Populismus in Deutschland
Sind Eliten ein Teil des Problems?
Forschung & Lehre: Populisten machen sich die Sorgen von Bürgerinnen und Bürger zunutze und propagieren scheinbar einfache Lösungen für komplexe Zusammenhänge, sei es Migration, Globalisierung oder Digitalisierung. Warum haben sie damit gerade heute Erfolg – schließlich gab es in jedem Zeitalter tiefgreifende Umbrüche?
Cornelia Koppetsch: Das stimmt, aber die zunehmende Komplexität und die Schnelligkeit, in der sich Veränderungen vollziehen, ist ein Merkmal unserer Zeit. Hinzu kommt, dass wir uns gerade in einem Veränderungsprozess befinden, in dem eine andere Gesellschaftsordnung entsteht. Durch die Globalisierung schwindet zunehmend die Souveränität des Nationalstaates. Der Wettbewerbsdruck steigt und Unternehmen drohen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zum Beispiel damit, Produktionsstandorte zu verlagern, wenn diese zu hohe Löhne verlangen. Auch das Politische verlagert sich immer stärker auf supranationale Ebenen wie die Europäische Union. Viele Menschen fühlen sich angesichts dieser rasanten Neuerungen als Spielball unkontrollierbarer Mächte – Globalisierung hat ja nicht nur zur Öffnung der Märkte, sondern auch der Grenzen, Identitäten und Ideen geführt.
F&L: Was macht das mit einer Gesellschaft?
Cornelia Koppetsch: Es unterminiert aus Sicht vieler Menschen die ethnokulturelle Homogenität und die damit verbundenen Ideen von Gleichheit und Fairness. Genau hier knüpft der Rechtspopulismus an, da er gezielt psychische Abwehrmechanismen mobilisiert. Man konstruiert gegen Einwanderung gerichtete Mauern, durch die komplexe gesellschaftliche Veränderungen als eine Invasion von außen statt als globales Produkt verstanden werden. Für viele Menschen sieht es daher so aus, als ob Migrantinnen und Migranten die Ursache für aktuelle Veränderungen seien, obwohl es in Wirklichkeit Verschiebungen im Gesamtsystem sind.
F&L: Wer ist besonders empfänglich für populistische Thesen?
Cornelia Koppetsch: Dazu gehören viele Menschen aus dem produzierenden Gewerbe oder auch traditionelle Milieus, für die noch Werte wie Bescheidenheit, Aufrichtigkeit, Diskretion und Beständigkeit zählen und die über die neuen Spielregeln, wie etwa die Prämierung von Flexibilität und Kommunikation um jeden Preis, irritiert sind. Sie empfinden das im besten Fall als oberflächlich, im schlimmsten Fall sehen sie sich an den Rand gedrängt und in ihrer sozialen Existenz bedroht. Ihnen gegenüber stehen die sogenannten "kosmopolitischen Eliten", moderne, zumeist akademisch gebildete Menschen, die flexibel auf Veränderung reagieren und in kreativen oder wissens- und forschungsbezogenen Berufen arbeiten, die in der globalen Wertschöpfungskette immer wichtiger werden. Während die Kosmopoliten eher von der Einwanderung profitieren, sehen die traditionellen Milieus darin eine Bedrohung. Auch die Folgen der Digitalisierung treffen zuerst einmal diejenigen, die keine kreativen Berufe haben und deren Arbeit auch von "intelligenten" Maschinen übernommen werden kann.
F&L: Die "kosmopolitischen Eliten" – wen verstehen Sie darunter?
Cornelia Koppetsch: Ich verstehe Eliten als die Gruppen, die über besondere gesellschaftliche Gestaltungsmöglichkeiten verfügen. Dazu gehören neben Verwaltungseliten auch Gestalterinnen und Gestalter in den jeweiligen gesellschaftlichen Teilsystemen: zum Beispiel Politiker, Intellektuelle, Journalisten und Schriftsteller; auch Professoren. Sie geben im öffentlichen Leben den Ton an und werden von den Rechtspopulisten spöttisch als "padägogisches Establishment" bezeichnet.
F&L: Auch bei ihnen haben Populisten jedoch zunehmend Erfolg. Wie erklären Sie sich das?
Cornelia Koppetsch: Viele halten sich für die Repräsentantinnen und Repräsentanten der traditionellen Oberschicht, die noch alte Werte hochhält, auf die aber keiner mehr hört. Damit aus dieser Haltung eine Protesthaltung wird, muss allerdings mehr hinzukommen: Eine persönliche Enttäuschung, ein beruflicher Rückschlag, eine Krise, die sie mit allgemeinen gesellschaftlichen Missständen oder Krisen in Verbindung bringen. In den traditionellen Theorien zum Rechtspopulismus kommt diese Gruppe allerdings noch nicht vor. Man hat geglaubt, dass akademisch gebildete Menschen den Rechtspopulisten nicht angehören dürfen.
F&L: Sie haben sich wiederholt kritisch über das Verhalten der aktuellen Eliten geäußert – der sie selbst angehören. Was machen diese Ihrer Meinung nach falsch?
Cornelia Koppetsch: Einige scheinen zu glauben, dass sie unangepasst und kritisch wären. Das stimmt aber nur bedingt. Zum einen verpflichten sie sich auch als Wissenschaftler der "Treue zur Verfassung". Zum anderen sprechen zwar viele von Integration, Inklusion und Weltoffenheit. Doch sind die meisten von ihnen genau die, die in den guten Stadtteilen wohnen, vielleicht sogar Hauseigentum besitzen und ihre Kinder in Kindergärten und Schulen mit den besten Bildungschancen schicken. In ihrem direkten Umfeld gibt es also zum Beispiel kein "Ausländerproblem". Man kann leicht über etwas reden, wenn einen das Problem nicht betrifft.
F&L: Machen Sie es besser?
Cornelia Koppetsch: In meiner Arbeit als Sozialwissenschaftlerin untersuche ich nicht nur, welche gesellschaftlichen Konfliktstrukturen es gibt, sondern stelle auch die Frage, welche Rolle wir, die Vertreter des "Establishments", darin spielen. Dafür lasse ich beide Seiten zu Wort kommen und schreibe nicht einfach nur über "die Populisten". Ich mache mir klar, dass sowohl der liberale Diskurs und das kosmopolitische Weltbild, dem ich mich zurechne, als auch der Rechtspopulismus, zu dem ich forsche, unterschiedliche Gesellschaftsbilder und unterschiedliche Wahrheiten beinhalten, deren soziale Ursprünge man untersuchen muss.
F&L: Tauschen Sie sich denn auch mit Rechtspopulisten aus?
Cornelia Koppetsch: Ja, zumeist mit Populisten aus der Akademiker-Gruppe. Ich war zum Beispiel auch bei Treffen dabei, in denen sich Menschen für eine Mitgliedschaft bei der AfD beworben haben und habe mir angehört, was sie gesellschaftlich stört. Der Austausch bricht aber immer da ab, wo es um die Thematik "Die Deutschen sind im Vergleich zu anderen Völkern höherwertig" und "Frauen und Männer sind nicht gleichartig" geht. Da ist dann zumeist der Punkt erreicht, an dem ich mich aufrege.
F&L: Was sollte politisch getan werden, um eine weitere Spaltung der Gesellschaft zu verhindern?
Cornelia Koppetsch: Man kann, wie es ja auch teilweise von der Politik – etwa in Berlin – gegenwärtig getan wird, die Investoren zurückdrängen, der Stadt und ihren Mietern ein Vorkaufsrecht sichern und den sozialen Wohnungsbau fördern, damit Mieten wieder für alle erschwinglich werden. Damit würden die soziale Durchmischung und die Integration neuen Auftrieb erfahren. Und man könnte Schulen stärker durchmischen und Eltern etwa verpflichten, ihre Kinder an moderat gemischte Schulen, mit einem kleinen Migrantenanteil, zu schicken. Dagegen bringt es nichts, an den Verstand zu appellieren oder darauf zu hoffen, dass die gebildeten Eltern ihre Kinder freiwillig an Schulen mit Migranten-Anteil schicken. Es ist ja legitim, das Beste für die eigenen Kinder zu wollen und daher eher eine Schule mit sehr guten Bildungschancen zu wählen.
F&L: Zwang dürfte allerdings zu zusätzlichem Ärger in der Gesellschaft führen….
Cornelia Koppetsch: Das muss man natürlich anders verpacken, in dem man sich auf die Toleranz der kosmopolitischen Menschen bezieht und sie auffordert, ihren Worten Taten folgen zu lassen. Erreichen muss man dabei ja "nur" die Eltern mit Gymnasial-Kindern.
F&L: Brauchen wir "Eliten" denn nicht auch, um die Gesellschaft voranzubringen, als eine Art Richtungsweiser?
Cornelia Koppetsch: Eliten bringen wichtige Leistungen für die Gesellschaft. Verwaltungseliten zum Beispiel halten Institutionen zusammen und stehen diesen vor. Die wissenschaftliche Elite befördert Erkenntnisse zutage, die zur Weiterentwicklung einer Gesellschaft beitragen. Populisten bestreiten ja auch nicht ernsthaft, dass es eine Elite, also eine herrschende Gruppe, geben soll, sie wollen nur jemand anderen, also ihre eigene Partei, an der Spitze sehen.
F&L: Populismus wird tendenziell mit rechten Einstellungen in Verbindung gebracht. Doch gibt es natürlich auch den linken Populismus. Welche Tendenz wird sich Ihrer Meinung nach künftig stärker ausbreiten?
Cornelia Koppetsch: Der Rechtspopulismus, weil den Linkspopulisten ihre zentrale These wegbricht. Sie haben sich immer auf die Kapitalismuskritik konzentriert. Aber die globalen Wirtschaftskreisläufe sind mittlerweile so komplex, dass sie nicht mehr greifbar sind. Außerdem sind Kapitalisten mittlerweile überall. Jeder Start-Up-Unternehmer, jeder Aktionär ist ja in gewisser Weise auch Kapitalist. Die Rechten haben den Vorteil, dass sie konkrete Dinge thematisieren, wie etwa die vorgebliche Wegnahme von Jobs durch Einwanderer. Sie setzen auf Abschottung, um die eigene Nation zu stärken. Darunter kann sich jeder etwas vorstellen. Migranten sind sichtbar, das Geld auf den Banken nicht.
Aus Forschung & Lehre 6/18
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