Eine Schere schneidet ein Band durch
mauritius images/Brigitte Protzel

Genschere CRISPR
Gentechnik oder nicht?

Die Gen-Schere CRISPR-Cas9 erobert weltweit die Forschungslabors. Welche Möglichkeiten und Gefahren bringt die Methode mit sich? Ein Interview.

Von Vera Müller Ausgabe 1/17

Forschung & Lehre: Herr Dr. Then, wie unterscheidet sich CRISPR-Cas9 von anderen neuen Methoden, die direkt in das Erbgut von Tieren und Pflanzen eingreifen?

Christoph Then: Aus der Sicht der Betreiber gibt es hier eine positive Entwicklung: Anders als bei der bisherigen Gentechnik kann man einen bestimmten Ort im Erbgut ansteuern, um dort zusätzliches Erbgut einzufügen oder zu entfernen. Es gab auch zuvor schon Nukleasen, die zu diesem Zweck entwickelt wurden, deren Einsatz war technisch jedoch oft komplizierter. Da ist CRISPR-Cas9 insgesamt wesentlich effektiver. Es gibt weitere Unterschiede: CRISPR erlaubt auch radikale Veränderungen im Genom, wie etwa parallele Veränderungen an mehreren Stellen des Erbguts. Dazu kommt die Möglichkeit, den Vorgang der gentechnischen Manipulation selbst vererbbar zu machen: Der sogenannte "Gene Drive" sorgt dafür, dass die neue gentechnische Information in jeder Generation wiederholt und das Ergebnis immer homozygot vererbt wird. Es wird also nicht nur die genetische Information verändert, sondern auch die Häufigkeit der Vererbung. Aus der Sicht der Kritiker ist CRISPR-Cas deswegen eine neue Art "Turbo-Gentechnik", die erhebliche Risiken birgt. Es gibt aber auch Bereiche, in denen sich die alte und die neue Gentechnik kaum unterscheiden – zum Beispiel, was die mangelnde Vorhersagbarkeit betrifft: So wird die DNA für die Nuklease in vielen Fällen zunächst ungezielt, per Schrotschuss in das Erbgut eingebracht, bevor sie dann "gezielt" an einer anderen Stelle schneiden kann. Auch was die Nuklease an ihrem Zielort macht, ist oft nicht zuverlässig prognostizierbar: Es kommt beispielsweise dazu, dass sie anderes Erbgut einfügt, als gewünscht wird. Zudem schneidet die Nuklease auch an anderen Stellen, weil es zu Verwechslungen mit dem Zielort kommt. Das wirft erhebliche Sicherheitsfragen auf, führt aber auch dazu, dass das Verfahren letztlich nicht so billig und effizient ist, wie das oft behauptet wird. Es gibt weitere Gemeinsamkeiten mit der bisherigen Gentechnik: Große Konzerne melden systematisch Patente auf die Verfahren, einzelne Anwendungen und die daraus entstehenden Pflanzen und Tiere an. Es ist zu erwarten, dass bei der Vermarktung dieser Technologie die großen Konzerne die Gewinner sein werden und eben nicht die mittelständischen Züchter.

F&L: Handelt es sich bei CRISPR-Cas9 Ihrer Meinung nach um Gentechnik oder um herkömmliche Züchtung?

Christoph Then: Die Ergebnisse des Eingriffs mit Hilfe der Genschere ähneln manchmal denen, die auch mit Züchtung erreicht werden können. Doch der Begriff "Neue Züchtungsverfahren" ist irreführend. Grundlage der Züchtung ist eine geordnete Genomverteilung auf den Chromosomen und die Autonomie der Gen-Regulierung der Zelle ("Selbstregulierung" beziehungsweise "Selbstorganisation"). Auch Zufallsmutationen stellen diese natürlichen Vererbungsmechanismen nicht grundsätzlich infrage. Beispielsweise inaktivieren oder reparieren Zellen in vielen Fällen spontan aufgetretene Mutationen. Die Gentechnik behandelt Pflanzen und deren Zellen dagegen nicht als ein sich selbst regulierendes System. Vielmehr werden direkt auf der Ebene des Genoms bestimmte Veränderungen herbeigeführt und den Organismen neue Eigenschaften mit technischen Mitteln "aufgezwungen". Auch die neuen Gentechnikverfahren greifen auf der Ebene des Erbguts ein. Deswegen müssen die neuen Gentechnikverfahren einer Risikoprüfung unterzogen werden, in der andere Kriterien herangezogen werden als bei konventioneller Züchtung. Das heißt nicht, dass das Ergebnis der konventionellen Züchtung immer unbedenklich ist – auch hier muss man von Fall zu Fall einzelne Produkte prüfen. Bei CRISPR-Cas müssen aber zudem die Risiken berücksichtigt werden, die mit den Verfahren einhergehen.

F&L: Worin besteht Ihrer Meinung nach das größte Risiko bei CRISPR-Cas9?

Christoph Then: Es kommt möglicherweise eine ganze Welle neuer, gentechnisch veränderter Organismen auf uns zu. Damit steigt auch die Summe der Risiken für Mensch und Umwelt erheblich. So könnte sich die Zahl der Gentechnik-Organismen, die sich unkontrolliert in der Umwelt ausbreiten, deutlich erhöhen. Dazu kommt die Möglichkeit und die Bereitschaft, nicht nur die Pflanzen und Tiere, die schon bisher vom Menschen gezüchtet und genutzt wurden, gentechnisch zu verändern, sondern auch natürliche Populationen wie Insekten, Unkräuter und Nagetiere. Zum ersten Mal sind einzelne Akteure gewillt, in die "Keimbahn" der biologischen Vielfalt einzugreifen, auch wenn dies irreversible Folgen hat. Grundsätzlich gilt, dass sich die Folgen einer Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen, deren Ausbreitung nicht kontrolliert werden kann, nicht zuverlässig prognostizieren lassen. Evolutionäre Prozesse führen dazu, dass auch Ereignisse mit geringer Wahrscheinlichkeit eintreten können. Das macht eine verlässliche Risikoabschätzung per se unmöglich. Neue technische Hilfsmittel wie CRISPR-Cas ermöglichen es, dass Firmen, oft getrieben von kurzfristigen wirtschaftlichen Zielen, immer größere Risiken eingehen. Was wir brauchen, sind wirksame Mechanismen, um die Zukunft des Lebens vor der geballten Macht der Investoren zu schützen.

F&L: Gibt es bereits Untersuchungen darüber, welche Risiken für die Gesundheit und Umwelt entstehen könnten?

Christoph Then: Ja. Zunächst gibt es viele Publikationen, die zeigen, dass CRISPR-Cas nicht so zielgerichtet und frei von unerwarteten Nebeneffekten ist, wie von Befürwortern in der Öffentlichkeit oft behauptet wird. Das ist für die Risikobewertung natürlich ein wichtiger Punkt.
Mögliche Anwendungen wie "Gene Drive" rufen zudem auch bei vielen Wissenschaftlern erhebliches Unbehagen hervor. Unter anderem haben sich die National Academies of Sciences (NAS) der USA sehr kritisch zu dieser Anwendung geäußert. Außerdem sind viele Anwendungen noch nicht wirklich auf ihre Risiken geprüft – und möglicherweise lassen sich offene Fragen auch nicht abschließend klären: So soll beispielsweise per CRISPR Nuklease in Kombination mit RNAi die Zusammensetzung der Kuhmilch verändert werden. Was passiert beispielsweise, wenn in der Milch dieser Kühe biologisch aktive miRNA enthalten ist, die nach dem Verzehr in den Stoffwechsel des Konsumenten eingreifen kann? RNA-Interferenz (RNAi) beruht auf Effekten, die durch kurze RNA-Abschnitte wie Mikro-RNA (miRNA) ausgelöst werden. Die miRNA greift in die Gen-Regulierung ein und kann unter Umständen über die Nahrung aufgenommen werden, ohne ihre biologische Aktivität zu verlieren.

F&L: Wie geht Europa bzw. die EU-Kommission mit dem Thema Genom-Editierung und der Frage der Kontrolle von CRISPR-Cas9 um?

Christoph Then: In der EU gibt es derzeit keinen Konsens über die Einordnung der neuen Verfahren. Inzwischen ist ein Verfahren am Gerichtshof der EU anhängig, mit einer Entscheidung wird für 2018 gerechnet. Die EU-Kommission scheint derzeit den Ausgang dieses Verfahrens abzuwarten.

F&L: 2015 hat sich die Zahl der Tierversuche in der Grundlagenforschung nahezu verdoppelt. Welche Rolle spielen hierbei genome editing und speziell CRISPR-Cas9?

Christoph Then: CRISPR-Cas9 wird inzwischen als Methode der Wahl angesehen, wenn es um die gentechnische Veränderung von Versuchstieren geht. Mit Hilfe von Nukleasen konnte die Zeit bis zur Erstellung neuer gentechnisch veränderter Tier-Linien bei Mäusen und Ratten auf wenige Monate verkürzt werden, während dies früher Jahre dauerte. Das schlägt sich auch in den offiziellen Statistiken nieder: In Deutschland lag 2015 die Zahl der pro Jahr verbrauchten Gentechnik-Tiere erstmals bei über einer Million. Diese Entwicklung ist nicht nur von medizinischen Erwartungen gesteuert, sondern auch von kommerziellen Interessen: Im Umfeld dieser Technik bewerben spezialisierte Firmen ihre Versuchstiere unter anderem über Preisnachlässe und Werbegeschenke. Parallel werden auf die Tiere und ihre Verwendung in Tierversuchen immer mehr Patente angemeldet. Bei den Investoren können so Erwartungen geweckt werden, dass innerhalb der Laufzeit der Patente möglichst hohe Profite erzielt werden können – auch auf Kosten des Tierwohls. Im Ergebnis gibt es sowohl einen deutlichen Trend zu einer steigenden Anzahl von Tierversuchen bei Mäusen und Ratten als auch eine Ausweitung der gentechnischen Experimente auf Nutztiere. Sieht man die Entwicklung vor dem Hintergrund der "drei Rs", Replacement, Reduction and Refinement, die in der EU seit Jahren als zentrale Strategie zur Senkung der Tierversuchszahlen verfolgt werden, führt die aktuelle Entwicklung also in die entgegengesetzte Richtung.