Studierende gehen eine Treppe herunter
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Deal-Verhandlungen
Wie die wissenschaftliche Community dem Streit mit Verlagen trotzt

An vielen Universitäten haben Wissenschaftler derzeit keinen Zugriff auf Elsevier-Zeitschriften. Jetzt helfen sie sich untereinander.

Von Katrin Schmermund 24.01.2019

"Ab heute ohne Elsevier-Vertrag" – mit dieser Meldung sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vieler Universitäten in das Forschungsjahr 2019 gestartet. Vielerorts sind die Verträge mit dem Wissenschaftsverlag Elsevier ausgelaufen. Bibliotheken haben diese oftmals nicht verlängert, um ein Zeichen gegen die hohen Lizenzgebühren des Verlags zu setzen.

Insgesamt sind mittlerweile mehr als 200 Universitäten und Forschungseinrichtungen in Deutschland von den elektronischen Angeboten von Elsevier abgeschnitten. Dazu gehören zum Beispiel die Universitäten aus Berlin, Bonn oder München sowie außeruniversitäre Forschungseinrichtungen wie die Max-Planck-Gesellschaft und die Fraunhofer-Gesellschaft. Das zeigt eine Übersicht auf der Seite des Deal-Projekts.

Was ist das Projekt "Deal"?

Das Deal-Projekt hat die Allianz der Wissenschaftsorganisationen ins Leben gerufen. Vertreten wird diese in den Verhandlungen mit den Verlagen von der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), unter Federführung des ehemaligen HRK-Präsidenten Professor Horst Hippler.

Deal hat sich das Ziel gesetzt, bundesweite Lizenzverträge für das gesamte Portfolio elektronischer Zeitschriften der großen Wissenschaftsverlage Elsevier, Springer Nature und Wiley auszuhandeln. Ursprünglich wollten sie das bis 2017 schaffen. Erst kürzlich wurde ein erster Lizenzvertrag mit Wiley beschlossen. Mit Springer Nature will man bis Mitte 2019 zu einer Einigung kommen. Der Zugriff ist hier jedoch nicht gesperrt. Bis Mitte des Jahres laufen die Lizenzen zu den bisherigen Konditionen.

Wissenschaftler schreiben Autoren direkt an

Die Herausgeber wissenschaftlicher Zeitschriften haben in ihrer "Bitte" an die Verhandlungsführer unter dem Titel "No Deal is No Option" betont, wie wichtig ein schneller Abschluss der Verhandlungen für den einzelnen Forscher sowie den Wissenschaftsstandort Deutschland sei. Gerade jüngere Forscher hätten Nachteile durch die unglücklichen Forschungsbedingungen, um in der wissenschaftlichen Karriere voranzukommen. Bis auf einzelne weitere Stellungnahmen bleibt es ansonsten überraschend ruhig.

Die Forschenden zeigten sich in der Tat "sehr verständnisvoll", sagt Frank Scholze, stellvertretender Sprecher der Deal-Projektgruppe und Bibliotheksdirektor am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Der "große Aufschrei" bleibe aus. Woran liegt das?

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben sich alternative Wege gesucht, um in ihrer Arbeit voranzukommen. Von Forschung & Lehre angefragte Forscherinnen und Forscher sagen, dass sie Autorinnen und Autoren von Publikationen meist direkt anschrieben. Die meisten kenne man aus dem eigenen Fachbereich ohnehin. Mit vielen habe man gemeinsam publiziert oder sich auf Tagungen getroffen. Ihre Namen wollen die Befragten in diesem Artikel nicht lesen. Schließlich bewege man sich in einer rechtlichen Grauzone. Denn Autoren dürften laut Vertrag meist nur eine begrenzte Anzahl von Exemplaren ihrer Artikel verschicken.

Diese um die Zusendung eines Artikels zu bitten, sei eine Win-Win-Situation. Man selbst erhalte den gewünschten Artikel und der Autor profitiere davon zitiert zu werden. Denn wo es keine Zugriffe gibt, könnten Autoren auch nicht mit Zitierungen rechnen; diese seien jedoch enorm wichtig für die wissenschaftliche Karriere.

Eine weitere Möglichkeit, trotz fehlender Lizenz an einen Artikel zu gelangen, ist der Dokumentlieferdienst. Bibliotheken fragen andere Einrichtungen in Deutschland und im Ausland an, die noch Verträge mit Elsevier haben. Die Publikation kommt ausgedruckt zum Forscher. Gezahlt wird pro Zusendung – von der Bibliothek. Wissenschaftler zahlten dafür bei Elsevier-Artikeln derzeit nichts, sagt Scholze. Bis das Paper da ist, können jedoch einige Tage vergehen.

Der Weg über die Autoren scheint den Forschenden bequemer zu sein. Das leitet Deal-Projektgruppenmitglied Scholze aus den Anfragen für den Dokumentenlieferdienst und dem Vergleich mit Zugriffszahlen auf die Portale der Zeitschriften am KIT ab. Die aktuellen Bestellanfragen seien deutlich niedriger als die sonstigen digitalen Zugriffszahlen.

Verhandlungen mit Elsevier-Verlag "schwierig"

Mit einem eingeschränkten Zugriff auf elektronische Zeitschriften werden Wissenschaftler noch einige Zeit leben müssen. Die Verhandlungen mit Elsevier wurden Mitte letzten Jahres ausgesetzt. "Das letzte Angebot, das Elsevier vorgelegt hat, enthielt keine konkreten Informationen über den Leistungsumfang", sagt Scholze.  Er hofft auf neuen Schwung durch den kürzlich abgeschlossenen Vertrag mit Wiley.

Elsevier versucht derweil, der eigenen Position unter Wissenschaftlern Gehör zu verschaffen. Einzelne berichten von Veranstaltungen, zu denen der Verlag persönlich einlade. Bei vielen findet das allerdings keinen Anklang. Sie ärgern sich schon länger über den Verlag und hoffen, dass die Deal-Verhandler zu einem guten Ergebnis kommen.

Die Marktmacht der großen Wissenschaftsverlage

Wie hoch sind die Marktanteile?
Die großen Wissenschaftsverlage Elsevier, Springer Nature und Wiley geben laut Deal-Konsortium derzeit rund zwei Drittel der Publikationen heraus, die Hälfte entfalle auf Elsevier. Den Rest teilten sich Wiley und Springer Nature.

Eine Studie zeigte 2015, dass die fünf Wissenschaftskonzerne Elesevier, Springer Nature, Wiley, Taylor & Francis and Sage 2013 mehr als die Hälfte der Zeitschriften veröffentlichten. 1973 seien es noch 20 Prozent gewesen, 1996 30 Prozent. Dabei hätten sie Gewinnspannen von fast 40 Prozent, da nun mal nicht sie, sondern die Wissenschaftler die Studien erstellten.

Quellen: Handelsblatt ("Kooperation ermöglicht freien Zugang zu wissenschaftlichen Texten", 15.1.19); Larivière V, Haustein S, Mongeon P (2015) The Oligopoly of Academic Publishers in the Digital Era. PLoS ONE 10(6): e0127502. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0127502;
In welchen Fächern zeigt sich die Dominanz der Verlage am deutlichsten?
Besonders hoch ist die Marktkonzentration laut Analysen von 2015 in den Fächern Chemie, Psychologie und den Sozialwissenschaften.

Quellen: Larivière V, Haustein S, Mongeon P (2015) The Oligopoly of Academic Publishers in the Digital Era. PLoS ONE 10(6): e0127502. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0127502

Unter den kontaktierten Forschern sind einige, die keine Gutachten mehr für Elsevier schreiben oder nur noch bei anderen Verlagen publizieren. Eine Wissenschaftlerin macht eine Ausnahme, wenn sie die Redakteure einer Elsevier-Zeitschrift kennt.

Die Forscher kritisieren die hohen Gewinnmargen des Verlags und die Kommunikation mit Wissenschaftlern. Der Peer-Review-Prozess dauere lange, das Outsourcing von Aufgaben im Peer-Review-Prozess an indische Sub-Firmen führe zu sprachlichen Problemen und Fehlern in Veröffentlichungen. Autorennamen würden falsch geschrieben, Layouts "zerschossen" und anderssprachige Fragmente im Text eingebaut.

Solche Ärgernisse gebe es jedoch auch bei anderen Verlagen, sagt ein anderer befragter Wissenschaftler. Man dürfe Elsevier nicht als einzigen Großverlag "verteufeln". Insgesamt sei aber auch er kritischer gegenüber der wissenschaftlichen Verlagsbranche geworden.