Tunnel mit Bauelementen der Hadron-Elektron-Ring-Anlage (Hera) auf dem Gelände von Desy.
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Physik
Der Dunklen Materie auf der Spur

Die bekannte Welt besteht hauptsächlich aus Quarks und Elektronen. Jetzt wollen Hamburger Forschende erstmals Teilchen der Dunklen Materie nachweisen.

09.10.2022

Durch ein Experiment mit Licht wollen Hamburger Physikerinnen und Physiker einen Einblick in die Dunkle Materie bekommen. Das Deutsche Elektronen-Synchrotron (Desy) spricht von einem Licht-durch-die Wand-Experiment. Die Forschergruppe geht dabei von der Annahme aus, dass sich Lichtteilchen in Dunkle Materie und wieder zurück verwandeln können. Das Universum bestehe zu 20 bis 25 Prozent aus Dunkler Materie und zu etwa 70 Prozent aus Dunkler Energie. "Die bekannte Materie macht nur 5 Prozent aus", erklärt der Physiker Dr. Axel Lindner. Während die Struktur der Materie weitgehend geklärt ist, sind die Bestandteile der Dunklen Materie völlig unbekannt. "Wir suchen nach exotischen Teilchen, die das Universum regieren", sagt Lindner.

Seit fast zehn Jahren haben die Forscher das Experiment in der ehemaligen Hadron-Elektron-Ring-Anlage (Hera) in Hamburg-Bahrenfeld entwickelt und aufgebaut. Hera war vor 30 Jahren in einem ringförmigen Tunnel mit einem Umfang von 6,3 Kilometern in Betrieb genommen worden. Bis 2007 kollidierten dort in großen Detektoren jeweils 100.000 Teilchen pro Sekunde. Die Daten ergeben den bis heute besten Einblick in das Proton, einen Hauptbestandteil der bekannten Materie.

Aufbau des Experiments

Jetzt läuft in dem Tunnel in einem 250 Meter lange geraden Abschnitt ein neues Experiment, in deren vorderer Hälfte die Forscher Photonen, die Teilchen des Lichts, mit Hilfe von Spiegeln in einem Magnetfeld halten wollen. Diese vordere Hälfte des Experiments – gefüllt mit Photonen, ist von einem genauso aufgebauten hinteren Teil durch eine Wand getrennt. Dieser "Shutter" lässt jedoch keine Lichtteilchen durch. Dennoch haben Lindner und sein Team im hinteren, "dunklen" Bereich der Röhre einen Detektor aufgebaut. Er soll anzeigen, wenn dort doch ein Photon auftauchen sollte. Der Nachweis eines solchen Lichtteilchens hinter der lichtdichten Wand würde nach Annahme der Forschenden die Existenz einer anderen Art von Teilchen belegen: das Axion.

Amerikanische Wissenschaftler hatten bereits 1978 die Existenz von extrem leichten Teilchen vorhergesagt. Zuvor war entdeckt worden, dass die je drei Quarks in Protonen und Neutronen – den Bestandteilen des Atomkerns - extrem genau auf einer Linie ausgerichtet zu sein scheinen. Das könne an einem völlig neuen Kraftfeld liegen, schlussfolgerten die Forschenden damals. Für das Feld könnten Teilchen verantwortlich sein, die der Nobelpreisträger Professor Frank Wilczek nach einem amerikanischen Waschmittel Axion nannte. "Innerhalb des Gedankenmodells ist alles erstaunlich konsistent", sagt Lindner. "Aber die Physiker weltweit konnten ein Axion bisher experimentell nicht erfassen." Das soll sich jetzt ändern. Das Projekt zur Suche nach den extrem leichten Teilchen heißt Alps II (Any Light Particle Search).

Astrophysikerinnen und Astrophysiker gehen ebenfalls Hinweisen auf die Existenz von Axionen nach. Sie geben die Maßstäbe zur Empfindlichkeit des Experiments vor, erläutert Lindner. Zentrales Element der Apparatur im Hera-Tunnel ist ein sehr starkes und langes Magnetfeld. Alps II verwendet elektrische Dipolmagnete, die für den Hera-Beschleuniger gebaut wurden. Für den Betrieb müssen sie auf minus 269 Grad gekühlt werden. Erst dann sind sie supraleitend.

Eine große Herausforderung

Der Aufbau der Apparatur stellte die Hamburger Forscher vor eine große Herausforderung: Sie mussten 26 der je zehn Tonnen schweren und knapp zehn Meter langen Magnete aus dem ringförmigen Hera-Beschleuniger "geradebiegen". Die sehr teure Herstellung neuer Magnete kam nicht in Frage. Die Desy-Mitarbeiter entwickelten eine spezielle Technik. Mit vier Tonnen Kraft konnten sie damit die Magneten um die 15 Millimeter begradigen.

Um die Bereiche vor und hinter dem Shutter bauten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hochpräzise Spiegel, die die Lichtintensität im Magnetfeld um das Zehntausendfache verstärken. Zwei je 124 Meter lange sogenannten Resonatoren müssen dafür auf Abstände im Bereich eines Atombruchteils ausgerichtet werden. Mit Hilfe eines internationalen Teams, zu dem Kolleginnen und Kollegen aus Florida, Cardiff (Großbritannien) und mehreren deutschen Forschungseinrichtungen gehören, wurde der Aufbau geschafft. Jetzt kann das Licht über sechs Millisekunden lang zwischen den Resonatorenspiegeln gehalten werden. "Wir sind Weltmeister im Lichteinfangen zwischen Spiegeln", sagt Lindner stolz.

Experimentbeginn im Januar 2023

In den nächsten Wochen sollen die Komponenten der Anlage weiter geprüft werden. Für Dezember ist geplant, die Magneten zwei Wochen lang bis auf vier Grad über dem absoluten Nullpunkt abzukühlen. Dann können Anfang nächsten Jahres die eigentlichen Versuche beginnen. Sollte dann tatsächlich Licht hinter der lichtundurchlässigen Wand mit Hilfe eines hochempfindlichen Detektors nachgewiesen werden, würden die Forscher erstmal nicht jubeln, sondern ihr Experiment mehrfach überprüfen. Denn: "Wenn wir was finden würden, wäre das eine Sensation", sagt Projektleiter Lindner. Sein Team hätte dann einen experimentellen Nachweis für einen Teil der Natur erbracht, den noch niemand vorher gesehen hat.

Allerdings brauchen die Physiker Geduld und Präzision: Sie glauben, dass sich höchstens jedes zehnbillionste Photon in ein Axion umwandelt. Und von diesen verwandele sich wiederum nur jedes zehnbillionste zurück in ein Photon. Sollten die Forscher erfolgreich sein, sind die folgenden Experimente schon geplant: Sie wollen nach Axionen aus der Sonne suchen und die noch unbekannten Teilchen in unserer Milchstraße nachweisen. Diese Projekte heißen "IAXO" und "MADMAX".

Bernhard Sprengel (dpa)