Ein Halsbandsittich sitzt auf einem Ast
picture alliance / blickwinkel/M. Woike | Martin Woike

Naturschutz
Vereinte Nationen ermutigen zum Kampf gegen invasive Arten

Menschen schleppen Tiere in artfremde Gebiete ein. Das führt zu Denguefieber in Paris und Getreidesterben in Neuseeland. Aber es gibt auch Lösungen.

04.09.2023

"Wir können dieses Problem lösen." Die Expertinnen und Experten des Weltbiodiversitätsrates (IPBES) zeigen sich bei einer Pressekonferenz auf dem Klima-Campus der Vereinten Nationen in Bonn optimistisch. Etwas Zuversicht wird auch nötig sein, denn der Bericht, den sie am Montag in Bonn vorgestellt haben, weist invasive Arten als ein massiv unterschätztes Problem aus.

60 Prozent des Artensterbens weltweit hängt laut des Berichts mit invasiven Arten zusammen. Dabei handelt es sich um eingeschleppte oder absichtlich angesiedelte Spezies, die ohne menschlichen Eingriff nicht in der betroffenen Gegend vorkämen. Laut der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler betreffe das inzwischen alle Weltregionen. Und da immer mehr Menschen reisten und immer größere Warenströme ausgetauscht würden, dürfte das Problem in Zukunft noch zunehmen. 

Der Bericht wurde am Montag von dem in Bonn angesiedelten Weltbiodiversitätsrat (IPBES) veröffentlicht. 86 Expertinnen und Experten aus 49 Ländern haben über vier Jahre daran gearbeitet. Dabei wurden sie von rund 200 Autorinnen und Autoren weltweit unterstützt. "Es ist der erste Bericht, der das Problem so global und umfassend behandelt", sagte Sven Bacher, Professor für Ökologie und Evolution an der schweizerischen Universität Freiburg, gegenüber der dpa. "Jetzt haben wir endlich eine Datengrundlage, mit der wir zeigen können, wie groß das Ausmaß dieses Phänomens ist."

Menschen sind die Ursache für die Verbreitung invasiver Spezies

Insgesamt sind laut des Berichts konservativen Schätzungen zufolge mittlerweile 37.000 gebietsfremde Arten durch das Einwirken des Menschen aus ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet in andere Regionen gebracht worden. Etwa 3.500 dieser Arten richten Schäden an – diese beschreiben Forschende als invasive Arten. Die jährlichen wirtschaftlichen Kosten betrugen dem Bericht zufolge im Jahr 2019 mindestens 423 Milliarden Dollar (392 Milliarden Euro). Jedes Jahr kämen circa 200 neue invasive Arten hinzu. Ameisen reisten zum Beispiel auf Containerschiffen in fremde Weltregionen. Aber auch Privatpersonen trügen zu der Verbreitung invasiver Arten bei, zum Beispiel, wenn sie artfremde Pflanzen in ihrem Garten züchteten oder Haustiere in eine Gegend einführten, in denen diese üblicherweise nicht vorkommen. Das betreffe auch den Menschen direkt, zum Beispiel, wenn Getreide von invasiven Arten zerstört wird oder Biber in Chile Dämme bauen, die Trinkwasserquellen austrocknen lassen.

Für Deutschland gibt das Bundesamt für Naturschutz (BfN) 900 gebietsfremde Arten an, von denen etwa 90 invasiv sind. "Diese Zahlen sind sehr zurückhaltend", sagt dazu der IPBES-Experte Hanno Seebens. "Nach unseren Datenbanken haben wir in Deutschland mindestens 2.600 etablierte gebietsfremde Arten, von denen ein Teil invasiv ist." All diese Zahlen bezögen sich nur auf dokumentierte Arten - es gebe mit Sicherheit eine hohe Dunkelziffer.

Eine invasive Art ist zum Beispiel ein Pilz mit dem Namen Salamanderpest, der tödlich für Feuersalamander-Populationen ist. Er hat sich von den Niederlanden aus nach Deutschland verbreitet. "In den letzten Jahren haben wir den auch schon in Bayern gefunden, und jetzt haben wir große Angst, dass er sich noch weiter ausbreitet", erläutert Bacher. Es gebe aber auch invasive Arten, die ganze Ökosysteme veränderten. "Da könnte man die Pazifische Auster anführen, die in der Nordsee große Austernbänke bildet und dadurch sogar die Strömungsverhältnisse im Wattenmeer verändert. So wird der Lebensraum als Ganzes durch eine einzige invasive Art stark beeinflusst."

Die Klimakrise beschleunigt die Entwicklung

Neben diesen Naturschäden ergeben sich laut den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auch starke wirtschaftliche Schäden. So zerstörten Bisamratten – ursprünglich wegen ihres Pelzes eingeführt – vielfach Uferbefestigungen. Der Japankäfer wiederum falle wie eine biblische Plage über Felder her und frisst alles kahl. In der Schweiz würde dagegen mit Pestiziden auch in privaten Gärten vorgegangen. Auch für den Menschen könnten bestimmte Arten gefährlich werden: So sei die Asiatische Tigermücke potenziell Überträgerin von Krankheiten. Graue Eichhörnchen haben längst rote Eichhörnchen verdrängt, während australische Schädlinge neuseeländisches Getreide zerstörten.

Seebens ist es wichtig zu betonen, dass nicht die invasiven Arten selbst diese Entwicklung auslösen, sondern der Mensch, der sie von einem Kontinent zum anderen bringe. Seit den 1950er Jahren nehme die Verbreitung gebietsfremder Arten weltweit zu – und das immer schneller. Die dahinter liegenden Triebkräfte wie etwa der internationale Handel, aber auch die Zerstörung von Habitaten, würden immer weiter wachsen. "Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass sich dieser Trend irgendwie abschwächen wird - im Gegenteil." Auch die Klimakrise beschleunige die Entwicklung, so die Expertinnen und Experten während der Pressekonferenz. Aufgrund steigender Temperaturen könnten immer mehr Spezies immer weiter im Norden überleben.

"Am besten ist es natürlich, die Verbreitung solcher Arten von vornherein zu verhindern - durch Prävention." Professor Dr. Sven Bacher 

Die gute Nachricht ist, dass es nach dem einhelligen Urteil der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erprobte und effiziente Maßnahmen zum Gegensteuern gibt. "Am besten ist es natürlich, die Verbreitung solcher Arten von vornherein zu verhindern – durch Prävention", betont Bacher. "Es gibt schon internationale Abkommen, etwa für Schifffahrt, für Ballastwasser, aber das Problem ist, dass sie nicht richtig eingehalten werden." Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fordern deshalb strengere Kontrollen. Auch sei ein koordinierteres Vorgehen wichtig. Es ergebe wenig Sinn, nur auf lokaler Ebene gegen das Problem anzukämpfen, denn invasive Arten hielten sich natürlich nicht an Verwaltungs- und Ländergrenzen. Die Umweltschutzorganisation WWF weist darauf hin, dass über 80 Prozent aller Staaten bisher keine speziellen Gesetze oder Vorschriften für Invasions-Prävention und Invasions-Kontrolle besäßen.

Auch der Einzelne ist gefragt. "Viele von uns haben zum Beispiel gebietsfremde, vielleicht sogar invasive exotische Pflanzen im Garten stehen", so Bacher. "Oder ein anderes Beispiel: Wir bereisen immer entlegenere Gebiete, fliegen dann zurück und benutzen hier die Wanderschuhe, an denen sich noch Erde vom anderen Ende der Welt befindet. Auf diese Weise tragen wir unter Umständen selbst dazu bei, völlig fremde Arten hier anzusiedeln."

dpa/cle