Das Foto zeigt Studierende in einem Hörsaal der Universität Konstanz.
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Studierfähigkeit
Da läuft etwas ganz schief

Erfüllt das Gymnasium nicht mehr seine wesentlich Aufgabe: Junge Menschen studierfähig zu machen? Eine Kritik aus erziehungswissenschaftlicher Sicht.

Von Volker Ladenthin 06.08.2018

Eigentlich müsste alles bestens sein: "Absolventen mit allgemeiner Hochschulreife sind mit durchschnittlich 19,4 Jahren ein halbes Jahr jünger als diejenigen des Jahres 2007". Diese Verjüngung geht mit einem statistischen Leistungszuwachs einher: In Hessen z. B. hat sich zwischen 2009 und 2013 der Abiturnotendurchschnitt von 2,46 auf 2,42 verbessert. Zudem ist der Anteil der 1,0-Abiture von 1,2 auf 1,6 Prozent gestiegen. In Nordrhein-Westfalen hat sich die Zahl der Einser-Abiturzeugnisse zwischen 2007 und 2011 sogar verdoppelt.

Aber gleichzeitig liest man beispielsweise auf der Homepage der TU Dresden: "Aufgrund der sehr großen Nachfrage in den vergangenen Jahren veranstaltet die Fakultät Mathematik und Naturwissenschaften der TU Dresden auch in diesem Jahr wieder die Brückenkurse für Abiturientinnen und Abiturienten in den Fächern Chemie, Physik und Mathematik. Die Kurse dienen der unmittelbaren Studienvorbereitung für zukünftige Studentinnen und Studenten der Ingenieurwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften, Naturwissenschaften, Medizinischen Studiengänge und den Studiengängen der Lehrerausbildung. Schwerpunkt wird die Wiederholung und Vertiefung derjenigen Teile des Lehrplanes sein, deren Kenntnis bei Studentinnen und Studenten des ersten Studienjahres vorausgesetzt wird, die aber erfahrungsgemäß die meisten Schwierigkeiten bei der Anwendung bereiten."

Das Abitur befähigt inzwischen nicht mehr zum Beginn eines Grundstudiums. Mittlerweile fließen riesige Geldsummen aus dem Ministerium an die Universitäten, weil viele Abiturienten nicht mehr studierfähig sind. Was die Kultusminister an verkürzter Schulzeit einsparen, geben die Wissenschaftsminister für Brückenkurse wieder aus.

Zwischen Abitur und Universität entsteht eine neue Schulart

Da läuft etwas ganz schief. Der Übergang von der Schule auf die Universität ist hochgradig gestört. Zwischen Abitur und Universität entsteht eine neue Schulart – die das nachholt oder überhaupt erst einmal thematisiert, was in den Lehrplänen der Schule steht. Das Gymnasium erfüllt gar nicht mehr die Aufgabe, die man ihm aufgetragen hat: Studierfähigkeit.

Dieser Befund zeigt sich auch, wenn man Klausuren, Power Point-Präsentationen und Hausarbeiten, die Orthographie und die Interpunktion anschaut: Kommaregeln werden so gut wie gar nicht systematisch angewandt; Rechtschreibfehler betreffen inzwischen die unsicher gewordene Groß- und Kleinschreibung. Etwa 80 Prozent der Klausuren weisen ein unregelmäßiges, oft nur schwer lesbares Schriftbild auf. Ich habe Seminararbeiten zu korrigieren, die bei zehn Seiten Umfang bis zu 100 Fehler aufweisen.

Ich möchte aber nicht allgemein bleiben, sondern an Beispielen zeigen, woran es beim Übergang grundsätzlich hapert. Meine Beschreibung  hat sich aussagekräftiger Quellen bedient: Seit sieben Jahren lasse ich vergleichbare Klausuren in den Anfangssemestern schreiben: Die bisher über 1.000 Klausuren mit je sechs Fragen verlangen Reproduktion, aber auch Reorganisation und Transfer sowie Urteile. Die Fragen lauten etwa: "Warum sind Schulen gegründet worden: Unterscheiden Sie soziale und pädagogische Motive! – Welche (aktuellen) Theorien wollen den Bildungsbegriff ersetzen? Beurteilen Sie die Versuche!" Ein Pool von circa 120 möglichen Fragen ist den Studierenden vor den Klausuren bekannt, so dass sie von der Art der Fragen nicht überrascht sein können. Bei Referaten ist eine schriftliche lehrzielorientierte Sachanalyse verlangt, für die kurze Texte (10 bis 200 Zeilen) zu referieren sind. Trotzdem ist immer mehr Hilfe nötig.  Die zentrale Frage lautet: "Können Sie den Stoff nicht reduzieren?"

Die Studierenden können Theorien, die in der Lehre zuvor sprachlich einfach dargestellt wurden, mehrheitlich angemessen memorieren und reproduzieren. Hingegen fällt die eigenständige Erschließung von Theorien aus einfachen wissenschaftlichen Texten (zum Beispiel Karl Popper) mehrheitlich schwer; die Erschließung von Thesen aus historischen oder syntaktisch komplexen Texten (Humboldt, Hegel, aber auch Comenius) bedarf erheblicher Unterstützung. Bei diesen Texten bereitet dann auch eine angemessene eigensprachliche Reproduktion Schwierigkeiten. Die Texte können in der Regel nicht komplex, systematisch vollständig und in eigenen Worten zusammengefasst werden. Indikator ist ein einfacher Blick auf die gelesenen Texte: Bei den Unterstreichungen fällt auf, dass beinahe alles hervorgehoben ist, also keine Bedeutungshierarchien optisch markiert werden (zum Beispiel nach These, Begründung, Beispiel, immanente Gliederung 1.,2.,3.,).

Die Studierenden sind mehrheitlich kognitiv kaum zu Abstraktionen fähig, und daher zum Transfer fast gar nicht. Aussagen antiker Autoren (Aristoteles) in zeitgemäßen Sprachgebrauch zu transferieren, scheitert weniger an lückenhaften historischen Kenntnissen als an der mangelnden Transferfähigkeit. Analysen sind so vage wie die folgende: "Comenius sagt, dass Schule gut für den Menschen sei." Synthesen können nur mechanistisch (das heißt additiv, keinesfalls gewichtet) erstellt werden. Urteile werden linear (keinesfalls multiperspektivisch) gefällt.

Paradoxa ("Werde, der du bist!") oder Antinomien ("Wie kultiviere ich Freiheit durch Zwang?") können kaum selbstständig reformuliert werden; zumeist folgt man dem vorgegebenen Sprachgebrauch des Autors; eigene Beispiele können nicht formuliert werden. Selbstreferentialität – also Aussagen von Texten auf diese Texte selbst zu beziehen – wird nicht eigenständig geleistet und gelingt auch mit Unterstützung nur durch Vereinfachung der Beispiele.

Hypothetische "Wenn-dann"-Beziehungen werden in der Reproduktion zu ontologischen "Weil-also"-Zuständen verändert, d.h. von der konditionalen Aussage zur kausalen Erklärung verändert und nicht angemessen komplex aufgenommen. "Wenn man durchs Mikroskop schaut, sieht man eine Zelle." "Weil man durchs Mikroskop schaut, gibt es Zellen." Die Differenz von Ursache und Begründung wird nicht beachtet.

"Es fehlt an Urteilskraft im Umgang mit parallelen oder widersprüchlich zueinander stehenden Theorien." Prof. Dr. Volker Ladenthin

Es fehlt an Urteilskraft im Umgang mit parallelen oder gar widersprüchlich zueinander stehenden Theorien – etwa der Differenz einer Sozialisations- und einer Bildungstheorie. Theorien werden nicht als Theorien referiert, sondern als unmittelbar realitätsbezogene Aussagen: Statt "Wehler stellt die These auf, dass das Bildungssystem ungerecht sei", wird im Referat formuliert: "Das Bildungssystem ist ungerecht."

Der "Berichts­charakter" kann bei Referaten sprachlich nicht durchgehalten werden, was unter anderem dadurch bedingt ist, dass der Konjunktiv I im Deutschen keineswegs sicher gebildet werden kann. Der Frage nach Voraussetzungen von Thesen ("Wer behauptet, dass etwas ungerecht sei, muss ein Kriterium haben für das, was gerecht und ungerecht ist") wird mit dem Hinweis begegnet, davon stehe aber nichts im Text. Dem Hinweis, dass man dann eben die Voraussetzungen selbst bedenken müsse, wurde entgegengehalten, dass man als Studenten doch keine Texte von Professoren kritisieren könne.

Ließen sich die vorstehenden Befunde leicht exakt quantifizieren, so beziehen sich folgende Aussagen auf alltägliche Eindrücke und Erfahrungen, die allerdings dokumentierbar sind (zum eispiel in E-Mails und ihrer Häufigkeit). Im Verwaltungsbereich ist – aufgrund von zunehmenden Anfragen – eine wachsende Unselbstständigkeit festgestellt worden. Die Studierenden erwarten, dass jemand anderes für sie alles Wichtige erledigt. Termine etwa werden nicht ernst genommen, weil sie nur einmal zu Beginn des Semesters publiziert wurden, nicht aber verbal, ausdrücklich und kurzfristig darauf hingewiesen worden ist.

Raumangaben von Lehrveranstaltungen in Vorlesungsverzeichnissen werden dadurch abgesichert, dass man in den Sekretariaten anfragt, wo die entsprechende Straße, das Gebäude oder der Raum liege. Man fühlt sich nicht für sich selbst verantwortlich, sondern verlässt sich darauf, dass das Verantwortungsgefühl anderer dafür sorgt, dass man selbst keinen Schaden nimmt.

Diese Unselbstständigkeit betrifft das Lernen und dort speziell die Vorbereitung auf Prüfungen: Die Unselbstständigkeit wird von Kollegen zunehmend durch zusätzliche Absicherungen aufgefangen, zum Beispiel dadurch, dass sie von jedem Seminarteilnehmer zu jeder Sitzung Protokolle schreiben lassen, die als Studienleistung eingefordert werden.

Auffällig ist eine deutliche Zunahme an Anträgen zur Einsicht in Prüfungsunterlagen: Korrektururteile wie "falsch" oder "unvollständig" werden als Zumutung empfunden – wie überhaupt eine geringe Frustrationstoleranz zu beobachten ist: Kritik ja, aber behutsam und mit positiven Signalen. Zum ersten Mal in meiner 30jährigen Lehrerfahrung an der Universität wird von Studierenden berichtet, die nach einer (sachlichen) Kritik von einigen Inhalten eines (Gruppen-)Referates in Tränen ausbrachen.

"Auffällig ist, dass viele Studierende keine Fragen haben: Ihnen ist kaum etwas ein Problem". Prof. Dr. Volker Ladenthin

Auffällig ist zudem, dass viele Studierende keine Fragen haben: Ihnen ist kaum etwas ein Problem. Sie haben keine Fragen und suchen daher nicht nach Antworten. Vielmehr erwarten sie, dass ihnen etwas angeboten wird, was sie (vielleicht/vielleicht aber auch nicht) interessieren könnte. Gibt man einen Text und fragt, was die Studierenden an diesem Text interessiert, bekommt man keine Antwort. Sie erwarten, dass man ihnen mit dem Text auch die Fragen präsentiert.

Lebenserfahrung fehlt; eigene Erfahrungen werden verallgemeinert

Diese Haltung wird allerdings stark unterstützt durch neu eingeführte universitäre Evaluationen, die den Studierenden Meinungen darüber abverlangen, ob ihnen Veranstaltungen etwas "gebracht" haben, ob sie "praxisnah" waren, "motivierend" oder "Lebensbezug" hatten. Die Universität wird angesichts dieser Fragen nicht mehr als der Ort verstanden, an dem man Fragen nachgeht, die man im Alltag nicht stellen und nicht lösen kann, sondern umgekehrt: Die Universität muss sich an den Ansprüchen der bisherigen Erfahrungen und am Alltag bewähren.

Man geht nicht zur Universität, weil man motiviert ist, sondern man geht zur Uni, um motiviert zu werden. Statt die Beobachtung am "fehlenden Lebensbezug" darauf hin zu prüfen, ob man selbst vielleicht falsch lebe, wird umgekehrt gefragt, warum die Uni sich diesem ihrem Leben nicht anpasse. Schon gar nicht soll eine Wissenschaft dort Fragen stellen, wo bisher keine waren. Die Antworten der Studierenden auf die Frage, "Was möchten Sie im Seminar lernen?" sind so allgemein und unverbindlich, dass man sie als Lehrender besser nicht stellt: "Mehr Praxis!"

Schwerwiegend ist der Mangel an authentischer (das heißt nicht inszenierter oder organisierter) Lebenserfahrung: eigene Erlebnisschilderungen ("Beispiele") beziehen sich auf Schule, Elternhaus und die ganz enge peer-group oder aber – sehr häufig – auf mediale Klischees. Lebensweltliche Konfliktsituationen werden entweder als bereits von anderen geklärt oder als individuell beliebig lösbar entproblematisiert – zusammen mit mangelnder Urteilskraft ein Problem für praktische Handlungstheorien und sozialwissenschaftliche Theoriebildung. Problembewusstsein (im Sinne der Erfassung von Antinomien in lebensweltlichen Situationen: Freiheit und Bindung; Gesellschaft und Individuum; Gleichheit und Angemessenheit)  oder auch nur Sinn für die Komplexität lebensweltlicher Entscheidungen fehlen nahezu völlig.

Nur belegende, nicht aber irritierende Beispiele lösen häufig Rezeption aus: Die Frage, ob man jemanden das Wünschen" lehren kann, wurde nicht in ihrem Problemgehalt diskutiert, sondern durchgehend mit möglichen Maßnahmen bedacht: "Man muss ihn einfach vor eine Entscheidung stellen!" Abweichungen vom Rechtssystem werden oft nicht prinzipientheoretisch begründet ("Gerechtigkeit“), sondern als  dem Einzelnen jederzeit zustehende persönliche Willkür.

Der Begriff des "Prinzips" (im Unterschied zur "Norm") ist kaum zu vermitteln und nur bei wenigen Studierenden transferfähig. Geltungsansprüche und theoretische Modelle Dritter werden so lange anerkannt, wie sie der eigenen Erfahrung entsprechen.

Die Verabsolutierung eigener Erfahrungen ist bei vielen Studierenden der Geisteswissenschaften auch beim Umgang mit wissenschaftlichen Aussagen zu beobachten. Literaturinterpretation sei "Ansichtssache", jeder könne alles "in einen Text hineinlesen" (statt es am Text nachzuweisen) und diskussionsbeendend: Man sehe das "halt" anders. Auch in moralischen Fragen "sehe jeder das eben anders"; sittlich sei, was die Gesellschaft dafür halte. Sittlichkeit sei "keine Ahnung – anerzogen". Es gebe "eh" keine Wahrheit, alles sei Ansichtssache.

Die häufig benutzten Füllfloskeln "weiß nicht", "keine Ahnung", die zwischen Aussagesätze gesetzt werden, indizieren unfreiwillig den eigenen Bewusstseinsstand: "Man kann Schule doch nicht mit, keine Ahnung,  Universität vergleichen….". In Referaten geht man nicht mit einem "daraus folgt" oder "und nun komme ich zum nächsten Aspekt" zum nächsten Gliederungspunkt über, sondern dadurch, dass die Referenten auf das Konzeptpapier schauen und "genau!" sagen. So, als ob man sich selbst Mut machen und ein Kontinuum herstellen müsste, weil man ahnt, dass der Aufbau des Referates lediglich additiv war.

Aussagen werden oft egozentrisch akzeptiert beziehungsweise abgelehnt – oder sie werden gar nicht in Bezug zum Ich gesetzt: Man lernt, weil es aufgegeben wurde. Seminarbeiträge werden von vielen Studierenden nicht als sachdienlich oder sachklärend intendiert, sondern als persönliche (und daher folgenlose) Stellungnahme ("Meinung") oder als strategische Inszenierung des Ichs. Auch Kant oder Hegel werden so referiert und diskutiert, dass man deren "Meinung" wiedergibt oder bestreitet.

Geltungsansprüche und theoretische Modelle Dritter werden so lange anerkannt, wie sie der eigenen Erfahrung entsprechen: Gegenargumente werden daher als Kritik an der Person aufgefasst und als unangemessene Maßreglung durch den Seminarleiter. Sachliche Begründungen werden als inakzeptables Insistieren auf der eigenen "Meinung" verstanden – auch wechselseitig unter den Studierenden. Es scheint, als wenn Lernen als "narzisstische Kränkung" erfahren wird: In – stets freundlichen – Evaluationsgesprächen bekannten Studierende, sachbezogene Korrekturvorschläge für ihr anstehendes Referat durch studentische Hilfskräfte als "Demütigung" empfunden zu haben, als eine "traumatische Erfahrung".

Studierende äußern selten Kritik

In den Lehr-Lernsituationen gibt es selten Kritik; es muss nur alles geregelt sein. Lernen und Leben werden häufig so getrennt, dass man für die Klausur lernt und sein Leben unabhängig vom Gelernten so deutet wie zuvor. Einige Zeit nach Referaten fallen selbst die Referenten in alte, lebensweltliche Erfahrungsmuster zurück, selbst wenn das Referat genau diese in Frage gestellt hatte. Dies hatte die Lehr-Lernforschung zwar schon länger bemerkt – aber jetzt lassen sich die Phänomene an der Universität beobachten.

"Die Studierenden sind überaus freundlich und kommunikativ, im Zwiegespräch sehr geschickt." Prof. Dr. Volker Ladenthin

Das universitäre Wissen wird als lästig, als Sonderwissen empfunden, das man sich zwar – gemäß der Wünsche des Dozenten – aneignet, aber ohne Schaden wieder vergessen kann.

Der Umgang mit den Studierenden ist dabei äußerst angenehm. Die Studierenden sind überaus freundlich und kommunikativ, im Zwiegespräch sehr geschickt. Ebenso sind sie fleißig, gutwillig und konstruktiv: Aber es lässt sich ein entwicklungspsychologisches Problem feststellen. Auf Grund der kognitiven Entwicklung scheinen die Studierenden in den Anfangssemestern mehrheitlich nicht in der Lage, komplexe, antinomische und multikausale Prozesse, wie sie heute in allen Wissenschaften üblicherweise beschrieben werden, angemessen aufzunehmen und Vorgänge streng aspektgebunden oder multiperspektivisch zu betrachten. Diese Entwicklung wird erst im weiteren Verlauf des Studiums einsetzen und voraussichtlich zu verlängerten Studienzeiten führen – schon allein aus dem Grund, um Abschlussarbeiten auf dem Niveau schreiben zu können, das den wissenschaftlichen Standards entspricht.

2 Kommentare

  • Marcus Weber Vor dem Beginn eines jeden Semesters lese ich mittlerweile einmal diesen Text. Ich lehre Mathematik für Studierende der Chemie. Der Text brachte mich auf eine Idee, die ich in der Vorlesung seitdem umsetze. Normalerweise werden in Mathematik zuerst die „Werkzeuge und Gedankengebäude“ gelehrt, bevor man sich an konkrete Aufgaben begibt. Seit einigen Semestern stelle ich aber vor das Präsentieren dieser Theorie in jeder Vorlesung eine Frage an den Anfang, die irritieren soll: Sie scheint (gemessen an dem Universitätsniveau) zu einfach zu beantworten zu sein, entpuppt sich dann aber als komplex. Oder: Sie übersteigt scheinbar die technischen Möglichkeiten der Studierenden bei Weitem, wird aber durch das Gesagte in der Vorlesung „fast schon“ beantwortbar. Die Vorlesung ist nicht so aufgebaut, dass sie sich direkt auf die Eingangsfrage bezieht. Dieser Bezug ist indirekt und erfordert ein Transferleitung der Studierenden. Innerhalb der Vorlesung werden tatsächlich abstrakte Gedankengebäude errichtet. Ich nenne auch (was in Mathematik nicht üblich ist) immer die Personen, die die gelehrten Ideen vertreten haben und ihre historische Einbettung. Dabei spreche ich auch immer Kontroversen an, sofern diese geschichtlich belegt sind. Die Studierenden sollen während der Vorlesung verstehen, dass Mathematik eine nicht abgeschlossene Gedankenwelt beinhaltet, an deren Ausbau sie beteiligt sein können. Sie sollen zwar (richtig) vermuten, dass die Eingangsfrage etwas mit dem Stoff der Vorlesung zu tun hat, aber bei der Beantwortung „allein gelassen“ werden. Niemals werde ich die Frage selber beantworten.
  • Tim Kuhn Vielen Dank für diese ausführliche Kritik, die sehr gut zur verbesserten Selbstreflexion beitragen kann.