Didaktik
"Uni-Dozenten sind in ihrer Rolle sehr frei"
F&L: Frau Dr. Rottlaender, Sie raten angehenden Dozentinnen und Dozenten, die eigene Schul- und Studienzeit noch einmal Revue passieren zu lassen, bevor man in die Lehre einsteigt – warum?
Eva-Maria Rottlaender: In der Regel werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eingestellt und sollen meistens relativ zeitnah Seminare, Vorlesungen, Übungen oder Ähnliches geben. Sie bekommen wenig an die Hand, wie sie das genau machen sollen – Uni-Dozenten sind in ihrer Rolle sehr frei. Aus den erlebten Eigenschaften der Lehrkräfte aus der eigenen Schul- und Ausbildungszeit erstellen wir uns teils bewusst – häufig jedoch unbewusst – unser Ideal eines "guten Dozenten" oder einer "guten Dozentin", dem wir "nacheifern". Dies sollte ich reflektieren und mir dabei bewusst machen, was mir als Studentin oder Student geholfen hat und was eher hinderlich für meine Lernfortschritte war. Welche Art der Lehre hat mich begeistert? Welche nicht?
F&L: Nun sind nicht alle Studierenden gleich. Spreche ich bei so einem Vorgehen nicht nur diejenigen an, die mir ähneln?
Eva-Maria Rottlaender: Genau, daher ist es in einem zweiten Schritt meine Aufgabe, von meinen Vorstellungen zu abstrahieren und mir bewusst zu machen, dass meine Studierenden nicht dieselben Erfahrungen gemacht haben wie ich. Nicht alle Studierenden lernen wie ich, nicht allen fällt dieses oder jenes genauso leicht oder schwer, wie mir.
F&L: Wenn ich mir darüber im Klaren bin wie meine Lehre aussehen soll: was dann?
Eva-Maria Rottlaender: Man sollte die eigenen Vorstellungen und Erwartungen ganz klar gegenüber den Studierenden kommunizieren. Wie soll die Lehre aussehen? Was sind meine Aufgaben, was sind die Aufgaben der Studierenden? Viele Dozentinnen und Dozenten gehen davon aus, dass dies selbsterklärend sei und Studierende wissen müssten, welche Erwartungen ich habe. Dabei können die Erwartungen von Lehrenden sehr unterschiedlich sein. Das merkt man schnell, wenn man sich mit anderen Dozierenden austauscht.
F&L: Auf welchem Weg sollte ich meine Vorstellungen am besten kommunizieren?
Eva-Maria Rottlaender: Wir empfehlen Lehrkräften, die erste Stunde einer Veranstaltung zu nutzen, um Erwartungen und Angebote abzustecken. Begleitend zu den mündlichen Erklärungen bietet sich eine kurze Power-Point-Präsentation an, auf der nicht nur die Inhalte der Veranstaltung abgesteckt werden, sondern auch die organisatorischen Rahmenbedingungen. Dafür sollte man auch notieren, für was man wann und wie erreichbar ist oder auch nicht. So vermeiden Dozenten zum Beispiel, dass sie über Facebook kontaktiert werden. Hilfreich finde ich auch eine Auflistung nach dem Schema: "Ich erwarte" – "Ich biete", in der Dozenten zum einen deutlich machen, welche Anforderungen sie an die Studierenden stellen, zum anderen aber auch sich selbst zu bestimmten Leistungen verpflichten. Die Informationen können dann nach Möglichkeit auf die E-Learning-Plattform der Hochschule hochgeladen werden. So können die Informationen jederzeit noch einmal angeschaut werden – auch von denjenigen, die in der ersten Stunde nicht da waren.
Beispiel für Vereinbarungen zwischen Dozent und Studierenden
Eva-Maria Rottlaender, Zentrum für Hochschuldidaktik (ZHD), Universität zu Köln
Ich biete:
- roter Faden durch die Lehrveranstaltung
- Power-Point-Folien, die einen Tag vorher auf das E-Learning-Portal hochgeladen werden
- Wissen aus Theorie und Praxis zur Beratung für Haus- und Abschlussarbeiten (bitte in meine Sprechstunde kommen)
- Hilfestellung bei Literaturrecherchen
Ich erwarte:
- wöchentliche inhaltliche Vorbereitung auf die LV Sitzungen
- Mitarbeit und Aufmerksamkeit während der Seminarzeit
- pünktliches Erscheinen, pünktliche Abgabe der Hausarbeiten (bis Datum xy in Raum xy)
- selbstständiges Nachfragen bei Fragen und Unklarheiten.
F&L: Welche Missverständnisse zwischen Lehrenden und Studierenden sind typisch?
Eva-Maria Rottlaender: Viele Missverständnisse drehen sich um die Frage von Nähe und Distanz. Für die einen ist ganz klar, dass Lehrende Autoritätspersonen und keine Freunde sind. Sie schreiben formale E-Mails und beginnen diese nicht mit "Hallo" oder "Hi". Es gibt aber auch den anderen Fall. Die Gründe liegen oftmals in der Erziehung aufgrund verschiedener Bildungsmilieus oder kultureller Hintergründe. Um Ärgernisse zu vermeiden, hilft es in der ersten Stunde deutlich zu machen, wie man sich den Umgang vorstellt. Dazu gehört auch zu kommunizieren, wofür man nicht verantwortlich ist. Hier kann man – muss man aber nicht – an die entsprechenden Anlaufstellen an der Hochschule verweisen; etwa für eine Beratung zum Bafög-Antrag oder zu privaten Problemen.
" Letztlich muss jeder Dozent für sich entscheiden, wie individuell er auf die Studierenden eingehen möchte." Eva-Maria Rottlaender
F&L: Oft häufen sich schon kurz nachdem Dozierende eine Veranstaltung in das Vorlesungsverzeichnis eingestellt haben die Anfragen. Wie geht man damit am besten um?
Eva-Maria Rottlaender: Letztlich muss jeder Dozent und jede Dozentin für sich entscheiden, wie individuell er oder sie auf die Studierenden eingehen möchte. Es ist auf jeden Fall ratsam, sich rechtlich zu informieren, welche Aufgaben ich übernehmen muss und was ich aus reiner Freundlichkeit tun kann. In der Regel finden Dozierende solche Informationen im Modulhandbuch eines Studiengangs. Je individueller ich auf meine Studierenden eingehe, desto mehr Arbeit habe ich natürlich – etwa, weil ich flexible Abgabetermine erlaube oder Studierenden bei der Anwesenheit entgegenkomme. Die Prüfungsordnungen sind meist sehr vage formuliert, sodass jeder Lehrstuhl Spielräume in deren Auslegung hat.
F&L: Ihr Ansatz geht davon aus, dass sowohl Dozierende als auch Studierende an einer gelungenen Veranstaltung interessiert sind. Reicht denn das bloße Kommunizieren meiner Erwartungen?
Eva-Maria Rottlaender: In der Regel schon, aber alle potenziellen Konflikte lassen sich natürlich nicht durch eine Vorab-Information aus dem Weg räumen. Details müssen in der Veranstaltung austariert werden. Ich spreche zum Beispiel immer wieder Studierende direkt an und fordere sie zu einer Wortmeldung auf. Ich halte das für sinnvoll, um die Veranstaltung interaktiver zu gestalten und den Studierenden das Gefühl des "Gesehen-werdens" zu vermitteln. Für manche stellt es aber eine wahnsinnige Drucksituation dar und ich bin dankbar, wenn mich Studierende nach der Veranstaltung offen ansprechen, wenn sie sich damit unwohl fühlen. Das ist mein dialogisches Verständnis von Lehre.
0 Kommentare