Zwei Forschende unter der Dekontaminationsdusche des S4-Labors des RKI
RKI

Orte der Forschung
Im Vollschutzanzug unter der Dusche

Wie schützen sich Forscher bei ihrer Arbeit vor hochansteckenden Erregern? Ein Einblick in ein Hochsicherheitslabor.

Von Ina Lohaus 23.04.2021

Forschung & Lehre: Das Robert Koch-Institut spielt in der Corona-Pandemie eine zentrale Rolle. Dreht sich dort jetzt alles nur noch um SARS-CoV-2?

Andreas Kurth: Nicht nur, aber natürlich sehr viel. In zahlreichen Arbeitsgruppen geht es mit unterschiedlichen Forschungsinhalten um Corona. Viele andere forschen jedoch weiter an ihren eigenen Themen. Das Arbeitsspektrum ist am RKI sehr breit gefächert.

Portraitfoto von Dr. Andreas Kurth
Dr. Andreas Kurth ist Leiter des Hoch­sicherheitslabors (S4-Labor) am Robert Koch-Institut in Berlin. privat

F&L: Sie selbst forschen nicht an Corona. Worum geht es bei Ihnen im S4-Labor?

Andreas Kurth: Unsere Arbeitsgruppe forscht an Erregern der Risikogruppe 4 (RG4), das ist die Erregergruppe mit dem höchsten Risiko. Darunter befinden sich Erreger wie Ebola-, Marburg- oder Lassaviren. Wir beschäftigen uns ausschließlich mit Viren, nicht mit Bakterien oder anderen Pathogenen. Unsere Forschung ist relativ vielfältig. Sie reicht von der Entwicklung einfacher Nachweissysteme oder Diagnostiktests über Grundlagenforschung bis hin zu Angewandter Forschung. Zum Beispiel untersuchen wir die Stabilität von Erregern. Dabei gehen wir der Frage nach, wie lange Erreger noch infektiös sind, etwa auf Türklinken oder anderen Oberflächen. Das sind Fragestellungen, die nicht nur bei hochpathogenen Erregern eine Rolle spielen, sondern ebenso zum Beispiel bei SARS-CoV-2-Viren.

In der Grundlagenforschung suchen wir unter anderem nach dem Reservoir, aus dem das Virus stammt. Das ist bei einigen RG4-Erregern genauso wenig geklärt wie bei Coronaviren. Wir erforschen zum Beispiel Fledermäuse als mögliches Reservoir von Ebolaviren, und die unterschiedlichen Immunantworten von sogenannten Reservoir­tieren und von Menschen. Der Mensch verstirbt meist an diesen Erregern, die Reservoirtiere aber nicht. Wenn wir diese Unterschiede besser kennen, könnte das helfen, Ansätze für Therapeutika zu finden.

F&L: Gehören zu Ihrem Labor auch lebende Tiere?

Andreas Kurth: Ja, von Zeit zu Zeit. Wir haben aber keine Dauerbesucher. Wir arbeiten zum Beispoel mit Fledermäusen, die wir aus Westafrika einführen. Es wird vorher untersucht, dass sie nicht mit dem Ebolavirus infiziert sind. Dann kommen sie für einen längeren Zeitraum in Quarantäne und werden an das Futter gewöhnt, das sie bei uns im Labor bekommen werden. Erst dann treten sie ihre Reise von Westafrika nach Berlin in unser Labor an. An ihnen führen wir Infektionsversuche durch, um nachzuvollziehen, wie sich Ebolaviren in den Fledermäusen vermehren. Werden sie von Tier zu Tier weitergegeben, wie werden sie ausgeschieden und worin besteht das Risiko, dass sich der Mensch anstecken kann. Wir versuchen direkt an dem Tier zu arbeiten, das in der Natur auch infiziert ist, um das möglichst nah und möglichst genau im Labor nachzubauen.

F&L: Und wie gelangen die Ebolaviren aus Afrika oder die Coronaviren aus Wuhan in Ihr Labor?

Andreas Kurth: Das ist bei Viren der Sicherheitsstufe 4 wie Ebola und bei Viren der Sicherheitsstufe 3 wie SARS-CoV-2 sehr ähnlich. Wenn es irgendwo auf der Welt die ersten Patienten gibt, werden ihnen Proben entnommen, aus denen das Virus isoliert und dann vermehrt wird.  Die vermehrten Viren werden in kleinen Röhrchen eingefroren und mit einem speziellen Kurier an andere Labors in verschiedenen Ländern verschickt. Dafür gibt es sehr gute internationale Netzwerke. Die Labore, die mit Virusisolaten arbeiten wollen, müssen eine international anerkannte Genehmigung haben.

F&L: Es steigt also jemand mit einem Koffer voller Viren in ein Flugzeug?

Andreas Kurth: Ja, das geht in die Richtung. Aber es gibt spezielle Transportbedingungen, die weltweit einheitlich sind. Wie diese Proben eingepackt werden müssen, hängt von ihrer Risikogruppe ab. Für normale klinische Proben reicht eine einfache Verpackung, während Hochpathogene mehrfach und bruchsicher verpackt werden müssen.

F&L: Warum gehört ein Ebola-Virus in ein S4-Labor und ein SARS-CoV-2-Virus in ein S3-Labor? Nach welchen Kriterien richtet sich die Einstufung?

Andreas Kurth: Generell kann man schon sagen, dass die Kriterien sehr harmonisch sind, auch weltweit. Sie sind aber nicht identisch. Es kann also sein, dass in einem Land ein Erreger in der Sicherheitsstufe 4 bearbeitet werden muss, also in der höchsten Stufe, und in einem anderen Land in der Sicherheitsstufe 3. Es gibt Kommissionen, die das Risiko für einen Erreger einschätzen. Dabei werden verschiedene Eigenschaften berücksichtigt, zum Beispiel wie schwer die Krankheit beim Menschen verläuft oder ob es Medikamente oder Impfstoffe gibt. Auch die Gefährdung der Beschäftigten, die an den Erregern forschen, ist ein Kriterium.  

F&L: Wie wird der Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Labor sichergestellt?

Andreas Kurth: Grundlegend sind die technischen Sicherheitsmaßnahmen, die erfüllt sein müssen. Jede Person, die in das Labor geht, hat mehrere Paar Handschuhe an und einen Vollschutzanzug, der mit einer Fremdbelüftung ausgestattet ist. Ähnlich wie beim Tauchen wird durch einen Schlauch Atemluft in den Vollschutzanzug gepumpt, die keinen Kontakt zum Labor selbst hat. Neben diesem primären Schutz ist für uns das Training der Personen, die im Labor arbeiten, sehr wichtig. Forschung im Vollschutzanzug will gelernt sein. Aber es müssen nicht nur Forscherinnen und Forscher eingeübt sein, sondern auch andere Berufsgruppen. Das fängt bei den Technikern an, die eine Glühbirne wechseln oder technische Geräte reparieren müssen. Daneben gibt es Labortechniker, die vor allem mit Zellkulturarbeiten beschäftigt sind. Nicht zuletzt gehören auch Tierpfleger zum Labor, die mit infektiösen Tieren arbeiten. Sie müssen zum Beispiel eine Blutabnahme sicher durchführen können, ohne sich selbst mit der Nadel zu stechen. Dies sind alles Tätigkeiten, die wir lange trainieren, um Risiken möglichst auszuschließen. Die Erfahrung mit den Arbeitsabläufen im Labor spielt eine wichtige Rolle für die Sicherheit.

F&L: Gibt es auch Überprüfungen derjenigen, die das Labor betreten dürfen, wie z.B. ein polizeiliches Führungszeugnis oder ähnliches?

Andreas Kurth: Ja, das gibt es natürlich. Jeder, der tatsächlich im Labor arbeitet, wird einer Sicherheitsprüfung unterzogen. Unsere Gruppe in Berlin ist relativ klein. Wir sind aktuell um die 20 Personen, und wir kennen uns schon lange. Zur Sicherheitsüberprüfung kommt auch noch eine Gesundheitsprüfung hinzu, weil wir gesundheitliche Vorkommnisse vermeiden wollen und müssen. Denn es ist viel schwieriger, im Notfall eine Person aus dem Labor zu evakuieren.

F&L: Welche Sicherheitsanforderungen werden an die Räume gestellt?

Andreas Kurth: Neben den Personen muss auch die Umwelt geschützt werden. Deshalb gibt es sehr viele gesetzliche Regelungen, wie ein Labor gebaut sein muss. Ähnlich wie ein U-Boot oder eine Blechbüchse ist das Laborgebäude ein luftdichter Komplex. Die Außenwände sowie Rohre und Leitungen sind luftdicht verbaut, so dass keine Erreger nach außen dringen können. Die Luft, die das Labor verlässt, wird über Anlagen virussicher gefiltert. Die luftdichte Hülle wird jedes Jahr überprüft. Im Labor selber herrscht immer ein Unterdruck, so dass im Fall einer Undichtigkeit nur Luft hinein-, aber nicht hinausströmen könnte. Es ist ausgeschlossen, dass ein Überdruck entstehen kann, selbst im Fall eines Brandes. Es gibt sehr viele technische Vorkehrungen, damit die Gefährdung der Umwelt ausgeschlossen werden kann.

"Neben den Personen muss auch die Umwelt geschützt werden."

Wenn Personen in das eigentliche Labor wollen, müssen sie durch eine Schleuse mit einer Dekontaminationsdusche gehen. Man betritt im Schutzanzug die Schleuse durch eine Tür. Erst wenn diese wieder verschlossen ist, kann die Tür zum Labor geöffnet werden. Will eine weitere Person ins Labor, muss erst die Schleuse mit einem chemischen Mittel dekontaminiert werden, da durch die Türöffnung Luft aus dem Labor in die Schleuse gelangt ist. Erst danach kann der oder die nächste die "Duschkabine" betreten und ins Labor gelangen. Beim Verlassen des Labors wird jede Person mit dem chemischen Dekontaminationsmittel "geduscht", damit sowohl der Schutzanzug als auch die Schleuse nicht mehr infektiös sind. Dieser Zyklus dauert ca. sechs Minuten. Erst danach lässt sich die äußere Tür wieder öffnen. Mit diesem validierten Verfahren wird gewährleistet, dass alles, was das Labor verlässt, nicht mehr infektiös ist.

F&L: Sie kennen alle Sicherheitsvorkehrungen bis ins Detail. Bleibt trotzdem ein mulmiges Gefühl bei der Forschung an hochpathogenen Erregern?

Andreas Kurth: Ja und nein. Wir verlassen uns natürlich auf die Technik, dass generell die luftdichte Hülle, die Türen oder unser Vollschutzanzug funktionieren. Aber dadurch sind wir noch nicht vor uns selbst geschützt. Es könnte immer sein, dass wir uns mit einer Nadel stechen oder etwas anderes passiert. Es ist nicht so sehr ein mulmiges Gefühl, sondern eher der Respekt vor dem, was wir im Labor tun. Wenn ein Techniker die Glühbirne wechselt, ist das natürlich nicht dasselbe, als wenn ein Forscher ein Tier seziert und mit Kanülen hantiert. Derartige Risiken zu minimieren ist nur durch eine gute Selbsteinschätzung und umfassendes Training möglich.

Ich vergleiche die Arbeit hier im Labor immer gerne mit unserem Einsatz beim Ebola-Ausbruch in Westafrika. Mehrere Mitarbeiter und ich waren zur Unterstützung der Diagnostik vor Ort. Dort hatten wir ein Diagnostik-Zelt direkt in einem Behandlungszentrum. Wir haben die Erkrankten und auch die Toten gesehen. Für die sogenannte "Feldarbeit" hatten wir kein technisch hochgerüstetes Sicherheitslabor zur Verfügung, auch keinen Vollschutzanzug. Aber durch umfangreiches Wissen und Training kann man viel kompensieren, um auch dort vor Ansteckung sicher zu sein oder zumindest so sicher wie es eben geht. Erschwerend kommen jedoch die äußeren Umstände hinzu wie zum Beispiel die Hitze. Ob man in einem Vollschutzanzug oder bei großer Hitze mit einem Gesichtsschild die Proben in einer besonderen Box bearbeitet, beides ist sehr anstrengend. Die Konzentration lässt nach und man braucht Pausen und Erholung. Diese zu bekommen ist dort, wo es Krankheitsausbrüche gibt, viel schwieriger als zuhause. Das muss man dann irgendwie kompensieren, damit man sicher und konzentriert arbeiten kann.

In den modernen Hochsicherheitslabors gibt es viele Extrabarrieren, die gesetzlich verpflichtend sind und die uns sehr viel Sicherheit geben. Aber auch hier bleiben Tätigkeiten, bei denen es zu Überraschungseffekten kommen kann, zum Beispiel wenn wir mit infektiösen Tieren arbeiten. Hier müssen wir ganz speziell aufpassen.

F&L: Wenn Sie lebenden infizierten Fledermäusen Blut abnehmen wollen, müssen Sie diese zuerst mal aus dem Käfig holen. Kann da nichts passieren, wenn die Tiere mit den Flügeln schlagen oder mit ihren Zähnen zupacken?

Andreas Kurth: Eines der Sicherheitskriterien im Labor ist, dass wir keine Tiere, wir sagen dazu manipulieren, also infizieren oder Blut abnehmen, wenn die Tiere nicht unter Narkose sind. Sie werden immer narkotisiert, bevor wir mit einer Spritze in ihre Nähe kommen. Auch das dient der Sicherheit, damit wir nicht gebissen werden oder uns mit der Kanüle stechen, wenn das Tier zuckt. Es bleibt ein Restrisiko, denn wir wissen, dass nicht jede Narkose zu 100 Prozent funktioniert.

F&L: Sie haben auch schon ein Sicherheitslabor im Kongo mit aufgebaut. Sind dort die Sicherheitsvorkehrungen ähnlich?

Andreas Kurth: In einigen Ländern Afrikas gibt es stationäre Labore. Über Kooperationen versucht man zu erreichen, dass es dort so gut wie möglich läuft. Dazu kommt, dass man das Training der Personen mit begleitet oder es anfangs bei uns durchführt und später in Afrika vertieft. Es ist eine Sache, ein Labor zu bauen, die Technik bereitzustellen und die Personen auszubilden, die darin arbeiten sollen. Aber etwas anderes ist eher komplizierter als hier in Deutschland: das Labor in Betrieb zu halten. Denn die technischen Anlagen sind wartungsbedürftig. Das reicht von konstanter Stromversorgung über Wasser und Abwasser bis hin zur Luftversorgung etc. Das ist sehr aufwändig und bedarf der Unterstützung.