Falling Walls Lab Gewinner 2019, Rhys Pirie
Falling Walls

Wissenschaftskonferenz
Pitch mir doch mal deine Forschung

Für Wissenschaftler wird es immer wichtiger, die eigene Arbeit kurzweilig erklären zu können. Beim Pitch bleiben nur wenige Minuten.

Drei Minuten. Die Uhr läuft. Rhys Pirie, dunkelblauer Anzug, weißes Hemd, schwarze Lederschuhe, betritt die Bühne. In der Hand eine Glasflasche. 2:55. In den kommenden Sekunden wird der Chemie-Doktorand seine Idee zur Wiederverwendung von Glas präsentieren. 0:30. Fragen des Publikums. 0:00. Applaus.

Drei Minuten: Nicht viel Zeit, um die Forschung, an der man monate- oder jahrelang gearbeitet hat, auf den Punkt zu bringen. Doch genau darauf kommt es an bei sogenannten Pitches wie denen während der Konferenz "Falling Walls 2019" in Berlin. 100 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus insgesamt 63 Ländern standen beim Finale des "Falling Walls Labs" im neu eröffneten Zukunftsmuseum "Futurium" auf der Bühne. Der Australier Pirie überzeugte die 15-köpfige Jury aus Wissenschaft und Wirtschaft am meisten.

Der Doktorand der University of Queensland will kaputtes Glas in Silika umwandeln, einen feuerfesten keramischen Baustoff. "Rhys Pirie hat einen Weg gefunden, chemikalische Verbindungen auf sinnvolle Weise einzusetzen und damit ein zentrales Problem unserer Zeit anzugehen: die weltweite Umweltverschmutzung und Ressourcenknappheit", begründet Professor Carl-Henrik Heldin die Entscheidung. Der schwedische Molekularbiologe ist Vorsitzender des Boards der "Nobel Foundation" und ehemaliger Vize-Präsident des Europäischen Forschungsrats (ERC).

Die Originalität der Idee von Pirie hat die Jury nach eigenen Angaben zu 50 Prozent bewertet. Die gesellschaftliche Relevanz der Erfindung soll 30 Prozent der Entscheidung ausgemacht haben. Zu 20 Prozent habe die Performance gezählt. "Die Vorträge beim Lab müssen klar und einfach zu verstehen sein", sagt Heldin. "Dabei alle wichtigen Aspekte in zweieinhalb Minuten zu packen, ist eine Herausforderung für sich."

Die Vorsitzende der Jury, Dr. Claudie Haigneré, findet, dass die Forscherinnen und Forscher das insgesamt sehr gut machten. "Die meisten Pitches bei den Falling Walls sind sehr professionell vorgetragen." Damit ihm das gelingt, habe er viel geübt, sagt Pirie. "In den drei Minuten steckt wirklich viel Arbeit. Es ist viel einfacher, eine ganze Stunde zu sprechen als sich kurz zu fassen.

Sprungbrett für den Nachwuchs

Als Australier kommt Gewinner Pirie aus einem Land mit einem vergleichsweise guten Bildungssystem. Teilnehmende aus Ländern wie Nigeria oder Serbien haben es auf dem Weg zum Lab schwerer. Auf den letzten Metern wollen die Organisatorinnen und Organisatoren die Chancenungleichheit zumindest etwas abfangen. Vor ihrem Auftritt erhalten die "Labsters", wie sie von den Organisatoren genannt werden, verschiedene Coachings, die ihnen auch über die Veranstaltung hinaus für ihre Karriere helfen sollen. Dabei wurden in diesem Jahr unter anderem Tipps zu Körpersprache und zum Umgang mit Lampenfieber vermittelt.

"Wir organisieren für die Finalisten ein viertägiges Programm. Währenddessen erhalten sie eine intensive Betreuung, bei der sie möglichst viele Kontakte mit anderen Innovatoren und Projektträgern knüpfen können", erklärt Projektleiterin Lisa Kohler. In diesem Jahr habe beispielsweise ein Workshop zum wissenschaftlichen Publizieren mit Springer Nature stattgefunden. "Auch Exkursionen in die deutsche Forschungslandschaft gehören immer wieder zum Programm, etwa zur FU Berlin, zum Technologiepark Adlershof oder Wissenschaftspark Potsdam-Golm." Diese würden von "Research in Germany" finanziert und mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) organisiert.

Die Möglichkeit, sich zu vernetzen, hält auch Jury-Mitglied Heldin für zentral. "Ich habe vor einigen Tagen mit dem Gewinner des Labs von 2018 gesprochen. Er habe enorm von seinem Sieg profitiert, sagte er mir." Gewonnen hatte im vergangenen Jahr Ahmed Ghazi von der University of Rochester in den USA. "Nach seiner Rückkehr sei er von den Dekaninnen und Dekanen begrüßt worden und habe ab dem Zeitpunkt leichter Fördergelder erhalten", so Heldin. "Das Lab kann ein Sprungbrett für die Karriere der jungen Forscherinnen und Forscher sein."

"Aus dem Lab ergeben sich ganz verschiedene Karrierewege", sagt Organisatorin Kohler. Eine prominente deutsche Gewinnerin des Labs ist Dr. Mai Thi Nguyen-Kim, die 2012 zum "Young Innovator of the Year" gekürt wurde. "Im Anschluss an ihren herausragenden Vortrag wurde sie von einem Mitarbeiter des WDR zu einem Backstage-Tag bei "Quarks" eingeladen. Durch diese Begegnung konnte sie später erste Schritte beim Fernsehen machen", sagt Kohler. Heute ist Nguyen-Kim eine bekannte Wissenschaftskommunikatorin auf Youtube und erfolgreiche Buchautorin. 2018 übernahm die Chemikerin von Ranga Yogeshwar die Moderation der Wissenschaftssendung "Quarks".

Forschung lebendig machen

Das erste Lab fand 2011 in Berlin statt. "Das Interesse war enorm, daher haben wir das Format in den Folgejahren schrittweise auf den deutschsprachigen Raum, auf Europa und schließlich global ausgeweitet", sagt Kohler. Seither treten im Finale in Berlin diejenigen auf, die sich in den nationalen Vorentscheiden durchsetzen konnten. In Deutschland gab es in diesem Jahr Auswahlveranstaltungen an akademischen Institutionen in Berlin, Karlsruhe, Köln und Nürnberg. Weltweit fanden 90 Vorrunden statt. Ziel sei es, auf 100 Vorrunden zu kommen, sodass aus jeder Vorrunde ein Gewinner ins Finale einziehe, sagt Kohler.

"Ein guter Pitch beginnt mit einem 'Catcher', der das Publikum abholt", sagt sie. Wichtig sei danach, schnell auf den Punkt zu kommen. "Der Fokus eines Gewinner-Pitches liegt klar auf der Lösung, nicht auf dem Problem." Für die Jury-Vorsitzende Haigneré, "Senior Advicer" bei der ESA und ehemalige Astronautin, braucht ein guter Pitch zudem eine besondere Stimmung. Nicht nur das Thema müsse inspirieren, auch die Präsentation brauche einen gewissen Geist und etwas Leuchtendes – "it needs sparks", wie sie sagt.

An den Falling Walls Labs können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller Fächer teilnehmen. Faktenbasierte Fächer und messbare Kriterien für den Grad der Innovation seien bei dem Format im Vorteil, sagt Organisatorin Kohler. "Für Sozial- und Geisteswissenschafter besteht eine gewisse Hürde, da sich Innovationen in diesem Gebiet nur schwer messen lassen." Auch Haigneré sieht eine Überpräsenz der Natur-, Umwelt- und Wirtschaftswissenschaften. "Drei Minuten eignen sich einfach schlecht, um lange Argumente und Gedankenexperimente zu entwickeln. Zahlen und Fakten sind viel leichter zu transportieren."

Für Lab-Moderatorin Anaïs Bock könnten Konferenzen wie Falling Walls noch viel innovativer sein. Auf ihrer Website "Lets Work Magic" plädiert die Kommunikationsberaterin für eine Abkehr vom Status Quo bei Veranstaltungen. "Wir sollten mehr Leben in Forschungsvorträge bringen", sagt sie. "Dass schaffen wir, indem wir Vortragende ermutigen, ihre Inhalte interaktiv zu vermitteln und die Zuschauer zum Mitmachen zu bewegen." Vortragende sollten sich auch stärker selbst einbringen und ihre Forschung mit persönlichen Erfahrungen von sich und ihrem Publikum verbinden. Als Orientierung könnten Länder dienen, in denen es typisch sei, einen "Toast" auszusprechen. Sei man gewohnt, am Tisch plötzlich aufzustehen und in knappen Worten unterhaltsam auf ein Essen oder ein Ereignis überzuleiten, falle einem das freie Sprechen leichter.

Wichtig sei, das Publikum nicht vom Inhalt des Vortrags abzulenken. "Hat jemand zum Beispiel ein ungewöhnliches Kleidungsstück, läuft übermäßig viel von A nach B oder fährt sich zum Beispiel ständig durchs Haar, lenkt das ab", sagt Bock. Die Pitches hat sie mit Lockerungsübungen unterbrochen: einmal aufstehen, klatschen, im Takt "Hoho-hahaha" rufen. Auch Trinkpausen könnten auf lockere Art und Weise eingebunden werden. "Kein Mensch kann 100 Vorträgen im Sitzen zuhören, ohne die Konzentration zu verlieren", sagt Bock. 

Fokus auf anwendungsbezogener Forschung

Die Idee der Pitches kommt aus der Wirtschaft. Ursprünglich nutzen sie vor allem Agenturen, um sich gegenüber Mitbewerbenden durchzusetzen. Auch Start-ups haben immer häufiger auf das Format zurückgegriffen, um Investorinnen und Investoren von einer Geschäftsidee zu überzeugen. Mittlerweile nutzen den Pitch immer mehr Betriebe – und auch die Wissenschaft hat das Format für sich entdeckt, wie Falling Walls zeigt.  

Gemeinsam ist den Vorträgen, dass sie anwendungsbezogene Forschung präsentieren. Ein Drittel der Vortragenden sind laut Kohler Doktorandinnen und Doktoranden oder Post-Docs, einige andere seien bereits in der Wirtschaft tätig. "Die präsentierten Ideen sind in der Regel noch nicht in der industriellen Anwendung, aber viele stehen kurz vor der Marktreife", sagt Kohler. Einige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler führen auch zweigleisig und arbeiteten neben der Promotion bereits am Aufbau eines Start-Ups oder Unternehmenskonzepts. Auch Pirie sieht sich zukünftig in der Industrie. "Wenn mir diese Konferenz die Türen dahin öffnet, umso besser."

Formate wie die Labs seien wichtiger geworden, weil Forschung heute viel aktiver als früher in die Welt getragen werden müsse, um sichtbar zu sein und Vertrauen zu erhalten, sagt Haigneré. Zu ihrer Zeit als Ärztin und Neurowissenschaftlerin habe es noch keine Pitches gegeben. Die Anforderungen seien andere gewesen. "Heute müssen Forschende nicht nur mit Kolleginnen und Kollegen, sondern auch mit der Öffentlichkeit kommunizieren", sagt sie. Es sei daher immer wichtiger geworden, die eigene Arbeit für alle verständlich rüberzubringen.

"Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben mir erzählt, dass sie ihren Vortrag im Anschluss bei weiteren Veranstaltungen verwenden konnten", sagt Organisatorin Kohler. Mit dem Drei-Minuten-Format stellten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Forschung zwangsläufig verständlicher, unkomplizierter und eingängiger dar. Damit erreiche man einfach mehr Leute. Auch privat nutzten die Labster den Pitch häufig, um ihren Freunden und Verwandten ihre Forschung zu erklären. "Einfach weil sie gemerkt haben: das funktioniert."