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Prof. Dr. Volker Kronenberg
Niemand hat ein Interesse am Scheitern der Regierung

Die SPD-Mitglieder haben sich für die Große Koalition entschieden. Politikwissenschaftler Kronenberg rechnet mit einer effektiven Regierungsführung.

Von Katrin Schmermund 04.03.2018

Forschung & Lehre: Die Mitglieder der SPD haben sich für eine Neuauflage der Großen Koalition ausgesprochen. Dem Entscheid ist die bisher längste Zeit einer Regierungsbildung vorangegangen – wie wahrscheinlich ist da eine funktionierende Regierung?

Volker Kronenberg: Es war tatsächlich ein sehr quälender und nervenaufreibender Prozess der Regierungsbildung. Ich gehe aber davon aus, dass die SPD diese neue Koalition mit einer Mischung aus Erfahrung und neuen Kräften mit Leben füllen wird. Wie immer wird es beim Regierungshandeln auf mehr als das bloße Abarbeiten eines Koalitionsvertrages ankommen. Regieren bedeutet, auf situative Herausforderungen eingehen und Krisen erfolgreich bewältigen zu können. Dies erfordert Vertrauen unter den handelnden Akteuren und Erfahrung. Diejenigen, die jetzt in der SPD das Sagen haben, kennen sich untereinander gut und haben in vielen Fällen auch die entsprechende Regierungserfahrung. Es ist davon auszugehen, dass es zu einem effizienten Regierungshandeln ohne große Verwerfungen kommen wird. Keiner der beteiligten Akteure, einschließlich der SPD-Akteure, die wochenlang dafür gekämpft haben, dass es zu einer Koalitionsbildung kommt, haben ein Interesse an einem schnellen Ende der Koalitionsregierung. Vielmehr setzt die SPD darauf, dass sie parallel zum Regierungshandeln einen innerparteilichen Erneuerungs- und Integrationsprozess umsetzen kann.

F&L: Sie sprechen von der Bedeutung, die Erfahrung für ein erfolgreiches Regieren habe. In den vergangenen Tagen ist viel darüber diskutiert worden, ob die nordrhein-westfälische Abgeordnete und gelernte Hotelkauffrau Anja Karliczek die notwendigen Kompetenzen für das Amt der Bundesministerin für Bildung und Forschung mitbringt. Was meinen Sie?

Volker Kronenberg: Dass Politikerinnen oder Politiker über einschlägige Erfahrung verfügen, ist eher die Ausnahme als die Regel. Als Minister muss man nicht Experte auf dem jeweiligen Gebiet sein, um erfolgreich zu agieren. Sondern man muss das politische Handwerk beherrschen und große Bürokratien beziehungsweise Ministerien leiten können. Als Parlamentarische Geschäftsführerin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion verfügt Frau Karliczek ohne Zweifel über die notwendige politische Erfahrung.

Die Regierungsbildung zwischen Union und SPD

Wie haben die SPD-Mitglieder abgestimmt?
Rund 66 Prozent der SPD-Parteibasis waren für und 34 Prozent gegen eine Neuauflage der Großen Koalition. Insgesamt haben 363.494 von 463.722 Wahlberechtigten ihre Stimme wirksam abgegeben. Die Beteiligung lag damit bei gut 78 Prozent. 2013 hatte es bei dem ersten Koalitionsvotum der Mitglieder eine Zustimmung von rund 75 Prozent zur großen Koalition mit der Union gegeben.
Was sind die nächsten Schritte?
Der SPD-Entscheid macht den Weg frei für eine Neuauflage einer Großen Koalition aus Union und SPD. Voraussichtlich am 14. März, in der nächsten regulären Sitzungswoche des Bundestags, könnte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gemäß Artikel 63 des Grundgesetzes Angela Merkel als Kandidatin für die Kanzlerwahl vorschlagen. Für die absolute Mehrheit benötigt Merkel 355 Stimmen – angesichts der großen Mehrheit von Union und SPD, die über 399 der 709 Sitze im Parlament verfügen, dürfte ihre Wahl laut Medienberichten als sicher gelten.

Nach ihrer Wahl muss Merkel Steinmeier formal ihr Kabinett vorschlagen. Die CDU hat ihre Minister schon benannt, die CSU will dies bei einem "Ja" der SPD-Mitglieder am Montag tun, wie die "FAZ" berichtete. Wer die SPD-Ministerposten im Kabinett übernehmen soll, will die SPD erst nach dem 12. März bekanntgeben werden, wenn die Parteigremien der Sozialdemokraten zusammenkommen. Mitte März könnte Deutschland dann eine neue Regierung haben – nach der längsten Regierungsbildung in der Geschichte der Bundesrepublik.
Welche Ministerkandidaten sind bekannt?
Die CDU hat ihre Kandidaten für die Ministerposten in einer Großen Koalition Ende Februar bekanntgegeben. Helge Braun (Kanzleramt), Peter Altmaier (Wirtschaft), Ursula von der Leyen (Verteidigung), Jens Spahn (Gesundheit), Julia Klöckner (Landwirtschaft), Anja Karliczek (Bildung und Forschung), Monika Grütters (Kulturstaatsministerin). Bei der CSU steht fest, das Horst Seehofer das Innenministerium übernehmen wird. Als gesetzt in der SPD gilt bislang Olaf Scholz, der Finanzminister und Vizekanzler werden soll. Insgesamt wird die SPD sechs Ministerien übernehmen: Außen, Arbeit/Soziales, Finanzen, Justiz, Umwelt und Familie.
Was sieht der Koalitionsvertrag für die Wissenschaft vor?
Der Koalitionsvertrag von Union und SPD sieht neue Ausgaben von 46 Milliarden Euro vor. Bis zu elf Milliarden sollen in Bildung und Forschung fließen. 3,5 Milliarden Euro sind für den Bereich Digitalisierung vorgesehen. Mit einer Milliarde Euro soll die Förderung von Studierenden durch BAföG ausgebaut werden. Union und SPD wollen einen Nationalen Bildungsrat nach dem Vorbild des Wissenschaftsrates einrichten, die Fachhochschulen stärken und eine nationale Open-Access-Strategie entwickeln. Auch soll der Pakt für Forschung und Innovation (PFI) ab dem Jahr 2021 mit einem jährlichen Aufwuchs von mindestens drei Prozent auf Basis der Bund-Länder-Schlüssel fortgeführt werden.

F&L: Mit ihrem Votum konnten die SPD-Mitglieder indirekt die gesamte wahlberechtigte Bevölkerung überstimmen und das, obwohl die Entscheidung einiger Parteimitglieder nicht zuletzt auch eine Kritik gegen das Posten-Geschacher der SPD gewesen sein wird. Wie beurteilen Sie aus politikwissenschaftlicher Sicht den Einfluss solcher Abstimmungen?

Volker Kronenberg: Ich halte ihn im Hinblick auf die Regierungsbildung insofern für problematisch, als dass die Abgeordneten des Bundestages gemäß Artikel 38 Grundgesetz, frei von Aufträgen und Weisungen, die zentralen Akteure bei der Kanzlerwahl und damit bei der Regierungsbildung sind. Durch die Mitgliederbefragung wird nun ein Junktim zwischen Entscheid und Stimmverhalten der Mitglieder der Bundestagsfraktion hergestellt. Zum SPD-Mitgliederentscheid kam es, weil die Parteispitze nicht über genügend Autorität verfügte, um entsprechende Beschlüsse über das Präsidium, den Vorstand oder den Parteitag herbeizuführen.

F&L: Was hätte ein "Nein" der SPD-Mitglieder für die Zukunft der Partei bedeutet?

Volker Kronenberg: Bei einem "Nein" hätte viel mehr auf dem Spiel gestanden als nur die Absage der SPD an eine Regierungsbeteiligung. Die SPD hätte vor einer existenziellen Krise gestanden. Die Partei wäre damit konfrontiert gewesen, dass ein Riss durch sie gegangen wäre – und das von der Spitze bis zur Basis. Ganz abgesehen von einer fehlenden Strategie hätte die SPD das Zepter gar nicht in der Hand gehabt, sondern der Bundespräsident und die Unionsparteien. Die Partei hätte außerdem führungslos dagestanden, weil die Führungskräfte, die für ein "Ja" gekämpft haben, nicht mehr die Unterstützung der Mehrheit ihrer Parteimitglieder gehabt hätten.

F&L: Welche Folgen hätte ein Scheitern gehabt, nicht nur für die Parteienlandschaft, sondern auch für die gesellschaftliche Stimmung im Land?

Volker Kronenberg: Es hätte mit Blick auf den Vertrauensverlust der Bevölkerung dramatische Konsequenzen gehabt. Parteien, die von sich selbst behaupten, Volksparteien zu sein, waren hier nicht in der Lage, staatspolitische Verantwortung zu tragen und – wenn es nicht anders geht – jederzeit bereit zu sein, in eine Koalition zu gehen. Das gilt auch für Die Grünen und die FDP. Dabei hatte es in den zunächst geführten Sondierungsgesprächen für eine Jamaika-Koalition sachpolitisch keine unüberwindbaren Hindernisse gegeben. Das Scheitern der Jamaika-Verhandlungen, obwohl sich die Parteien in den vergangenen Jahren in wesentlichen Politikfeldern immer weiter angenähert haben, und die daran anschließenden vor allem personellen Schwierigkeiten in der Koalitionsfindung von Union und SPD, stärken ungewollt die Parteien, die ohnehin populistisch gegen das etablierte Parteiensystem vorgehen.

F&L: Sie gehen optimistisch davon aus, dass die Koalition nun effektiv geführt wird. Doch was bleibt vom Ärger der Bevölkerung über die zähen Fortschritte der vergangenen Monate?

Volker Kronenberg: Man muss sich bei der Beobachtung und der Analyse von Politik immer von Momentaufnahmen lösen. Politik ist schnelllebig und die Erinnerung an den quälenden Prozess der vergangenen Monate, der die Gemüter bewegt und auch zu großen Irritationen geführt hat, wird sehr schnell verblassen, wenn die politischen Akteure im Regierungsalltag angekommen sind. Denn alle Verantwortungsträger in der Regierung haben ein Interesse daran, dass es sehr schnell zu spürbaren Ergebnissen und Verbesserungen auf verschiedenen Politikfeldern kommt.