Eine blaue Wäscheklammer unter vielen holzfarbenen Wäscheklammern
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Förderung außerhalb des Mainstreams
Karriere als Open Topic Professor

Eine Professur ohne Funktionsbeschreibung ermöglicht innovativen Forschern, neue Wege zu beschreiten. Ein Open Topic Professor erzählt von seinem Weg.

Von Vera Müller 06.03.2020

Forschung & Lehre: Ziel der Max-Planck-Gesellschaft ist es, herausragende Forscherpersönlichkeiten zu berufen und diese mit Forschungsressourcen auszustatten, die eigenverantwortlich und frei genutzt werden dürfen. Inwieweit lässt sich die Position als Open Topic Tenure Track Professor an der TU Dresden mit einem Direktor eines Max-Planck-Instituts vergleichen?

Klaus Reinhardt: Es gibt einige Unterschiede, so gehört zu meinen Aufgaben die Lehre, wenn auch nur in Höhe eines halben Lehrdeputats. Auch die Besoldung kommt nicht einmal in die Nähe eines Gehalts eines MPI-Direktors. Vergleichbar ist vielleicht, dass ich ein neues Themengebiet setzen und die Leute einstellen konnte, die ich gewinnen wollte. Natürlich hatte ich ein Programm, und das habe ich versucht einzuhalten. Aber ich hätte sicherlich auch in einem ganz anderen Forschungsgebiet arbeiten können, wenn ich meine Verpflichtungen, das heißt die Zielvereinbarungen, erfülle.

Portraitfoto von Prof. Dr. Klaus Reinhardt
Klaus Reinhardt ist Professor für Angewandte Zoologie und war zuvor einer der Open Topic Tenure Track Professoren an der TU Dresden. Robert Lohse

F&L: Wie haben Sie seinerzeit die Hochschulleitung und Berufungskommission von Ihrem Vorschlag zur fachlichen Ausgestaltung und Denomination der Professur überzeugt? War es schwierig?

Klaus Reinhardt: Die Professur war ja als Tenure Track ausgeschrieben. Ich hatte ein relativ kurzes Konzept erstellt, das ein wenig unkonventionell daherkam. Vielleicht war das seinerzeit in dem Zusammenhang eine gute Idee von mir.

F&L: Was war daran unkonventionell?

Klaus Reinhardt: Ich interessiere mich für evolutionäre Konflikte. Mein Ansatz war Folgender: Wenn man neue Biomaterialien oder neue Prozesse erforschen will, die auf Biologie beruhen, dann muss man sich evolutionäre Konflikte anschauen – dort geht Evolution sehr schnell –, zum Beispiel den Konflikt zwischen Wirten und Parasiten bei Bettwanzen, meinem Forschungsgebiet. Die Mikroben töten die Spermien bei den Bettwanzen ab. Wir gingen davon aus, dass die Samenflüssigkeit von Bettwanzen antibiotische Eigenschaften haben müsste, weil sich die Männchen ja sonst selbst vernichten würden. Das hat auch gestimmt. Um nach neuen Materialien zu suchen schlug ich vor, evolutionäre Konflikte zu betrachten. Offensichtlich habe ich so zeigen können, dass ich unkonventionell denken kann.

F&L: Was war Ihrer Meinung nach wichtiger: die Drittmittelaffinität oder die Originalität Ihres Forschungsansatzes?

Klaus Reinhardt: Drittmittel und gute Publikationen werden natürlich vorausgesetzt. Wer diese Voraussetzungen nicht mitbringt, kommt erst gar nicht in die Kategorie "schräger Vogel", der auch interdisziplinär arbeiten und ein neues Feld aufbauen kann.

F&L: Wie "open" war denn das "topic"?

Klaus Reinhardt: Aus meiner Sicht war es "open". Ich habe das vorgeschlagen, was ich tatsächlich machen wollte und von dem ich dachte, es sei interessant, interdisziplinär und auch ein bischen schräg. Wenn man sich die Open Topic Professuren anschaut, dann entsprechen sie nicht unbedingt dem Themenspektrum der TU Dresden. Natürlich müssen die Professuren irgendwo herkommen. Wenn eine Professur aus der Biologie reserviert wurde, gab es sicherlich großes Interesse, dass sie auch biologisch ausgerichtet war und die Person dann bei erfolgreicher Evaluierung später in die Biologie integriert werden kann. Als ich die Open Topic Professur antrat, waren im Fachbereich Biologie nicht alle Professuren besetzt. Das Rektorat stimmte zu, die Stelle, die ich nach einer positiven Evaluierung bekommen sollte, mit einer Vertretungsprofessur zu besetzen. Das war für die Fakultät ein angenehmes Zeichen.    

F&L: Was sind die wesentlichen Unterschiede zu einer "normalen" Professur?

Klaus Reinhardt: Kein wesentlicher Unterschied zu einer normalen Professur war die Besoldung: Ich habe mit der niedrigsten W3-Stufe angefangen. Die Ausstattung mit Mitarbeitern liegt bei der Open Topic Professur allerdings über dem Durchschnitt, mir wurden zum Beispiel drei Mitarbeiterstellen bewilligt. Auch die materielle Ausstattung war sehr gut. Das lag sicher auch daran, dass der Topf durch die Exzellenzinitiative gut gefüllt war. Da einige meiner Open Topics Kollegen nicht sehr geräteintensiv arbeiteten, habe ich möglicherweise davon überdurchschnittlich profitiert. Als regulärer Professor sind in der Lehre bestimmte Grundvorlesungen zu übernehmen. Ich hatte die Möglichkeit, neue Lehrveranstaltungen einzuführen. Die Open Topics Professoren hatten auch andere Ansprechpartner in der Verwaltung. Ihr Ziel war wirklich, dass wir gut arbeiten können. Das war eine einzigartige Erfahrung.

F&L: Mit den Open Topic Professuren sollte auch die Interdisziplinarität ausgebaut und verbessert werden. Was schließt das ein?

Klaus Reinhardt: In Dresden gibt es den Verbund DRESDEN-concept e.V., der fast alle außeruniversitären Einrichtungen mit der TU Dresden verbindet. Hier kann man sich sehr gut vernetzen. Teil meiner Zielvereinbarung war, dass ich am Ende eine Reihe interne und externe Kooperationen haben sollte, die durchaus über die Biologie hinausgehen konnten. Aber das passiert sowieso in fünf Jahren. Bei einem Thema habe ich zum Beispiel mit Geisteswissenschaftlern zusammengearbeitet.

F&L: Was waren hier Ihre Vorteile als Open Topic Professor?

Klaus Reinhardt: Am Anfang hatte ich mehr Zeit und damit Muße, etwas zu entwickeln, weil ich weniger lehren und auch – zumindest zu Beginn – wenig Administratives machen musste. Entscheidend war also der Zeitfaktor und nicht, dass meine Kolleginnen und Kollegen nicht oder weniger interdisziplinär arbeiten würden. Wer so viel Zeit hat wie ich damals, kann das eine oder andere versuchen. Wichtig und hilfreich ist auch, Kolleginnen und Kollegen in anderen Wissenschaftsgebieten zu kennen, denen man vertraut. Auf die Art und Weise entstehen manchmal interdisziplinäre Ideen. Dazu braucht man aber Zeit. Für viele naheliegender ist die Überlegung, rein biologische Forschung zu betreiben und eine gute Veröffentlichung gut zu platzieren, um wieder Drittmittel einzuwerben. Inzwischen gibt es aber - zumindest strukturell - keinen Unterschied mehr zu einer anderen Professur. Die Open Topic Tenure Track Professuren sind nun in reguläre Professuren aufgegangen, ich habe jetzt einen Professorennamen und bin normal eingebunden.

F&L: Haben Sie den Namen beziehungsweise die Benennung der Professur bereits im Bewerbungs- und Berufungsverfahren vorgeschlagen?

Klaus Reinhardt: Bei meiner Bewerbung auf die Open Topics Professur dachte ich, ich muss ein konkretes Bild von mir und meinen Forschungsideen abgeben. Dazu gehört auch ein Name der Professur. Ich hatte mir einen etwas sperrigen Namen und ein Mini-Logo ausgedacht. Nach der Abstimmung im Fakultätsrat der Biologie haben wir uns dann auf Angewandte Zoologie geeinigt – ein Name, den es vorher nicht gab. Für staatliche Drittmittel spielt es meines Erachtens keine Rolle, wie meine Professur heißt. Wenn ich aber mit einem Industrieunternehmen zusammenarbeiten würde, dann könnte es für die Unternehmen möglicherweise interessanter sein, wenn die Professur "Angewandte" Zoologie heißt.

F&L: Sie haben circa zwölf Jahre in England gelebt. Welche Rolle spielen Ihre Erfahrungen in Großbritannien für Ihre wissenschaftliche Karriere?

Klaus Reinhardt: Akademisch bin ich quasi in Großbritannien aufgewachsen. Ich hatte bereits schon vor der Open Topic Professur mehrere Einladungen auf Professuren in Deutschland, aber am Ende habe ich nie in ein bestimmtes Feld gepasst: Zur Allgemeinen Zoologie oder Entwicklungsbiologie und Evolution gehörte ich nicht richtig, Reproduktion auch nicht... Ich passte nirgendwo richtig hinein. Im Ausland ist  mir das immer besser gelungen. Insofern war die Open Topic Professur für mich ein Segen. Ich musste mich nicht verbiegen, um unbedingt den Lehrstuhlnamen zu erfüllen. Mit dieser Open Topic Professur können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gewonnen werden, die vielleicht etwas anders denken, als es im deutschen akademischen Bereich üblich ist.  

"Ich hatte bereits schon vor der Open Topic Professur mehrere Einladungen auf Professuren in Deutschland, aber am Ende habe ich nie in ein bestimmtes Feld gepasst."


F&L: Wie geht man in Großbritannien mit dem Thema "Mainstreamforschung" um?

Klaus Reinhardt: Die einzelnen Lehrenden, Lecturer, Senior Lecturer und Professoren, beackern ihr Feld, ohne sich darum zu kümmern, ob das nun noch Zoologie oder schon Mikrobiologie ist. Daraus entsteht eine gewisse Eigenständigkeit. Es gibt im englischen System einen Hang, alles als besonders darzustellen. Für den eigenen Erfolg ist es wichtig zu wissen, wie man kurz, prägnant und tatsächlich innovativ seine eigenen Themen darstellt. Dafür gibt es Medientrainings, die man möglichst nutzen sollte. Ich habe mich in Großbritannien immer sehr wohl gefühlt und wurde auch mitgerissen, weil jeder das Besondere an seiner Forschung darstellen kann. Und vielleicht ist auch bei uns der Mainstream gar kein Mainstream im Sinne der Forschung. Vielleicht fehlt es den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern manchmal an der Fähigkeit zu beschreiben, was das Besondere an ihrer Forschung ist und dieses Besondere dann begeistert weiterzugeben. Plötzlich wäre sogenannte Mainstreamforschung voller Open Topics...

Open Topic Tenure Track Professuren

Die Open Topic Tenure Track Professuren (OTTP) waren wesentlicher Teil des Zukunftskonzepts der TU Dresden. Das Ziel war, diese Professuren unabhängig von fachlichen Bindungen, Denominationen oder Funktionsbeschreibungen ("open topic") zu besetzen. Ausschlaggebende Faktoren sollten "einzig und allein fachliche Exzellenz sowie die Innovationskraft der zu gewinnenden Person für die wissenschaftliche Arbeit der TU Dresden" sein. Bei entsprechender Leistung mündeten die Open Topic Tenure Track Professuren nach fünf Jahren in eine dauerhafte Anstellung ("tenure track").