Zeichnung eines Panzers mit verknoteter Kanone.
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Zivilklauseln
Sollten deutsche Hochschulen zu militärischen Zwecken forschen dürfen?

Zwei Experten analysieren Sinn und Zweck von Zivilklauseln an Hochschulen. Im Für und Wider steht Meinung gegen Meinung.

Pro: Argumente für militärische Forschung

Spätestens seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine wird auch über die Frage der Zivilklauseln in den Hochschulen diskutiert. Es ist sicherlich vernünftig, wenn eine Hochschule zur Frage der Nutzung von Forschungsergebnissen eine Position bezieht. Dies gilt nicht nur hinsichtlich militärischer Nutzung, sondern auch für viele andere Bereiche mit ethischen Aspekten. In einer idealen Welt bedarf es keinerlei Vorgaben oder Festlegungen, da jede Forscherin und jeder Forscher sich nur ethisch einwandfreien und unkritischen Themen zuwenden würde. In der realen Welt hingegen sollten Institutionen durchaus Werte definieren, die das Selbstverständnis der Einrichtung abbilden und als Vorgabe für die Forschung gelten. Gerade das Thema Sicherheit steht hier schnell im Fokus. Es muss jeder und jedem klar sein, dass fast jegliche Forschung für verschiedene Zwecke be- beziehungsweise genutzt werden kann. In diesem Sinn haben wir in einem acatech Impuls empfohlen, dass die sogenannte Zivilklauseln einer Überprüfung unterzogen werden sollten. Eine Forderung "nicht für militärische Zwecke" greift zu kurz und zu weit gleichzeitig: Was ist mit präzisen Navigationssystemen, die gleichermaßen für zivile und militärische Anwendungen sinnvoll sind?

Portraitfoto von Jan Wörner
Professor Dr.-Ing. Jan Wörner ist Präsident der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech). ESA

In meiner Zeit als Universitätspräsident hatten wir im Senat die Diskussion über die Ehrung einer Person aus der Wirtschaft. Das Unternehmen dieses Herrn entwickelte und baute Hubschrauber. Im Senat kam die Frage auf, was denn das für Hubschrauber seien. Ein Senatsmitglied antwortete prompt: "Nur Rettungshubschrauber". So unsinnig die Antwort war, so unsinnig war die Frage. Natürlich können durch Hubschrauber Menschenleben gerettet werden, sie können aber gleichermaßen in Konflikten und Kriegen eingesetzt werden. Meine persönliche Richtschnur waren immer die  Werte, die sehr gut in Artikel 1 unseres Grundgesetzes festgeschrieben sind: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Ge­walt…". In der Konvention der Europäischen Raumfahrtagentur ESA findet man einen sehr hilfreichen Satz zum Zweck der Arbeit: "europäische Zusammenarbeit für ausschliesslich friedliche Zwecke". Wenn ein solcher Satz die Grundlage darstellt und als Grundsatz akzeptiert und umgesetzt wird, ist aus meiner Sicht viel mehr erreicht, als wenn man versucht, die Abgrenzung zwischen ziviler und militärischer Forschung durch angeblich "präzisere" Formulierungen zu beschreiben.

Wir müssen heute, im Herbst 2022, feststellen, und ich schließe mich ausdrücklich ein, dass wir die letzten Jahrzehnte im naiven Glauben gelebt haben, dass eine friedliche Welt möglich ist und dass Deutschland keinerlei Bedrohung ausgesetzt ist. Dieser Eindruck wurde durch die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands verstärkt. Wir hätten schon früher aufwachen können und müssen (Kosovo, Tschetschenien, Libyen, Kuwait), aber alles schien so weit weg. Spätestens die dramatischen Bilder und Konsequenzen der kriegerischen Auseinandersetzungen und Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan hätten uns wachrütteln müssen. Jetzt, unter dem Eindruck des russischen Angriffskrieges, werden wir plötzlich wach und müssen erkennen, dass Frieden und Freiheit keine Selbstverständlichkeiten sind und sogar mit Waffen (und staatlicher Gewalt wie im Grundgesetz festgelegt) verteidigt werden müssen.

"Sicherheit und Freiheit haben einen Preis." Jan Wörner

Genau diese Situation hatten die Mütter und Väter des Grundgesetzes im Sinn und haben sogar von "Streitkräften" gesprochen. Wirksame Verteidigung unserer Werte braucht moderne Instrumente, nicht nur Computer, sondern leider auch militärische Hardware. Dafür wird Innovation, basierend auf Forschung und Entwicklung, benötigt. Dabei ist es – leider – blauäugig zu glauben, man könne den Technologieeinsatz ganz ohne menschliche Verluste realisieren. So bitter es klingt: Sicherheit und Freiheit haben einen Preis, unter Umständen einen hohen Preis. Die Alliierten haben Deutschland durch den verlustreichen Sieg über die Nationalsozialisten die friedliche, freiheitliche und Menschenwürde achtende Gegenwart ermöglicht. Ziel muss also sein, den Teufel "Krieg" möglichst auszurotten – und zwar nicht durch formale Beschlüsse, sondern durch praktizierte Wertevermittlung. Bis dahin wird es aber offensichtlich leider nötig sein, gegebenenfalls Land und Bevölkerung auch durch militärische Fähigkeiten zu schützen. In beiden Aspekten sollten Hochschulen und Forschungseinrichtungen ihren Beitrag leisten!

Wenn man dieser Logik bereit ist zu folgen, dann heißt es auch, dass bezüglich der Vorgaben an die Forschenden nicht eine einfache Formel "nur zivile Zwecke" oder "keine kriegerischen Zwecke" sinnvoll ist, sondern dass es eines Diskurses bedarf, um den Werten unserer Bundesrepublik und des geltenden Grundgesetzes zu genügen: Die Gewährleistung von Sicherheit, insbesondere äußerer Sicherheit, bedarf permanenter Innovation, um sich rasch verändernden Bedrohungen begegnen zu können. Dazu zitiere ich Willy Brandt, sicherlich ein ausgewiesener Friedenspolitiker: "Wenn ich sagen soll, was mir neben Frieden wichtiger sei als alles andere, dann lautet meine Antwort ohne Wenn und Aber: Freiheit". Sicherlich kein Aufruf zum Angriffskrieg, aber zur Verteidigung.


Contra: Argumente gegen militärische Forschung

Lange galt Pazifismus als unangefochtener moralischer Grundsatz. Wir sehen in diesen Tagen und Monaten, wie schnell sich unsere Werte und Grundvorstellungen ändern können. Wer kann in Zeiten von direkter und indirekter Bedrohung noch am Frieden festhalten? Müssen wir uns nicht verteidigen können? Müssen wir nicht handlungsfähig bleiben oder besser gesagt, es wieder werden? Können wir unsere Augen verschließen vor dem, was vor unserer Haustür passiert?

Portraitfoto von Geraldine Rauch.
Professorin Geraldine Rauch ist Präsidentin der Technischen Universität Berlin.

Ich selbst habe eine Weile darüber nachdenken müssen, ob ich den hier vorliegenden "Contra"-Part schreiben kann und will. Denn es gibt viele gute Gründe jetzt zu sagen, dass wir in der Vergangenheit etwas versäumt haben, dass wir dadurch angreifbar geworden sind und sicherheitspolitisch schlecht dastehen. Und dennoch – wir stehen vor einem tiefgreifenden moralischen und gesellschaftlichen Wandel – wir liefern Waffen, wir investieren wieder im großen Stil in die Bundeswehr, und nun sehen sich auch die Hochschulen mit der Frage (oder ist es gar ein Aufruf?) konfrontiert, Rüstungsforschung zuzulassen und aktiv zu unterstützen. Politiker werden angefeindet, weil sie bei der Lieferung schwerer Waffen zögern oder weil sie sich für Verhandlungen mit Russland aussprechen. Mir scheint – bei dem völlig angebrachten und verständlichen Ringen um den richtigen Umgang mit Russland – wir lassen etwas zu schnell von unseren moralischen Werten ab. Sind wir wirklich alle davon überzeugt "das Richtige" zu tun (falls es das in dieser Absolutheit überhaupt gibt), indem wir aufrüsten und bei Provokationen mit Gegenprovokationen reagieren? Nach meiner Auffassung ist das eine sehr gefährliche Spirale.

Bei der Frage nach Rüstungsforschung an Hochschulen geht es jedoch weniger um den aktuellen Konflikt. Wenn die Hochschulen jetzt beginnen würden, in der Rüstungsforschung aktiv zu werden, so würde sich dies ohnehin nur sehr zeitverzögert auf die militärisch-technologische Unabhängigkeit Deutschlands auswirken. Die Frage, ob an Hochschulen Forschung für militärische Zwecke betrieben werden soll, stellt das Spannungsfeld aber auch deutlich zu einfach da. So ist es moralisch, ethisch und natürlich auch sicherheitspolitisch ein Unterschied, ob die Hochschulen Beiträge zur Entwicklung von Schutzausrüstung liefern, ob sie an der Entwicklung von Kampfpanzern beteiligt sind oder gar an der Entwicklung von Massenvernichtungswaffen. Vermutlich jeder würde spätestens bei Letzterem eine klare Grenze ziehen – und das, obwohl dadurch in einer Bedrohungssituation ein Kräfteungleichgewicht die notwendige Folge ist. Deswegen denke ich, dass auch die Befürworter von Rüstungsforschung die Bedeutung und die Auslegung dieser Forderung deutlich differenzieren müssen.

"Es ist nicht immer einfach überhaupt zu definieren, was Forschung zu militärischen Zwecken bedeutet." Geraldine Rauch

Natürlich gibt es auch Forschung, die für militärische Zwecke genutzt werden kann, die sich nicht mit der Entwicklung von Waffen befasst, etwa Informationstechnologien oder logistische Technologien, die zur Versorgung von Verwundeten oder Truppen eine zentrale Rolle spielen können. Viele Technologien werden für gesellschaftliche, friedliche Zwecke entwickelt, können aber auch militärisch eingesetzt werden, zum Beispiel im Bereich der Chip-Entwicklung. Solche Forschung zu unterbinden, ist nicht sinnvoll. Es ist daher nicht immer einfach überhaupt zu definieren, was Forschung zu militärischen Zwecken bedeutet. An vielen Universitäten, so auch an der Technischen Universität Berlin, gibt es daher entsprechende Zivilklauseln, die diese schwierige Abwägung durchaus aufgreifen.

Hochschulen sind Orte der Bildung und der Forschung. Hier sollten Menschen gemeinsam lernen und sich unabhängige Meinungen bilden können. Dabei sollen Forschung und Entwicklung der Menschheit dienen und dazu beitragen, globale und lokale Probleme zu lösen. Aber dies geschieht nicht, indem wir als Hochschulen auf akute Konflikte reagieren, sondern indem wir langfristig und vorausschauend in Forschung und Entwicklung investieren.

Man kann sagen, dass Deutschland sehenden Auges in die jetzige Energiekrise gekommen ist, denn das Fehlen von Investitionen in alternative Energien und die starken Abhängigkeiten auf dem Gasmarkt waren lange bekannt. Man kann ebenfalls vorhersehen, dass ohne eine echte Wende in den Bereichen der Energie, Mobilität und Ernährung Konflikte und Verteilungskämpfe – auch militärischer Natur – in den nächsten Jahren stark zunehmen werden. Die Antwort darauf kann nicht Rüstungsforschung sein.

Natürlich kann die Politik die aktuell veränderte sicherheitspolitische Situation nicht ignorieren. Es ist verständlich und richtig, dass hier politisch nun neu gedacht wird. Eine Rüstungsmacht kann abschreckend wirken und im Falle eines Angriffes die Verteidigung sichern. Global gesehen enden militärische Auseinandersetzungen aber selten mit "der einen" Verteidigung gegen den Aggressor, sondern auf Verteidigung erfolgt Gegenangriff um Gegenangriff.

Die Rolle von Hochschulen ist es nicht, militärische und politische Konflikte auszutragen, sondern Forschung und Lehre im Sinne einer stabileren, sozialeren und nachhaltigeren Welt zu betreiben – das bringt uns allen echte Sicherheit. Pazifismus ist kein ideologischer Irrglaube.