Frau und Mann halten sich an der Hand
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Beziehungsforschung
Liebesstile aus psychologischer Sicht

Die Liebe ist eines der grundlegendsten Bedürfnisse des Menschen. Wie funktioniert die Partnerwahl und wie hängt das mit der Persönlichkeit zusammen?

Von Hans-Werner Bierhoff 15.12.2018

Romantische Liebe stellt eine der tiefsten emotionalen Erfahrungen dar, die aber für die Verliebten oft schwer zu erklären ist. Erklärungen scheinen sogar der Liebe zu schaden, weil die Erwähnung von Gründen, warum die Nähe einer geliebten Person gesucht wird, im Ergebnis zu weniger Zuneigung führt.

Liebe bedeutet nach dem Duden "ein starkes (inniges) Gefühl der Zuneigung, des Hingezogenseins". Eine sozialpsychologische Definition lautet: Liebe ist eine Einstellung, die eine affektive (Zuneigung, Zärtlichkeitsgefühle, Leidenschaft, Freude in Bezug auf die geliebte Person), kognitive (Aufwertung und Idealisierung der geliebten Person) und Verhaltenskomponente (Annäherung an und Umarmung der geliebten Person) aufweist.

Im Folgenden konzentriere ich mich auf die Liebe in Partnerschaften. Grundsätzlich lässt sich zwischen einer evolutionspsychologischen und einer kulturellen Perspektive auf die Liebe unterscheiden. Verhalten bei der Partnerwahl und während der Partnerschaft ist durch evolutionäre Anpassungen gekennzeichnet. Diese Anpassungen sind für Männer und Frauen teilweise ähnlich und teilweise unterschiedlich. Männer und Frauen suchen zum Beispiel gleichermaßen nach verständnisvollen, vertrauenswürdigen und hilfsbereiten Partnerinnen beziehungsweise Partnern.

"Männer orientieren sich bei der Partnerwahl eher an physischer Attraktivität, Frauen eher am sozialen Status." Hans-Werner Bierhoff

Neurophysiologische Evidenz ist ebenfalls bei Männern und Frauen übereinstimmend. Denn Studien mit amerikanischen und chinesischen Teilnehmern ergaben, dass die geliebte Person eine spezifische Gehirnregion aktiviert, die mit dem Belohnungs- und Motivationssystem im Mittelhirn zusammenhängt. Der Kulturvergleich beinhaltet auch einen Hinweis auf die universelle Verbreitung der Liebe, da die gleiche neurophysiologische Evidenz in zwei unterschiedlichen Kulturen gefunden wurde.

Aber es gilt auch: weibliche Partnerwahl orientiert sich stärker am sozialen Status, die der Männer eher an physischer Attraktivität und Jugendlichkeit. Dementsprechend wird angenommen, dass Eifersucht bei Männern und Frauen durch unterschiedliche Merkmale aktiviert wird. Tatsächlich berichten Männer über mehr Eifersucht bei der Konfrontation mit dominanten, mächtigen Rivalen, während Frauen bei der Begegnung mit hoch attraktiven Rivalinnen besonders eifersüchtig reagieren.

Über verschiedene Kulturen, Bevölkerungsschichten und historische Epochen lässt sich im Vergleich feststellen, dass unterschiedliche Modelle der Liebe vorherrschen. In westlichen Ländern trat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine zunehmende Betonung der romantischen Zuneigung beziehungsweise des romantischen Ideals als Voraussetzung für die Bildung einer Partnerschaft auf. Romantische Liebe wurde zu einem Hauptkriterium für die Auswahl einer Partnerin oder eines Partners.

Umbruch im Verständnis von Ehe und Familie

Gerade in den letzten drei Jahrzehnten fand ein großer Umbruch im Verständnis von Ehe und Familie wegen der Verminderung der normativen Verbindlichkeit der klassischen Kernfamilie (Mutter, Vater, Kind(er)) statt. In den Nachkriegsjahrzehnten galt dieses Bild der "Normalfamilie" als verbindliches Leitbild der Familie. Allerdings kam es zur faktischen Infragestellung dieses Bildes. Indikatoren dafür waren die steigenden Scheidungsraten und der Geburtenrückgang.

Die Verwirklichung von Partnerschaft hat sich aufgrund des kulturellen Wandels verändert: An die Stelle lebenslanger Ehen, die im jungen Erwachsenenalter geschlossen werden, sind vielfach "Patchworkbiografien" getreten, die sich durch Komplexität, vorläufige Bindung und späte Eheschließung auszeichnen. Mit diesem kulturellen Wandel ist der teilweise Verlust des kulturellen Leitbildes der Normalfamilie der 1950er/1960er-Jahre verbunden.

Das zeigt, dass das Verständnis von Partnerschaft und Familie ohne die kulturelle Perspektive nicht vollständig ist. Darüber hinaus gilt: Kulturelle und biologische Faktoren stehen miteinander in Wechselwirkung. Die natürliche Selektion begrenzt die Vielfalt der kulturellen Variationen.
Kultur und genetische Ausstattung stellen zwei grundlegende Perspektiven dar, die eine Vielzahl von Phänomenen der Partnerschaft erklären können. Im Einzelnen muss aber geklärt werden, ob Kultur oder Gene oder beide die entscheidenden Determinanten sind.

Das lässt sich an unterschiedlichen Mustern der Liebe, die als Liebesstile bezeichnet werden, verdeutlichen. Liebesstile lassen sich als Einstellungen zum Partner oder zur Partnerin auffassen, die durch persönliche Vorstellungen und kulturelle Vorgaben bestimmt werden. Demgegenüber sind sie nur in geringem Umfang durch genetische Faktoren bestimmt, wie Zwillingsstudien zeigen.

Klassifikation von Liebesstilen

Die Klassifikation der Liebesstile beruht auf der begrifflichen Differenzierung unterschiedlicher Formen der Liebe. Insgesamt werden sechs Formen der Liebe unterschieden, die in einer gegebenen Partnerschaft relativ stabil über mehrere Jahre ausgeprägt sind.

Romantische Liebe beinhaltet folgende typische Merkmale: Die Partner fühlen sich körperlich angezogen, erleben Liebe auf den ersten Blick, sind physiologisch erregt und entwickeln schnell die Bereitschaft, sich aufeinander einzulassen, sich ineinander hineinzuversetzen und für sich persönlich jeweils emotionalen Gewinn zu ziehen. Beispielaussage: "Mein Partner und ich erleben die gleiche sexuelle Wellenlänge."

Spielerische Liebe beruht auf der Idee von sexueller Freiheit. Das Ziel besteht in der Verwirklichung von sexuellen Wünschen im Hier und Jetzt. Täuschung, Manipulation und Versteckspiel gehören dazu. Die Bindungsrichtung ist vermeidend, sodass Unwohlsein bei zu großer Intimität und Nähe aufkommt. Die Anbahnung zusätzlicher Beziehungen neben der mit einem festen Partner wird durch die Welt des Internets erleichtert. Beispielaussage: "Manchmal muss ich verhindern, dass zwei meiner Partner etwas übereinander herausfinden."

Freundschaftliche Liebe entsteht aus langer Bekanntschaft oder Freundschaft. Gemeinsame Interessen und Aktivitäten stehen im Mittelpunkt der Beziehung. Sexuelle Anziehung entwickelt sich im Laufe der Zeit. Es dominiert emotionale Gelassenheit, die durch Toleranz und Respekt gekennzeichnet ist. Beispielaussage: "Die beste Art von Liebe entsteht aus einer engen Freundschaft."

Besitzergreifende Liebe ist im Unterschied zu der freundschaftlichen Liebe hoch emotional. Die geliebte Person erscheint als einmalig und unersetzbar und strahlt Vollkommenheit aus. Besonders charakteristisch ist die Neigung zur Eifersucht, die mit der ängstlich-ambivalenten Bindung zusammenhängt, die dieser Liebesform zugrunde liegt. Die Eifersucht hängt mit der Angst zusammen, verlassen zu werden. Beispielaussage: "Wenn mein Partner mir keine Aufmerksamkeit schenkt, fühle ich mich ganz krank."

Bei der pragmatischen Liebe herrscht die Nutzenorientierung vor. Dementsprechend ist das emotionale Niveau niedrig und das bewusste Abwägen von Vor- und Nachteilen hoch ausgeprägt. Daher kann man von einer analytischen/rationalen Vorgehensweise sprechen. Der ideale Partner erscheint als solide und talentiert.  Beispielaussage: "Bevor ich eine Liebesbeziehung eingehe, erwäge ich, was die Beziehung für mich bringt."

Altruistische Liebe zeichnet sich dadurch aus, dass das Wohl der geliebten Person im Vordergrund der Aufmerksamkeit steht. Die eigene Perspektive ist durch die Bedürfnisse des Partners oder der Partnerin bestimmt, die mit Opferbereitschaft beantwortet werden. Gelegentlich kann eine Kluft zwischen Einstellung und Verhalten auftreten, wenn die Opferbereitschaft mehr ein Lippenbekenntnis als eine handlungsleitende Einstellung ist. Beispielaussage: "Ich würde alles aushalten für das Wohl meines Partners."

Nebeneinander verschiedener Liebesstile

Eine Person entscheidet sich nicht notwendigerweise für einen bestimmten Liebesstil und gegen die anderen. Vielmehr kann sie mehrere Liebesstile gleichzeitig zum Ausdruck bringen. So findet sich ein positiver Zusammenhang zwischen romantischer und altruistischer Liebe. Wer romantisch orientiert ist, tendiert auch dazu, altruistische Liebe zu zeigen.

Weiterhin gilt, dass sich die Liebesstile in der Akzeptanz bei Liebenden deutlich unterscheiden:

  • Die höchste Zustimmung findet die romantische Liebe.
  • Mittlere Zustimmung wurde für freundschaftliche, besitzergreifende und altruistische Liebe festgestellt.
  • Niedrige Zustimmung zeigte sich bezogen auf spielerische und pragmatische Liebe.

Eine weitere wichtige Erkenntnis bezieht sich auf die Ähnlichkeit der Liebenden in den Liebesstilen. Diese liegt konsistent hoch bei romantischer Liebe, altruistischer Liebe und pragmatischer Liebe, die sich dementsprechend durch Gegenseitigkeit auszeichnen. Hingegen ist sie bei spielerischer, freundschaftlicher und besitzergreifender Liebe inkonsistent über unterschiedliche Stichproben.

"Liebe und Streit können nebeneinander bestehen." Hans-Werner Bierhoff

Im Längsschnitt (über viereinhalb Jahre) zeigte sich, dass romantische, spielerische und besitzergreifende Liebe über die Zeit in der Stärke abnehmen, während freundschaftliche Liebe an Bedeutung zunimmt. Insofern finden sich im Zeitverlauf sowohl Verluste an Liebe als auch gegenläufige Gewinne, die möglicherweise geeignet sind, die Verluste zu kompensieren.

Liebe und Streit können nebeneinander bestehen. Damit werden jeweils unabhängige Erlebnishorizonte angesprochen. Auch romantische und spielerische Liebe können koexistieren, wenn auch die Tendenz besteht, dass starke romantische Verliebtheit weniger spielerische Liebe impliziert. Aber der negative Zusammenhang ist relativ schwach, sodass es in vielen Fällen doch sein kann, dass eine Person romantisch verliebt ist, aber nicht der Versuchung der Untreue wiederstehen kann.

Schließlich ist es aufschlussreich, eine Aufteilung der Liebesstile in bindungsabhängige und bindungsunabhängige durchzuführen. Dabei wird zwischen Bindungsvermeidung und Bindungsangst unterschieden, die die Grunddimensionen der Bindung darstellen.

  • Freundschaftliche, pragmatische und altruistische Liebe zeigten geringe Zusammenhänge mit der Bindung
  • Romantische Liebe (negativ mit Bindungsvermeidung), spielerische Liebe (positiv mit Bindungsvermeidung) und besitzergreifende Liebe (positiv mit Bindungsangst) erwiesen sich hingegen als bindungsabhängig.

Wie hängt Liebe mit der Persönlichkeit zusammen? Neuere Forschung zeigt, dass der Narzissmus für die Beantwortung dieser Frage eine Schlüsselrolle spielt. Unter Narzissmus versteht man übertriebene Selbstliebe kombiniert mit einer ausgeprägten Anspruchshaltung.

Weitere Merkmale sind Gefühl der Überlegenheit und Bereitschaft, Führung zu übernehmen. Narzissmus passt zu einem aufwendigen Lebensstil, der sich unter der Überschrift "mehr Schein als Sein" zusammenfassen lässt. Empirische Ergebnisse legen die Schlussfolgerung nahe, dass das Niveau des Narzissmus seit den 1990er Jahren in westlichen Gesellschaften angestiegen ist.

Weiterhin gilt, dass der narzisstische Lebensstil durch den Aufstieg der sozialen Medien, in denen die Selbstdarstellung der Nutzer eine wichtige Rolle spielt, gefördert wird. Narzissmus steigert den Wunsch, soziale Vergleiche mit anderen durchzuführen, der wiederum die Nutzung sozialer Medien intensiviert.Man kann zwischen zwei Dimensionen des Narzissmus unterscheiden:

  • Grandiose Narzissten sind durch folgende Merkmale charakterisiert: anmaßendes Selbstbild, Neigung sich selbst zur Schau zu stellen, Streben nach Bewunderung von anderen und hohes Selbstwertgefühl. Sie erreichen höhere Werte der spielerischen Liebe.
  • Vulnerable Narzissten: Berichten über Fantasien der eigenen Großartigkeit, schwanken aber zwischen Gefühlen der Über- und Unterlegenheit und haben ein schwaches Selbstwertgefühl. Sie erreichen höhere Werte der spielerischen, pragmatischen, besitzergreifenden, romantischen und altruistischen Liebe.

Besonders bemerkenswert ist: Der vulnerable Narzissmus hängt sowohl positiv mit beziehungsförderlichen als auch mit -störenden Liebesstilen zusammen. Denn romantische Liebe korreliert positiv mit Partnerschaftszufriedenheit, während der Zusammenhang für spielerische Liebe negativ ist.