Ein aufgeschlagenes Buch
Monticellllo/Fotolia

Rezension
Wissensraum Meer

Die vorgestellten Bücher geben Einblicke in die Meeresforschung in Kultur- und Naturwissenschaften. Ein Roman erzählt von einem Polarforschungsteam.

Von Anna-Katharina Hornidge Ausgabe 11/17

Unsere Meere und Ozeane sind entscheidend für die Zukunft der Menschheit. Als CO2-Speicher regulieren sie unser Klima; als Nahrungs- und Rohstofflieferanten, Wirtschaftsräume und zukünftige Expansionsflächen unterliegen sie wachsenden geopolitischen Interessen. Die Sicherstellung eines ökologisch, sozial und ökonomisch nachhaltigen Umgangs mit den Meeren und ihren Ressourcen stellt somit eine der größten, und gleichzeitig drängendsten internationalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts dar. Die deutschen Meereswissenschaften stellen sich dieser Herausforderung sukzessive und über die zunehmende Kooperation von Natur-, Sozial- und Kulturwissenschaften sowie die verstärkte Einbindung von gesellschaftlichen Entscheidungsträgern in Forschungsprozesse.

Die folgenden Bücher ermöglichen einen Einblick in den wissenschaftlichen Umgang mit dem Meer in Kultur- und Naturwissenschaften Deutschlands. Zusätzlich thematisiert der Roman die Auseinandersetzung mit den Meereswissenschaften selbst in fiktiver Form. Alle drei sind in deutscher Sprache für eine gesellschaftlich breit aufgestellte Leserschaft erschienen:

Michael North: Zwischen Hafen und Horizont. Weltgeschichte der Meere. Verlag C.H. Beck, München 2016

Michael North, Professor für Allgemeine Geschichte der Neuzeit an der Universität Greifswald, zeichnet in ausgewählten Fallbeispielen 3 000 Jahre Geschichte des Menschen in der Nutzung und dem Umgang mit dem Meer in allen Teilmeeren mit Ausnahme der Polregionen nach. Deutlich hervor sticht die Rolle des Meeres als Wegbereiter für die wirtschaftliche, politische und kulturelle Expansion Europas und in Teilen Chinas, die auch in Bezug auf das Meer wiederholt zerstörerischer Natur war.

Der Band führt seine Leser in literarisch angenehmer Sprache in die Geschichte der unterschiedlichen Teilmeere als Wirtschafts-, Macht- und Wissensräume ein, über die Waren, Menschen, religiöse Glaubensvorstellungen, Symbole und andere Wissensbestände reisten und durch diese Mobilitätsmuster über die Jahre hinweg politische und kulturelle Wirklichkeiten neu definierten. Für jeden, der sich einen zugänglich geschriebenen ersten Überblick über die Geschichte unserer Teilmeere aneignen möchte, ist dieser Band sicherlich zu empfehlen.

Mojib Latif: Die Meere, der Mensch und das Leben. Bilanz einer existenziellen Beziehung. Herder Verlag, Freiburg 2017 (2. Aufl.).

Mojib Latif hat eine Professur im Bereich Ozeanzirkulation und Klimadynamik am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und der Universität Kiel inne. Als solcher führt er seine Leser in den Naturraum Meer, in Lebensformen in unterschiedlichen Wassertiefen, Strömungsmuster und die entscheidende Rolle der Meere für unser Klima ein. Latif malt ein katastrophenhaftes Bild vom heutigen Zustand unserer Meere, spricht von der Vergiftung der Ozeane, kritisiert ihre Nutzung als Mülldeponie und führt die Risiken voranschreitender Ozeanversauerung aus. Auffällig ist Latif’s differenziert reflektierender Umgang mit der eigenen Wissensbasis. Wiederholt diskutiert er die substanziellen und gleichzeitig begrenzten Möglichkeiten der Wissenschaft, das Meer und seine Prozesse zu erfassen, und aufbauend auf diesen empirischen Beobachtungen, Zukunftsszenarien abzuleiten.

Das Buch ist in großen Teilen umgangssprachlich und krisenrhetorisch geprägt. Gleichzeitig führt es den nicht naturwissenschaftlichen Leser auf gut verständliche Weise in die unsere Meere konstituierenden Prozesse ein. Ich empfehle dieses Buch all denjenigen, die überblicksartig das Meer etwas besser verstehen und wertschätzen möchten. Weiterführende Einsichten bietet der Sammelband von G. Hempel/K. Bischof/W. Hagen: Faszination Meeresforschung. Springer Verlag, Heidelberg 2017 (2. Aufl.).

Anne von Canal: Whiteout. Roman. Mare Verlag, Hamburg 2017

Anne von Canal, Autorin und Schriftstellerin, nimmt ihre Leser mit in das Camp eines Polarforschungsteams in der Antarktis und in die Gedanken- und Gefühlswelt der Expeditionsleiterin. Nach Jahren harter Arbeit ist Hanna endlich in der Lage, mit ihrem Team auf einer sechswöchigen Antarktisexpedition die lang erhofften Eisbohrproben  zu nehmen und so Geheimnisse über das Klima der Vergangenheit zu lüften. Doch in der Abgeschiedenheit des Camps erreicht sie eine E-Mail, die vergessen geglaubte Erinnerungen an ihre Kindheitsfreundin und mit ihr verbundene Träume und Ängste widererwachen lässt.

Von Canals feiner Schreibstil lässt den Leser die Intensität und Surrealität des Camps der Wissenschaftler im Eis erspüren. Die Eigenheiten der Teammitglieder, die Enge und Isolation bedingen das Besinnen auf sich selbst und die eigenen Verlangen. Das Eis wird laut und die Forschung tritt in den Hintergrund. Es ist ein ergreifender Roman, der an die menschliche Bedingtheit jeglicher Forschung erinnert.