Das Foto zeigt das Gebäude der Charité-Klinik in Berlin
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Medizin
Gute Lehre braucht Teilhabe und Konsens

Die Ärzteausbildung muss für viele Mediziner sorgen – und das auf hohem Niveau. Wie die Charité in Berlin diese Aufgabe angeht.

Von Axel Radlach Pries 19.06.2018

Die Ausbildung der kommenden Generation von Ärztinnen und Ärzten und von Mitgliedern anderer Gesundheitsberufe befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel. Lange stellte die fächer- und dozentenorientierte Vermittlung von Wissen und Fakten das Rückgrat des Medizinstudiums dar.

In den letzten Dekaden haben führende Institutionen weltweit Curricula eingeführt, bei denen die Studierenden und die von ihnen zu erwerbenden Kompetenzen im Mittelpunkt der Ausbildung stehen. Die Charité – Universitätsmedizin Berlin steht für diese zukunftsorientierte Ausbildung in allen Gesundheitsberufen.

Die Werte, die in der Charité als Handlungsmaßstab der Krankenversorgung und der Forschung gelten – Fürsorglichkeit, Wissenschaftlichkeit, Verantwortung, Vielfalt und gegenseitiger Respekt – sind hierbei gleichermaßen die Leitmotive für die Lehre. Sie sind Grundlage für den 2010 gemeinsam von Lehrenden und Lernenden neu geschaffenen Modellstudiengang Humanmedizin mit dem Motto "Lernen für die Medizin von morgen" sowie die weiteren fünf grundständigen und sieben weiterbildenden Studiengänge, die an der Charité angeboten werden.

Lehre muss wissenschaftsbasiert und praxisnah gestaltet werden

Dies reflektiert die gegenwärtige Transformation in der medizinischen Praxis und Forschung. Alle Studierenden, gleich welchen Studiengangs, müssen auf die Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte vorbereitet werden. Dazu zählen die Ökonomisierung der medizinischen Prozeduren, die Digitalisierung, die Globalisierung, spezialisiertes Wissen sowie das zunehmende Arbeiten in interdisziplinären und interprofessionalen Teams.

Dies alles muss beachtet werden, ohne die traditionellen Grundlagen des kohärenten medizinischen Denkens in größeren Zusammenhängen und der persönlichen Kommunikation zwischen Hilfesuchenden und Hilfegebenden zu vernachlässigen. Solche Spannungsfelder in einem Studienangebot zu integrieren ist für das Kollegium der Charité Chance und Herausforderung zugleich.

Die Lehre wissenschaftsbasiert, innovativ, praxisnah und partizipativ zu gestalten – das sind unsere Prinzipien. Im Modellstudiengang Medizin werden diese Prinzipien bereits erfolgreich und nachhaltig umgesetzt.

So werden die Studierenden im Modellstudiengang schon zu Beginn des Studiums an Forschungsmethoden und Ergebnisdiskussionen herangeführt. Bereits in der ersten Woche treten sie mit Patientinnen und Patienten in Kontakt, um die Grundlagen der ärztlichen Gesprächsführung und der Anamneseerhebung einzuüben. Ferner erlaubt ein Anteil von mehr als zehn Prozent an Wahlpflichtveranstaltungen eine individuelle inhaltliche Schwerpunktsetzung.

Die inhaltliche Gestaltung eines solch großen Reformvorhabens, wie es der Modellstudiengang ist, wäre ohne die studentische Partizipation nicht möglich gewesen. Die Teilhabe an der Gestaltung des eigenen Studiums ist zugleich ein essentieller Parameter für eine erfolgreiche Ausbildung und trägt zur Identifikation mit dem Studium und der Fakultät bei. Es ist offensichtlich, dass diese Partizipation und die Zentrierung auf Studierende im Modellstudiengang einen hohen gegenseitigen Respekt von Lehrenden und Lernenden voraussetzen.

Durch die Verleihung des "ASPIRE Award Excellence in Student Engagement" der "Association for Medical Education in Europe (AMEE)" fühlen wir uns in dieser Vorgehensweise bestätigt.
Den Prinzipien eines kompetenz- und wissenschaftsbasierten Curriculums folgen auch die nach dem Modellstudiengang Medizin implementierten neuen Studiengänge wie etwa "Public Health" und "Gesundheitswissenschaften".

Für traditionelle klassische Studiengänge, wie zum Beispiel Zahnmedizin, stehen solche Transformationen in Teilen noch aus. Es ist naheliegend, dass hierbei, wie auch schon in der Humanmedizin, offen diskutiert wird, welche Elemente der tradierten Studieninhalte und -methoden bewahrt und welche neuen Elemente integriert werden sollen.

Die Einstellung zum Arztberuf muss den Werten der Charité entsprechen

Eine Leitlinie dafür ist, dass ein sicherer Umgang mit kranken Menschen und die frühe Reflektion des ärztlichen Handelns das Selbstvertrauen stärken und der allmähliche Zuwachs an Kompetenzen dazu anspornt, sich theoretisches Wissen in einer alltagstauglichen Weise anzueignen. Die Erfahrungen der letzten Jahre mit der Gestaltung des Modellstudiengangs haben aber auch gezeigt, dass eine solche Transformation nur in einem gründlichen und partizipativen Prozess und mit dem Konsens aller Beteiligten erfolgreich und nachhaltig sein kann.

Für das Kollegium der Charité ist es immer ein besonderer Tag, wenn wir die neu immatrikulierten Studierenden am ersten Tag ihres Studiums begrüßen. Wir wollen ihnen eine Ausbildung anbieten, die angemessen auf die medizinischen, ethischen, ökonomischen und technischen Entwicklungen von morgen und für ein lebenslanges Lernen vorbereitet. Wir wollen ihnen aber auch eine Einstellung zum ärztlichen Beruf vermitteln, die den Zielen und Werten der Charité entspricht: Forschen – Lehren – Helfen – Heilen.

Zu uns kommen hochmotivierte und leistungsstarke junge Frauen und Männer aus verschiedenen Teilen Deutschlands und 88 weiteren Ländern. Unter unseren Studierenden sind Frauen mit circa 60 Prozent inzwischen sehr gut vertreten. Das begrüßen wir, da auch in der Medizin gemischte Teams am stärksten sind und wir in Führungspositionen noch immer einen erheblichen Bedarf an Frauen haben.

Die Studierenden haben ganz verschiedene Voraussetzungen

Die Voraussetzungen, die die neuen Kommilitoninnen und Kommilitonen mitbringen, sind zweifelsohne unterschiedlich. So studiert etwa die ehemalige Krankenpflegerin neben dem noch nicht volljährigen Abiturienten, eine Physikabsolventin im Zweitstudium neben dem seit drei Jahren jobbenden jungen Mann, der gewartet hat, bis seine Abiturnote eine Zulassung zum Zahnmedizinstudium erlaubt.

Sie kommen, weil sie kranken Menschen helfen wollen, weil sie von der Medizin fasziniert sind und weil sie wissen, dass sie nach dem Studium einen Arbeitsplatz in einem anerkannten Beruf antreten können. Sie geben ihr Bestes und nur wenige – im Vergleich mit anderen Studiengängen – brechen das Studium ab. Wir sind unseren Studierenden und ihren zukünftigen Patientinnen und Patienten schuldig, dass sie als qualifizierte Ärztinnen und Ärzte oder Gesundheitswissenschaftlerinnen und Gesundheitswissenschaftler unsere Fakultät verlassen.

Darum verstehen wir es als unsere genuine Aufgabe und berufsethische Pflicht, die Studierenden mit modernen, zukunftsorientierten und partizipativen Lehrkonzepten zu fördern. Ein solches Leitbild beinhaltet, dass wir uns immer wieder veränderten Rahmenbedingungen und neuen Inhalten in der Gestaltung der verschiedenen Studiengänge stellen müssen. Gleich bleibt nur das Bekannte "panta rhei" – alles fließt.