Illustration einer Frau, die mit einem Stift in einem überdimensionalen Kalender Aufgaben abhakt
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Work-Life-Balance
Das Homeoffice erfordert neue Stundenpläne

Beruf und Privates sind auch im Homeoffice vereinbar, mit einer anderen Organisation. Eine Expertin verrät, was sie 2020 selbst noch dazu gelernt hat.

Von Susanne Steffes 30.12.2020

Seit Jahren forsche ich zum Thema Homeoffice und mindestens genauso lange arbeite ich teilweise auch selbst von zu Hause aus. 2020 habe ich dennoch einiges dazu gelernt.

Das wahrscheinlich wichtigste Learning ist die Erkenntnis, dass man gar nicht erst versuchen sollte, alles gleichzeitig unter einen Hut zu bringen. Ich habe drei Kinder, eines im Kindergarten, eines in der Grundschule und eines auf dem Gymnasium. Das hieß für mich im ersten Lockdown im Frühjahr erst einmal, dass ich viele Rollen gleichzeitig zu besetzen hatte: Kindergärtnerin, Lehrerin, Köchin Haushälterin, IT-lerin. Und das war nur mein Privatleben. Im Beruf habe ich meine eigentlich als Präsenzvorlesung gedachte Veranstaltung plötzlich online aus dem Wohnzimmer heraus geben müssen, einige Texte zum Thema Homeoffice geschrieben und Befragungen dazu konzipiert sowie eine Menge Interviews gegeben.

Man kann sich vorstellen, wie chaotisch das manchmal war. Am Anfang dachte ich, das muss irgendwie alles gleichzeitig geschehen. Aber das funktionierte einfach nicht und ich hatte immer allen gegenüber ein schlechtes Gewissen. Also fing ich an, alle Aufgaben in kleine Häppchen einzuteilen und mich mental immer nur auf eine Tätigkeit einzustellen. Nicht fünf Stunden am Stück Homeschooling – inklusive Technik einrichten und Fragen beantworten. Das musste einfach auf zwei einzelne Stunden am Tag beschränkt werden.

Zum Glück hatten auch die Kinder irgendwann ihren Rhythmus raus und haben ihre Sachen sehr selbständig gemacht. Schon bald hatten wir einen Stundenplan am Kühlschrank hängen und daneben eine Liste der täglichen Arbeiten, die von ALLEN durchgeführt werden mussten. Und wenn dann eine Journalistin zwischendurch anrief und um ein Interview bat, wurde sie auf eine Lücke im Tagesplan geschoben. Am liebsten in die Medienzeit der Kinder oder wenn der Papa die Betreuung übernahm. Und die halbe Stunde Kaffeepause mit der Nachbarin im Garten, die fiel nur selten aus, denn ein wenig Pause muss zwischendurch doch auch mal sein.

Herausforderung 1: Stundenpläne vereinbaren

Klingt eigentlich nach einem ganz normalen Zeitmanagement? Ja richtig, so macht man das eigentlich. Im Job genauso wie im privaten Alltag. Aber beide Stundenpläne miteinander zu vereinbaren und mit den alltäglichen Störungen, die den Rhythmus durcheinanderbringen, umzugehen, das ist eine große Herausforderung. Das sind die meisten Menschen in der Regel in diesem Ausmaß nicht gewohnt.
Im April sind wir mit einer Zusatzbefragung unseres schon seit Jahren im zwei-Jahres-Rhythmus stattfindenden Betriebs- und Beschäftigtenpanel, dem Linked Personnel Panel, ins Feld gegangen. Wir haben ArbeitnehmerInnen nach ihren aktuellen Arbeitsweisen und Homeoffice-Erfahrungen gefragt. Nicht überraschend: es hatten viel mehr Befragte im Homeoffice gearbeitet als im Jahr davor. Dennoch gab es auch viele, deren Tätigkeiten immer noch nicht fürs Homeoffice geeignet waren. Personen, die Kinder betreuen mussten, hatten größere Schwierigkeiten, zu Hause effektiv und konzentriert zu arbeiten und haben häufiger zu Randzeiten gearbeitet. Trotzdem war die Arbeitszufriedenheit im Durchschnitt nicht signifikant geringer als im Jahr zuvor.

Vor allem waren die meisten Beschäftigten sehr zufrieden mit der Unterstützung durch den Arbeitgeber. Und damit kommen wir zu meinem zweitwichtigsten Learning in diesem Jahr: Wie funktioniert Führung und Kommunikation ins und aus dem Homeoffice heraus?

Wenn man nämlich nicht aufpasst, dann passiert schnell das, was wir schon von unseren Eltern und Großeltern immer zu hören bekommen haben: "Aus den Augen, aus dem Sinn!" Bei allem Jonglieren des eigenen Alltags, hatte ich am Anfang überhaupt keinen Sinn für die MitarbeiterInnen in meinen Projekten und die KollegInnen in meinem Team. Da war ich froh, dass mein Bereichsleiter auch erst einmal nicht allzuviel Kommunikation einforderte. Aber mit der Zeit stellte sich heraus: so konnten wir nicht gut arbeiten. Es fehlten die Absprachen und die klare Aufgabenverteilung in den Projekten. Es fehlte die gegenseitige Motivation, das Teilen von Erfolgen und Misserfolgen. Und es fehlte einfach auch das private Gespräch unter Kollegen.

Die Leitung des ZEW hat das schnell erkannt und wir haben institutsweite Meetings virtuell und sehr regelmäßig durchgeführt. Die einzelnen Forschungsteams haben sich auch häufiger als vorher virtuell "getroffen". Diese Plattform des regelmäßigen Austauschs hat mir gut getan, auch wenn ich manchmal das Gefühl hatte, die anderen, die keine Kinder haben, sind gerade so viel produktiver und vor allem auch entspannter als ich.

Herausforderung 2: Kontakt halten

Die wesentliche Erkenntnis für mich liegt also darin, dass das informelle Gespräch wichtig für die Motivation und damit auch für die Produktivität zu sein scheint. Aus meiner Sicht, ist das ein wichtiges Forschungsthema für die Zukunft. Ich habe mit vielen Vertreterinnen und Vertretern von Unternehmen darüber gesprochen, wie sie Homeoffice gestalten und was in diesem Jahr die besonderen Herausforderungen sind. Viele haben gesagt, dass sie es wichtig finden, den Kontakt zu halten und den informellen Austausch zu gewährleisten.

Die Ideen, wie man das umsetzen kann, sind vielfältig. Eine Führungskraft hat mir von regelmäßigen Weinabenden per Skype erzählt, andere "treffen" sich virtuell zum Kaffeetrinken am Nachmittag. Wieder andere haben jeden Morgen zu Arbeitsbeginn einen kurzen Austausch. Ich habe in diesem Jahr den Eindruck gewonnen, dass der Kreativität insoweit keine Grenzen gesetzt sind. Und die Möglichkeiten, virtuelle Räume zu nutzen, sind ja so vielfältig, das war mir vorher auch nicht klar.

Aus Forschersicht hat dieses Jahr ein großes Experiment stattgefunden, in dem unvorhergesehen und plötzlich viele Menschen das Arbeiten von zu Hause neu erfahren haben. Damit verbunden sind neue digitale Arbeitsweisen und Arten der Kommunikation. Wir werden nach der Pandemie auch wieder unserem vorherigen Alltag näher kommen. Aber einiges wird uns erhalten bleiben. Ich denke, wir sollten diesen neu gewonnenen Erfahrungsschatz nutzen. Die guten Seiten des Homeoffice und des digitalen Arbeitens sollten wir weiter ausbauen und für die schlechten Seiten Lösungen finden.