Buddha-Skulptur mit Sonnenlicht von hinten, das einen Heiligenschein erzeugt
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Schönheit
Was ist eigentlich "schön"?

Kulturelle Prägung und subjektiver Eindruck beeinflussen, was wir als schön bewerten. Der Psychologe Lars Penke über die Bedeutung von Schönheit.

Von Friederike Invernizzi 03.08.2019

Forschung & Lehre: Herr Professor Penke, wer definiert Schönheit und was meinen wir mit dem Begriff "schön" aus psychologischer Sicht?

Lars Penke: Schönheit ist zunächst ein subjektiver Eindruck, der entsteht, wenn Menschen andere Menschen bewerten. Schönheit bedeutet letztlich Attraktivität, das heißt, es stellt sich die Frage:  Welche Menschen werden von anderen als attraktiv, als anziehend, empfunden? Die Beurteilungen, die einzelne Personen abgeben, sind etwa zur Hälfte individuell, zur anderen Hälfte mit anderen geteilt. Mittelt man dann aber die Beurteilungen mehrerer Personen, ist der Konsens substantiell. Aus dieser Übereinstimmung von Urteilen bildet man die "Attraktivitätsvariable".

F&L: Was genau empfinden Menschen heute als schön und anziehend und warum?

Lars Penke: Attraktivität hat verschiedene Teilaspekte. Menschen sind natürlich sehr visuelle Wesen. Gesichts­attraktivität ist sehr wichtig, denn wir haben die Tendenz, anderen Menschen zuallererst ins Gesicht zu schauen. Selbstverständlich spielen auch andere Teile des Körpers eine Rolle. Für alle Bereiche gilt allerdings, dass es Parameter für das Schönheitsempfinden gibt, die relativ universell sind. Diese Parameter haben sich über die Zeit kaum gewandelt.

Portraitfoto von Prof. Dr. Lars Penke
Lars Penke ist Professor für biologische Persönlichkeitspsychologie an der Universität Göttingen. privat

F&L: Welche kulturellen Gleichheiten und Ungleichheiten gibt es bei der Einstufung von Schönheit?

Lars Penke: Wenn man Abbildungen von Gesichtern Menschen verschiedener Kulturen vorlegt, bekommt man ungefähr die gleiche Rangfolge in der Bewertung von Schönheit. Daneben gibt es allerdings auch eine Reihe von Schönheitsmerkmalen in den jeweiligen Gesellschaften und Kulturen, die sich mit der Zeit wandeln, zum Beispiel beim Thema Präferenzen für Körpergewicht. Auch Modeerscheinungen wie Frisuren, Bärte oder Körperschmuck verändern sich ständig.

F&L: Werden die Zyklen des Wandels eigentlich immer kürzer?

Lars Penke: Die Modeindustrie sorgt dafür, dass sich die Trends schnell verändern. Dadurch geben die Menschen immer mehr Geld aus, um dem letzten Modetrend zu entsprechen. Das sind allerdings oberflächliche Faktoren.

F&L: Wie haben sich unsere Vorstellungen von Schönheit gewandelt?

Lars Penke: Die Grundzüge von Attraktivität bleiben konstant. Ein Beispiel ist das Taille-Hüft-Verhältnis bei Frauen. Solche Parameter beschreiben, welchen Körperbau wir als attraktiv empfinden. Ähnliche gibt es auch für Gesichter. Andere Schönheitsmerkmale verändern sich und sind von anderen Entwicklungen abhängig. Beim Gewicht gibt es immer wieder Studien, die zeigen, dass das Empfinden von Attraktivität mit der wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes zusammenhängt. In ärmeren Ländern werden fülligere Personen bevorzugt, in reicheren Ländern gibt es den umgekehrten Trend.

F&L: Warum finden wir gewisse Aspekte attraktiv?

Lars Penke: Die Forschung versucht schon lange herauszufinden, welches die Hinweisreize sind, die uns Personen attraktiver erscheinen lassen. Ergebnisse von Studien waren unter anderem, dass Symmetrie eine Rolle spielt, aber auch Nähe zum Durchschnitt der Population, also das Fehlen von Abweichungen und von Extremen. Es wurde zudem versucht, eine dahinterliegende evolutionäre Funktion zu identifizieren, so zum Beispiel, ob Attraktivität etwas mit Gesundheit oder einem guten Immunsystem zu tun hat. Oder mit Hormonen, die etwas über die Fruchtbarkeit aussagen. Kann es zum Beispiel sein, dass Frauen an den fruchtbaren Tagen des Zyklus  stärkere Attraktivitätssignale aussenden? In diesem Bereich gab es in den letzten Jahren groß angelegte Replikationsstudien, die viele bisherige Befunde nicht bestätigt haben. Zumindest nicht in weitestgehend gesunden, unter guten Bedingungen lebenden Menschen in Industrienationen. In extremeren Situationen oder in einer vorindustriellen Welt sähe dies anders aus. Von daher deutet viel darauf hin, dass unsere Attraktivitätswahrnehmung in unseren normalen Umfeldern übergeneralisiert: Wir nehmen Unterschiede wahr, die ursprünglich mal auf Gesundheit oder Fruchtbarkeit hindeuten sollten, es heutzutage aber zumeist nicht mehr tun.

"Wir passen unser Schönheitsempfinden an unser Umfeld an."

F&L: Wie bedeutsam ist Schönheit im menschlichen Miteinander?

Lars Penke: Menschen beurteilen Schönheit im Kontext von sozialen Vergleichen, das heißt wir passen unser Schönheitsempfinden an unser Umfeld an. Wenn wir in einem Umfeld leben, dass im Durchschnitt attraktiver ist, dann erhöhen wir unseren Attraktivitätsstandard entsprechend. Umgekehrt in weniger attraktiven Umfeldern natürlich genauso. Menschen verändern ihre Wahrnehmung sehr schnell, wenn sich ihre Vergleichsgruppe ändert. Da spielen heute auch die Medien eine große Rolle, die uns mit anderen Schönheitsidealen konfrontieren. In den 80er Jahren gab es bereits eine berühmte Studie, die gezeigt hat, dass nachdem Männer die Serie "Charlie‘s Angels" (deutsch "3 Engel für Charlie") sahen, sie ihre Partnerin als weniger attraktiv beurteilten. Danach wurde das Phänomen als "Charlie‘s Angels-Effekt" benannt.

F&L: Ist Schönheit zwangsläufig immer etwas Visuelles?

Lars Penke: Das Schönheitsempfinden ist auf jeden Fall etwas Multimodales. Allerdings ist der Mensch ein stark visuell orientiertes Wesen, deshalb hat man diese Aspekte als erstes im Blick. Aber auch das Auditive ist ein sehr wichtiger Bereich. Zum Beispiel werden Männer mit tieferer Stimme als attraktiver empfunden, Frauen dagegen mit höherer Stimme. Der Geruch spielt auch eine Rolle. Und man darf nicht vergessen, dass Attraktivität, egal in welcher Form, nichts Statisches ist. Zum Beispiel steigert sich die Gesichts­attraktivität bei Personen, die lächeln, um etwa 30 Prozent. Ähnliche Effekte können Körperhaltung und Bewegung haben. Menschen, die sich flüssiger und kraftvoller bewegen, werden als attraktiver empfunden als Personen mit schlaksigen und ungeschickten Bewegungen.

F&L: Ein Blick auf Beruf und Karriere: welche Rolle spielt die Schönheit hier?

Lars Penke: Menschen fällen ihr erstes Urteil über die Attraktivität eines anderen Menschen sehr rasch,  das geht schon in weniger als einer Sekunde. Alle weiteren Beurteilungen, zum Beispiel der beruflichen Kompetenzen, dauern länger und können daher vor dem Hintergrund der Attraktivitätseinschätzung verzerrt sein. Das ist der sogenannte "Halo"-Effekt. Attraktivität kann einen enormen Einfluss auf die Beurteilung eines Menschen haben und unter anderem zu milderen Verurteilungen vor Gericht, Erfolg bei politischen Wahlen oder besseren mündlichen Schulnoten führen. Das machen sich zum Beispiel narzisstische Persönlichkeiten im Beruf zunutze: sie versuchen, attraktiv und charmant zu wirken, um im Berufsleben voranzukommen. Man weiß auch, dass attraktive Bilder die Auswahl von Bewerbungen verzerren, deshalb verzichtet man gemeinhin immer mehr darauf.

F&L: Gibt es auch Nachteile von Schönheit?

Lars Penke: Es gibt eher wenige Nachteile. Generell kann man sagen, dass attraktive Menschen mehr Aufmerksamkeit bekommen, das heißt auch durchaus unerwünschte Aufmerksamkeit. Andererseits ist dies auch steuerbar, zum Beispiel durch Lächeln oder Körpersprache. Attraktive Menschen sind aber nicht grundsätzlich die glücklicheren Menschen. Sie sind nicht lebenszufriedener oder ausgeglichener als andere Menschen. Das liegt daran, dass man sich an soziale Reaktionen gewöhnt, die man bekommt. Es gibt auch die Hypothese, dass attraktive Menschen es sich leisten können, sich sozial anders zu verhalten als unattraktivere Personen, also zum Beispiel arroganter, aggressiver und fordernder. Die Hypothese, dass Attraktivität zu solch einer Persönlichkeit führt, hat sich allerdings nicht bestätigt. Wenn überhaupt ist es eher umgekehrt so, dass bestimmte Persönlichkeitstendenzen dazu führen, dass man sich eher um Attraktivität bemüht.

"Attraktive Menschen sind nicht lebenszufriedener oder ausgeglichener als andere Menschen."

F&L: Schauen Frauen und Männer unterschiedlich auf Schönheit?

Lars Penke: Nein, die Art des Schauens ist ähnlich. Beide Geschlechter beurteilen sowohl Männer als auch Frauen ungefähr gleich. Aber es gibt natürlich Unterschiede, was an Männer und was an Frauen attraktiv empfunden wird. Hier könnte man nochmals die Stimme erwähnen. Männerkörper werden als attraktiver empfunden, wenn sie sich durch Körpergröße und Oberkörpermuskulatur auszeichnen. Das vermittelt gleichzeitig den Eindruck, der Mann könne sich in einer physischen Auseinandersetzung durchsetzen. Bei Frauenkörpern ist es vor allem eine gynoide, eine weibliche Körperfettverteilung, die sprichwörtliche Sanduhrfigur, welche vor allem auf Jugend hindeutet. Evolutionär bedeutet das mehr mögliche Kinder. Beides sind Aspekte, die in unserer heutigen industrialisierten Gesellschaft nicht mehr so wichtig sind, die aber in unserer Attraktivitätseinschätzung noch eine Rolle spielen. Ähnlich wie bei den Schönheitsaspekten, die unter anderen Umständen vielleicht Gesundheit und Fruchtbarkeit anzeigen, deutet also auch hier viel darauf hin, dass wir der Schönheit mehr Bedeutung zuschreiben, als sie heute eigentlich noch hat.