterströmungen auch immer waren, war immer auch ziellose Rebellion gegen "die Alten".

Das war in den 1970er Jahren im Glam-Rock und seinen "Children [sic] of the Revolution" (T-Rex) genauso wie im Punk. "Dont know what I want" (außer natürlich Anarchie) heißt es in "Anarchy in the U.K." von den Sex Pistols und selbst in "Street Fighting Man", dem Song, den die Rolling Stones während der Proteste von 1968 geschrieben haben, wird beklagt: "But what can a poor boy do except to sing for a rock 'n' roll band."

Ebenso wie im Punk ist auch hier der im Rock 'n' Roll kultivierte Bezug auf die Ziel- und Hoffnungs-, aber auch die eigene Bedeutungslosigkeit als Pose vorgegeben. Mit dem Tod von Kurt Cobain, der 1994 zwar nicht als Teenager, aber dennoch mit nur 27 Jahren Selbstmord beging, findet diese Verbindung von Rock mit Teenagern außer Kontrolle, die gegen das Erwachsensein rebellieren, ihr Ende.

Ironische Blick auf das eigene ruinierte Leben

In den USA besingt der Nirvana-Schlagzeuger Dave Grohl mit seiner Band Foo Fighters mit "My Hero" (1997) nicht etwa Cobain, sondern Normalbürger, die anderen helfen. In Großbritannien kommt der BritPop mit Bands wie Oasis oder Blur auf.

Aber die Feststellung, das Leben sei eine bitter-süße Symphonie (The Verve, 1997), setzt Reife voraus. In Deutschland erlebt die Hamburger Schule um Blumfeld, Tocotronic und Die Sterne ihre Hochphase. Und auch hier schlägt einer der bekanntesten Songs in die Kerbe Abgeklärtheit, denn vorher noch "fett und rosig" muss man sich jetzt fragen: "Was ist bloß los, was ist passiert, was hat dich bloß so ruiniert" (Die Sterne, 1996).

Innerhalb von fünf Jahren ist aus der Teenager-Orien­tierungslosigkeit also ein (ironischer) Blick auf das eigene ruinierte Leben geworden, ein wahrlich schneller Alterungsprozess. Ein Zeitsprung: 2018 spielt die Band Die Sterne auf dem Lieblingsplattenfestival in Düsseldorf. Das Konzept des Festivals: Bands spielen ihre wichtigste Platte komplett als ein Live-Set.

Aber was passiert, wenn man eben nicht stirbt, bevor man alt wird, wie es The Who sich erhofften, sondern doch einfach alt wird? Ein Blick ins Publikum zeigt: Nicht mehr fett und rosig, allerdings auch noch nicht komplett ruiniert. Rockmusik altert mit seinem Publikum. Laut repräsentativen Erhebungen durch Stichproben des miz (Deutsches Musikinformationszentrum) hörten 2017 mehr als 60 Prozent der über 60-Jährigen gerne Rock- und Popmusik, der Anteil ist in den letzten 12 Jahren um 32,5 Prozent gestiegen. Das riecht nicht mehr nach Teen-Spirit, sondern nach Altenheim. Auf die nächsten 25 Jahre!

Erscheint in Forschung & Lehre 1/19