Das Foto zeigt eine Reihe farbiger Glühbirnen, die nebeneinander hängen.
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Start-ups
Über die Bedingungen von Start-ups

In Deutschland gibt es eine vielfältige Start-up-Gründerszene. Ein Gespräch mit Reinhard Schulte über die Erfolgsfaktoren.

Von Vera Müller 05.11.2018

Forschung & Lehre: Was unterscheidet ein Start-up von einer traditionellen Unternehmensgründung?

Reinhard Schulte: In Deutschland hat sich seit ein paar Jahren eingebürgert, dass mit Start-ups etwas anderes gemeint ist als normale Unternehmensgründungen. Wenn ich mit Kollegen von amerikanischen Universitäten spreche, dann gibt es dort zwar auch eine Trennung zwischen normalen und wachstumsorientierten Gründungen, aber sie wird nicht durch den Begriff Start-up verdeutlicht. Dort sind alle Gründungen Start-ups. In Deutschland werden mit Start-ups häufig neue Geschäftsmodelle verfolgt, die etwas Innovatives oder zumindest Wissensintensives in sich tragen.

Häufig geht es um digitale Technologien. Start-ups müssen einen klaren Wachstumsfokus aufzeigen, einschließlich eines geplanten Exits der Beteiligungskapitalgeber. Sie haben häufig besonders hohen Kapitalbedarf und damit ein höheres Risiko als eine normale Gründung. Wegen der Größe und der besonderen Anforderungen an die Kompetenzen der Beteiligten bestehen Start-ups eher aus Teams und sind seltener Einzelgründungen. Es zeigt sich, dass Teams – im statistischen Mittel – erfolgreicher sind als Einzelpersonen. Alle Gründungen bis zu zehn Jahre gelten noch als Start-up. Es gibt sicher Geschäftsmodelle, die diese Zeit für den Aufbau und die Frühentwicklung des Unternehmens benötigen, manchmal sogar noch länger – gerade dann, wenn zu Beginn Forschungs- und Entwicklungsprozesse notwendig sind. Andere können sich nach fünf oder sechs Jahren etablieren und haben auch schon relativ feste Strukturen.

F&L: Flache Hierarchien, frühe Eigenverantwortung, mehr Diversität: Stimmen diese Zuschreibungen von „Start-up-Unternehmen“?

Reinhard Schulte: Diese besondere Spezies der Start-ups findet – wie bereits oben erwähnt – eher in Teams statt. Hier gilt wie auch für andere Gründungen neben flachen Hierarchien eine gewisse Form von Diversität, allerdings nicht unbedingt nur über ethnische Zugehörigkeit oder Geschlecht, sondern über den fachlichen Hintergrund und die Erfahrung. Wir haben bei diesen Teams häufig beobachtet, dass ein Erfolgsmerkmal die fachliche Ergänzung ist: eine hervorragende Kombination aus einem Ingenieur, einem IT-Fachmann, einem Vertriebsmann und einem Bilanzbuchhalter. In dieser Kombination decken sie alles ab, was gebraucht wird. Das Anforderungsspektrum für eine erfolgreiche Gründung ist teilweise so groß, dass es eine einzelne Person gar nicht erfüllen kann.

Die Geschlechterdiversität ist nicht besonders ausgeprägt. Da die meisten Start-ups im Bereich Digitalisierung stattfinden und mit Informationstechnologie zu tun haben, ist die Szene  männerdominiert. Während es bei den „normalen“ Gründungen einen Frauenanteil von 35 bis 40 Prozent gibt, sind es im Bereich IT lediglich 15 Prozent.

Frauen und Männer unterscheiden sich in ihrem Gründungserfolg jedoch nicht. Frauen bevorzugen zwar andere Gründungen und Geschäftsmodelle als Männer, aber wenn Frauen zum Beispiel im Bereich der Informationstechnologie ein Start-up gründen, sind sie genauso erfolg­reich wie Männer. Ähnliches gilt innerhalb der personenorientierten Dienstleistungen, wo viele Frauen tätig sind.

Das Foto zeigt Professor Dr. Reinhard Schulte, Gründungsmanagement an der Universität Lüneburg
Professor Reinhard Schulte lehrt Gründungsmanagement an der Universität Lüneburg

F&L: Die Gründung eines Start-ups erfordert sehr viel Einsatz und Verständnis von dem privaten Umfeld...

Reinhard Schulte: Grundsätzlich zeichnen sich Gründungsteams durch eine extrem hohe Arbeitsbelastung gerade in der Anfangsphase bei häufig geringer oder gar keiner Bezahlung aus. Eine gewisse Selbstausbeutung ist gang und gäbe. Wenn man den Schritt in die Selbstständigkeit macht, kann damit eine 70-Stunden-Woche, die Gefährdung der Partnerbeziehung und eine Entfremdung von der Familie verbunden sein. Die Gründungsaktivität ist in der mittleren Altersgruppe – zwischen 25 und 45 Jahren – besonders ausgeprägt. Es lässt sich aber nicht sagen, ob ein bestimmtes Alter besonders erfolgreich oder erfolgreicher ist als andere Altersgruppen.

F&L: Unternehmen beklagen zu viel Bürokratie in Deutschland. Gilt das auch für die Start-up-Szene? Wie reagiert die Politik darauf?  

Reinhard Schulte: Die Bundesländer haben unterschiedliche Zugänge und unterschiedliche Programme, wie sie die Szene fördern. Gerade die Länder beobachten sich gegenseitig. Jedes Land weiß, dass das Thema wichtig ist und man möchte nicht zurückfallen. Insofern ist ein guter Ausgleich gegeben. Natürlich gibt es Bürokratie. Und ich denke, das betrifft auch junge Unternehmen im Bereich Genehmigungen, Zulassungsbeschränkungen und geschäftsmodellbezogene Voraussetzungen, damit man gründen kann. Hier gibt es sicher lange Prozesse, ausgelöst durch Bürokratie. Bei den Themen Gesellschaftseintragung, Zugang zu Fördermitteln, Aufwand bei der Beantragung von Fördermitteln sehe ich indes schon viele Verbesserungen. Da existieren viele Unterstützungsangebote, wie man an solche Hilfen schnell herankommt.

F&L: Wie weit entwickelt ist die Start-up-Gründerszene in Deutschland?

Reinhard Schulte: Man braucht als Land erst einmal gute Ideen, eine gute Ausbildung, eine gute Bewusstseinsbildung. Das hat sich an den Hochschulen m.E. in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren sehr verbessert. Wir haben in Deutschland eine sehr gute und dichte Förderlandschaft, die auch privates Kapital einschließt. Was manchmal noch fehlt, ist die Vernetzung von Idee und Geldgebern. Aber auch hier bewegt sich einiges. Ein „Silicon Valley“, im Sinne eines großen Clusters oder eines Nestes, was international dafür bekannt ist, nicht nur Ideen, sondern Kapitalgeber anzuziehen, haben wir noch nicht. Es existieren aber viele Ansätze, etwas Entsprechendes aufzubauen, Begriffe wie Rhein Valley und Bayern Valley zeigen das. Ich bin mir nicht sicher, ob für eine regionale Konzentration die Voraussetzungen in Deutschland oder Europa vorhanden sind. Aber das muss vielleicht auch gar nicht sein. Wir sehen ja ohnehin, dass im Bereich der wachstumsorientierten Gründungen ganz schnell eine internationale Orientierung vorhanden ist. Wichtig ist eigentlich nur, dass sich in Deutschland ein paar von den ganz groß wachsenden und sich stark entwickelnden Gründungen ansiedeln können.

F&L: Was macht eine Stadt beziehungsweise Region zur Gründerstadt bzw. -region?

Reinhard Schulte: Hier wird gerne von „Gründerökosystemen“ gesprochen. Da gibt es sicherlich regionale Unterschiede. Grundsätzlich braucht es gewisse Infrastrukturbedingungen am besten innerhalb eines Clusters, das sich thematisch gegenseitig die Bälle zuspielen kann. Existieren bereits Schwerpunkte,  wie zum Beispiel Medien, Logistik oder Luftfahrt  im Großraum Hamburg beziehungsweise im Norden, dann ist das eine gute Voraussetzung für die Ansiedlung neuer Unternehmen. Bezahlbare Gewerbeflächen, anlagebereites Kapital und ganz wichtig: Ideennester, zum Beispiel eine Universität oder Hochschullandschaft. Ein Ideennest kann aber auch ein bestehendes Unternehmen sein oder ein Inkubator, in dem verschiedene Gründungen zusammenkommen. Wenn die dann auch noch um ein einigermaßen homogenes Thema kreisen, können sie sich auch sehr stark gegenseitig befruchten.

F&L: Um die „unternehmerische Persönlichkeit“ ranken sich vielfältige Legenden. Wie steht es um das Bild des typischen „Start-up-Gründers“?

Reinhard Schulte: So unterschiedlich die Geschäftsmodelle sind, so unterschiedlich sind auch die Gründerpersonen. Es ist bisher nicht gelungen, so etwas wie ein „Gründergen“ festzumachen. Es gibt sicher begünstigende Eigenschaften, aber das lässt sich schwer verallgemeinern. Wenn jemand erfolgreich gründen oder Unternehmer werden will, dann gibt es drei Kompetenzbereiche, die er oder sie abdecken sollte:

Das eine ist das technische Know-how im Zusammenhang mit der Leistung, dem Produkt. Als Tischler zum Beispiel muss ich wissen, wie man Holz bearbeitet, mit welchen Maschinen und Werkzeugen ich arbeiten muss. Das lässt sich auch auf IT übertragen. Man muss technisch-handwerklich etwas mitbringen. Der zweite Bereich ist das Wirtschaftliche: Es braucht einen Businessplan und eine Buchführung, man muss verstehen, wie kaufmännische und vertriebliche Prozesse ablaufen. Diese beiden Voraussetzungen sind unbedingt erforderlich, um ein Unternehmen zu führen. Beides kann man, mehr oder weniger gut, lernen. Dann gibt es aber noch einen dritten Bereich, den könnte man mit unternehmerischem Talent umschreiben. Man kann es fördern und entwickeln, aber wenn das Talent gar nicht vorhanden ist, dann ist es nicht erlernbar. Das hat zu tun mit gewissen Persönlichkeitseigenschaften wie zum Beispiel der Selbstwirksamkeit: Ich muss davon überzeugt sein, dass ich mein Schicksal, meinen Werdegang durch eigene Entscheidungen in der Hand habe. Ob ich mich in meinem Leben wohlfühle und erfolgreich bin, gestalte ich selbst. Diese Eigenschaft beispielsweise sollte eine Unternehmerperson haben.

F&L: Wie bringt man nachfolgenden Generationen das Gründen bei?

Reinhard Schulte: Die Hochschulen können zum Beispiel vermitteln, wie man Geschäftsmodelle analysiert oder wie man ein Unternehmen bewertet, einen Businessplan schreibt und bewertet. Viele von unseren Absolventen arbeiten dann später in Kammern, Ministerien oder Beratungsunternehmen und können das erlernte Wissen anbringen. Andere denken aber auch in Richtung Selbstständigkeit und brauchen ebenfalls dieses Wissen. Die Hochschulen tragen also dazu bei, ein unternehmerisches Talent zu entwickeln. Neigung und Talent müssen allerdings vorhanden sein, wir können helfen, es zu entwickeln.

F&L: Verraten Sie uns zum Schluss, welches Start-up Sie am meisten fasziniert hat?

Reinhard Schulte: Airbnb. So umstritten das Unternehmen auch ist, es hat ein außergewöhnliches Geschäftsmodell, weil man mit Airbnb quasi Hotel- und Übernachtungen weltweit buchen kann. Ein global tätiges Unternehmen ohne eine einzige Immobilie, das als Vorbild dient für viele andere, die mit ähnlichen Geschäftsmodellen in anderen Bereichen arbeiten.