Eine Frau in blauem Jacket, dunkelbrauner Kurzhaarfrisur und brauner Brille lehnt in einem Büro an einen Schreibtisch und lächelt in die Kamera.
Universität Paderborn / Adelheid Rutenburges

Gleichstellung
"Die Kompetenz weiblicher Führungskräfte wird kritisch beäugt"

Hochschulpräsidentin Birgitt Riegraf blickt auf die schwierige Arbeitssituation weiblicher Hochschulleitungen. Eine organisationsoziologische Sicht.

Von Birgitt Riegraf 11.01.2024

Wissenschaftlerinnen haben nicht die gleichen Chancen auf eine Karriere wie ihre männlichen Kollegen, sie erfahren auf unterschiedlichen Ebenen erheblichen Gegenwind und sind daher seltener in Professuren zu finden. Diese Situation ist gut erforscht und in der Wissenschaftspolitik bekannt. Gleichstellungsmaßnahmen, wie beispielsweise das vom Bund und den Ländern 2007 beschlossene Professorinnenprogramm, versuchen diese Missstände anzugehen. Wenig bekannt ist über die Arbeitssituation von weiblichen Hochschulleitungen und über die Gründe, warum ihr Anteil so langsam steigt, sowie über sinnvolle Gleichstellungsmaßnahmen für Leitungspositionen.

Aktuelle Daten des Centrums für Hochschulentwicklung zeigen, dass von 182 Hochschulen in Deutschland nur 52 von einer Rektorin oder Präsidentin geleitet werden. Lag der Anteil an weiblichen Hochschulleitungen im Jahr 1996 noch bei 5,1 Prozent, so hat er sich bis Dezember 2022 auf immerhin 28,6 Prozent erhöht (Rössler 2023). Zwar gibt es kaum verlässliche Studien zur spezifischen Situation von weiblichen Hochschulleitungen, aber medial ist das Thema überaus präsent: Immer wieder machen Fälle von sich reden, in denen Präsidentinnen oder Rektorinnen unter spektakulären Umständen vorzeitig ausscheiden, zum Rücktritt gedrängt oder nicht wiedergewählt werden. 

"Immer wieder machen Fälle von sich reden, in denen Präsidentinnen oder Rektorinnen unter spektakulären Umständen vorzeitig ausscheiden (…)."
Hochschulpräsidentin Birgitt Riegraf

Dass dies nicht selten unter großer öffentlicher Aufmerksamkeit und mit scharfen fachlichen und persönlichen Kritiken erfolgt, gehört – so ließe sich mutmaßen – zum Teil des Phänomens. Denn die Forschung zur Situation in Unternehmen zeigt, dass, solange weibliche Führungskräfte in der Minderheit sind, sie besonderer Sichtbarkeit und kritischer Beobachtung unterliegen. Da formale Qualifikationen auf diesen Führungsebenen kaum mehr in Frage gestellt werden können – denn wer es bis zu dieser Position geschafft hat, ist unbestreitbar formal qualifiziert –, rücken eher unbestimmte, an die Persönlichkeit geknüpfte Merkmale in den Vordergrund. So werden häufig persönliche und kommunikative Aspekte im Führungsstil als Grund für Rücktritte, Enthebungen oder Nichtwahlen angeführt.

Bislang wurde wenig bedacht, dass sich die Karrierepfade zur Professur und in die Leitung einer Hochschule unterscheiden und dass sich die Wege in die Hochschulleitung durch gleichstellungspolitische Maßnahmen deutlich schwerer erreichen lassen. Gleichwohl mögen Präsidentinnen und Rektorinnen aufgrund ihrer Minderheitenposition in einem nach männlichen Prinzipien errichteten Wissenschaftssystem Ähnliches erfahren wie Professorinnen. 

Erkenntnisse aus der Organisationssoziologie 

Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt es bislang zur Arbeitssituation von weiblichen Führungskräften und dazu, warum sie sich in den oberen Führungsebenen schwerer halten können als ihre Kollegen? Welche Maßnahmen könnten ergriffen werden, um Geschlechteregalität zu erreichen? Um diese Fragen anzugehen, lohnt sich ein Blick in die geschlechtertheoretische Organisationsforschung (vgl. Müller/ Riegraf/ Wilz 2013):

Männlichen Führungskräften werden demnach aus historischen Gründen allein aufgrund ihres Geschlechts von ihrem Umfeld Management- und Führungskompetenzen unterstellt. Weibliche Führungskräfte müssen ihre Präsenz in diesen Leitungspositionen hingegen in reiterativen Bewährungsproben kontinuierlich durch nicht einfach nur gute, sondern herausragende Leistungen rechtfertigen. Ihre Management- und Führungskompetenz wird kritisch beäugt, da sie sich in einem für ihr Geschlecht untypischen Arbeitsbereich befinden. 

Dies bedeutet auch, dass sie in ihrem Arbeitsalltag verbalen und non-verbalen Kritiken ausgesetzt sind, die sich in kleinen abfälligen Bemerkungen äußern, vermeintlich “ganz harmlosen" und "unschuldigen" Fragen, die ihre Kompetenz in Zweifel ziehen, sowie offen beleidigenden und aggressiven Bemerkungen und Handlungen. Während in der Organisation viele für sich in Anspruch nehmen, insofern "geschlechtsblind" zu sein, also dass sie die Geschlechter gänzlich gleich behandeln würden, erfahren die Geschlechter durchaus unterschiedliche Reaktionen:

  • Fehlentscheidungen werden etwa bei männlichen Führungskräften eher als selbstverständliches Risiko eines entscheidungsfreudigen Managers hingenommen, bei weiblichen Führungskräften wird dies eher als Beleg für ihre Inkompetenz diskutiert. 
  • Männliche Führungskräfte befinden sich also in einem deutlicher unterstützenden Arbeitsumfeld als ihre Kolleginnen. 
  • Die Forschung zeigt aber auch, dass, wenn der Frauenanteil steigt und weibliche Führungskräfte ihren Minderheitenstatus von ca. 15 Prozent verlassen, sich – entgegen weitläufiger Annahmen – ihre Arbeitssituation keinesfalls verbessert. Im Gegenteil: Der Gegenwind verstärkt sich zunächst. Negative Konfrontationen wie die Infragestellung von Führungskompetenzen und -leistungen, die Abwertung von Erfolgen, der Zweifel an Qualifikationen treten noch deutlicher hervor. 

Phasen der Abwehr, des Unbehagens und der Irritation 

Die Forschung zu weiblichen Führungskräften geht also davon aus, dass es keinen einfachen linearen Zusammenhang zwischen einem numerischen Anstieg und einer stabilen und gleichberechtigten Durchmischung zwischen den Geschlechtern gibt. Der Prozess ist vielmehr komplexer und vollzieht sich eher in Phasen der Abwehr denn des Aufbruchs: Da die Vorstellungen von erfolgreichem Management und erfolgreicher Führung noch immer eng mit Konzeptionen von Männlichkeit verbunden sind, führt ein steigender Anteil von weiblichen Führungskräften zu Unbehagen, Unsicherheiten und Irritationen in der Organisation. 

"Traditionen", tief in Organisationsroutinen, alltägliche Handlungspraktiken sowie symbolisch verankerte Vorstellungen von erfolgreichen Führungspositionen werden durch die Anwesenheit von den geschlechtlich “Anderen" verunsichert. Die Sorge der dominanten sozialen Gruppe ist dabei keineswegs unbegründet: Durch die Überwindung des Minderheitenstatus erhalten weibliche Führungskräfte als soziale Gruppe das Potenzial, traditionell eingespielte Organisationskulturen, -politiken und -praktiken in Frage zu stellen, etwa informelle Beförderungs- und Empfehlungspraktiken über männliche Seilschaften. 

Sind die "Neuen" in der Lage, in der Organisation einen Unterschied zu machen, regt sich der Widerstand der Etablierten. 

Organisationswandel gelingt durch Aufhalten des "Drehtüreffekts" 

Zunächst gilt es festzuhalten, dass für die Unterrepräsentanz weiblicher Führungskräfte im Wissenschaftssystem nicht mangelnde Kompetenz ausschlaggebend ist, sondern soziale und strukturelle Mechanismen zum Tragen kommen. Das Phänomen, dass weibliche Führungskräfte, die es schaffen, in eine Männerdomäne vorzudringen, oftmals rasch wieder "hinausgedreht" oder hinauskatapultiert werden, wird in der Forschung mit der Metapher der "Drehtür" beschrieben. 

Aufgrund des schwierigen Arbeitsumfelds, in dem sie negative Arbeitserfahrungen und verschiedene Kontrollsituationen vorfinden, kommt es bei Hochschulleiterinnen wesentlich häufiger als bei ihren männlichen Kollegen zu Rücktritten, Enthebungen oder einer Nichtwiederwahl. Wissenschaftsorganisationen wie Universitäten und Wissenschaftspolitik haben dafür zu sorgen, dass sich die Arbeitssituation für weibliche Leitungspersonen verbessert und der "Drehtüreffekt" aufgehalten wird. Dies nicht zuletzt deshalb, weil dies abschreckend auf nachfolgende Generationen und darunterliegende Hierarchiestufen wirkt. 

Mindestens drei Ansatzpunkte für Veränderungen lassen sich identifizieren. Nötig sind: 

  1. öffentliche, eindeutige und kompromisslose Bekenntnisse und Maßnahmen der Organisationen sowie der Politik, den Anteil von weiblichen Führungskräften im Wissenschaftssystem zu erhöhen, 
  2. eine gezielte, entschiedene, auch gegenüber subtilen Widerständen und Infragestellungen selbstbewusste geschlechterbezogene Organisationsentwicklung, 
  3. eine für weibliche Führungskräfte ermutigende, unterstützende und Selbstvertrauen stärkende Arbeitsatmosphäre.