Svante Pääbo, der Gewinner des Medizin-Nobelpreises 2022, ist auf einem Bildschirm abgebildet, während der Pressekonferenz zur Bekanntgabe.
picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Henrik Montgomery

Nobelpreise 2022
Svante Pääbo erhält Medizin-Nobelpreis

Der Medizin-Nobelpreis 2022 geht an einen in Leipzig tätigen schwedischen Evolutionsbiologen. Svante Pääbo gilt als Begründer der Paläogenetik.

03.10.2022

Der Nobelpreis für Medizin und Physiologie würdigt in diesem Jahr die Forschung zur menschlichen Evolution. Die Nobelversammlung des Karolinska-Instituts in Stockholm hat am Montag den in Leipzig forschenden Schweden Svante Pääbo ausgezeichnet, der unter anderem als erster Forscher das Neandertaler-Genom sequenzierte. Das teilten das Karolinska-Institut und die Nobelstiftung mit. Bei seiner "wegweisenden Forschung" habe Pääbo auch den Denisova-Menschen entdeckt, einen bisher unbekannten ausgestorbenen Verwandten des heutigen Menschen. Seine Entdeckungen hätten zu einem neuen Verständnis unserer Evolutionsgeschichte geführt.

Der 1955 in Stockholm geborene Pääbo ist seit über 20 Jahren Direktor und Professor am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Zuvor war er Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München; zudem ist er Honorarprofessor der Universität Leipzig. Nach seinem Studium der Ägyptologie und Medizin sowie der Promotion in Immunologie an der Universität Uppsala forschte er in der Evolutionsbiologie unter anderem an der University of California.

Der Preisträger erhält ein Preisgeld in Höhe von zehn Millionen Schwedischen Kronen – umgerechnet rund 920.000 Euro. Der bereits mehrfach mit wissenschaftlichen Auszeichnungen geehrte Pääbo folgt mit der neuesten Auszeichnung seinem Vater, dem Biochemiker Sune Bergström, der 1982 zusammen mit zwei Kollegen den Medizin-Nobelpreis für ihre Forschung zu Prostaglandinen erhielt.

Wieviel seiner Vorfahren steckt im modernen Menschen?

Pääbo habe auch entdeckt, dass nach der Auswanderung unserer menschlichen Vorfahren aus Afrika vor etwa 70.000 Jahren ein Gentransfer von inzwischen ausgestorbenen Vorfahren, sogenannten Homininen, auf den heutigen Menschen, den Homo sapiens, stattgefunden hatte. In den Zehntausenden von Jahren, während derer der Homo sapiens und der Neandertaler in weiten Teilen Eurasiens nebeneinander lebten, haben diese immer wieder gemeinsame Nachkommen gezeugt. Die dadurch verbleibenden Gene unserer Vorfahren in unserem Erbgut machen rund ein bis vier Prozent unseres Genoms aus und wirken sich laut Mitteilung bis heute unter anderem auf unser Immunsystem aus.

Mit seiner Forschung zu den genetischen Unterschieden zwischen den heutigen und früheren Menschen habe der Preisträger eine neue wissenschaftliche Disziplin begründet: die Paläogenomik beziehungsweise Paläogenetik. Bereits als Postdoktorand habe er begonnen, Methoden für die Analyse von Neandertaler-DNA zu entwickeln. Diese habe er im Laufe seiner Karriere immer weiter optimiert und schließlich 2010 die erste Neandertaler-Genomsequenz veröffentlicht. Damit sei ihm "das scheinbar Unmögliche" gelungen.

Bei der Analyse von DNA aus menschlichen Knochen habe Pääbo 2008 zudem ein Genom entdeckt, das sich von dem des Neandertalers und des Homo sapiens unterscheidet. Der bis dato unbekannte Mensch, von dem es stammt, wurde nach dem Fundort, der Denisova-Höhle in Sibieren, Denisova-Mensch benannt. Auch für diesen konnte Pääbo einen Gentransfer mit dem heutigen Menschen nachweisen. Denisova-DNA macht laut Mitteilung bis zu sechs Prozent unseres Genoms aus.

Die Medizin-Nobelpreise der letzten fünf Jahre

2021: David Julius (USA) und der im Libanon geborene US-Forscher Ardem Patapoutian, die Zellrezeptoren entdeckt hatten, über die Menschen Temperaturen und Berührungen wahrnehmen.

2020: Harvey J. Alter (USA), Michael Houghton (Großbritannien) und Charles M. Rice (USA), die maßgeblich zur Entdeckung des Hepatitis-C-Virus beigetragen hatten.

2019: William Kaelin (USA), Peter Ratcliffe (Großbritannien) und Gregg Semenza (USA). Sie hatten herausgefunden, wie Zellen den Sauerstoffgehalt wahrnehmen und sich daran anpassen.

2018: Der US-Amerikaner James Allison und der Japaner Tasuku Honjo für die Entwicklung von Immuntherapien gegen Krebs.

2017: Die US-Forscher Jeffrey Hall, Michael Rosbash und Michael Young für die Erforschung der Inneren Uhr.

Der erste Medizin-Nobelpreis ging 1901 an den deutschen Bakteriologen Emil Adolf von Behring für die Entdeckung der Serumtherapie gegen Diphtherie. Insgesamt wurden seither 112 Nobelpreise für Medizin und Physiologie an 224 Preisträger verliehen, darunter 12 Frauen und 24 Forschende aus Deutschland. Im Vorjahr war mit Blick auf die Corona-Pandemie vorab spekuliert worden, dass der Medizin-Nobelpreis an die Entwickler der mRNA-Impfstoffe gehen könnte. Ausgezeichnet wurden stattdessen die Entdecker von Sinnesrezeptoren.

Für die Max-Planck-Gesellschaft hält die Erfolgssträhne mit der aktuellen Auszeichnung an. In den Vorjahren gingen bereits mehrere Nobelpreise an Forschende von Max-Planck-Instituten: 2021 an Klaus Hasselmann (Physik) und Benjamin List (Chemie) sowie 2020 an Reinhard Genzel (Physik) und Emmanuelle Charpentier (Chemie).

Die Nobelpreise, die auf das Testament des schwedischen Forschers und Großindustriellen Alfred Nobel zurückgehen, werden seit 1901 vergeben. Daneben wird seit 1969 eine von der Schwedischen Reichsbank gestiftete Ehrung für Wirtschaftswissenschaften in Gedenken an Alfred Nobel verliehen. Überreicht werden alle Preise am 10. Dezember, dem Todestag von Nobel. Nach zwei Jahren mit pandemiebedingt stark reduzierten Zeremonien will die Nobelstiftung die Ausgezeichneten diesmal gebührend vor Ort in Stockholm und Oslo feiern – gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen aus den beiden Vorjahren.

zuletzt aktualisiert am 03.10.2022 um 14.03 Uhr, zuerst veröffentlicht um 11.40 Uhr

ckr/dpa