Illustration eines Gehirns
mauritius images/Science Photo Library/Jesper Klausen

Neurobiologie
Prokrastination kann genetisch veranlagt sein

Wer Aufgaben aufschiebt, ist häufig leicht ablenkbar. Eine Forschungsgruppe hat dafür einen geschlechtsspezifischen genetischen Zusammenhang entdeckt.

15.07.2019

Manche Menschen neigen dazu, Handlungen ohne driftigen Grund aufzuschieben anstatt sie sofort zu erledigen. Prokrastination heißt das weitverbreitete Phänomen. Bei Frauen geht dieser Charakterzug mit einer genetischen Veranlagung einher, die einen höheren Spiegel des Botenstoffs Dopamin im Gehirn verursacht. Das weibliche Hormon Östrogen macht Frauen zudem empfänglicher für die Wirkung des Dopamins. Das fanden Forschende der Ruhr-Universität Bochum (RUB) und der TU Dresden in einer Studie heraus.

Die Forschungsgruppe untersuchte demnach die genetische Ausstattung von 278 Männern und Frauen. Sie analysierte vor allem das sogenannte Tyrosinhydroxylase-Gen (TH-Gen), das je nach Ausprägung für viel oder wenig Dopamin im Gehirn sorgt. Außerdem erfasste das Team mit einem Fragebogen, wie gut die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Handlungen kontrollieren können – für jede der darin beschriebenen Situationen hatten die Befragten zwei Möglichkeiten zu reagieren. Daraus schlossen die Forschenden, ob die Befragten eine Aufgabe effizient erledigen oder zögern und diese ohne guten Grund verschieben. Frauen mit schlechterer Handlungskontrolle hatten laut Mitteilung die genetische Anlage für höhere Dopaminlevel. Bei Männern konnten die Forschenden diesen Zusammenhang nicht feststellen.

Ob jemand Aufgaben aufschiebe, hänge von der individuellen Fähigkeit ab, eine Handlungsabsicht aufrechtzuerhalten, ohne sich von Störfaktoren ablenken zu lassen. Dopamin wurde in früheren Studien mit erhöhter kognitiver Flexibilität – und erhöhter Ablenkbarkeit – in Zusammenhang gebracht. Menschen, die aufgrund ihres Genotyps einen höheren Dopaminspiegel haben, könnten nach Ansicht der Forschenden eher dazu neigen, sich ablenken zu lassen und daher Handlungen aufzuschieben.

Östrogen macht empfänglicher für Dopamin

Auch frühere Studien hätten bereits geschlechtsspezifische Unterschiede zwischen der Ausprägung des TH-Gens und dem Verhalten zutage gefördert. "Der Zusammenhang ist noch nicht vollständig geklärt, aber das weibliche Sexualhormon Östrogen scheint eine Rolle zu spielen", erläutert der beteiligte Forscher Dr. Erhan Genç. Östrogen beeinflusse indirekt die Dopamin-Produktion und dessen Wirkung im Gehirn. "Frauen könnten also aufgrund des Östrogens empfänglicher für die genetisch bedingten Unterschiede im Dopaminlevel sein, was sich wiederum im Verhalten niederschlägt", so der Biopsychologe.

In künftigen Studien will das Forschungsteam den Einfluss des schwankenden Östrogenspiegels während des Menstruationszyklus für die Handlungskontrolle genauer untersuchen, sowie neben Dopamin auch Noradrenalin beleuchten – einen weiteren wichtigen Botenstoff, den das TH-Gen beeinflusst.

In einer vorherigen Studie konnten die Forschenden zeigen, dass bei zu Prokrastination neigenden Menschen ein Hirnareal größer ausgeprägt und die Verbindung zu einem anderen eingeschränkt ist. Einen Zusammenhang mit dem TH-Gen konnte das Team in der neuen Studie jedoch nicht finden. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schließen daraus, dass genetische, anatomische und funktionale Unterschiede die Prokrastinations-Neigung unabhängig voneinander beeinflussen.

ckr