Professor Dr. Ernst Schmachtenberg
privat

Interview mit Prof. Dr. Ernst Schmachtenberg
Warum die RWTH Aachen auf gemeinsame Berufungen setzt

Werden Wissenschaftler parallel auf eine Professur an Hochschule und Forschungsinstitut berufen, stärkt das die Zusammenarbeit. Profitieren beide?

Von Vera Müller 08.06.2018

Forschung & Lehre: Warum sind gemeinsame Berufungen für die RWTH Aachen interessant?

Ernst Schmachtenberg: Unser Ziel ist es, uns stark in Richtung einer Forschungsuniversität zu entwickeln. Dazu braucht es mehr Personal, mehr wissenschaftliche Ausstattung, als man standardgemäß von der Landesregierung bekommt. Also müssen wir uns Kooperationspartner suchen, die uns dabei unterstützen. Und hier bieten sich die außeruniversitären Forschungseinrichtungen (AUF) an. Die grundlegende Frage lautet, wie man eine gemeinsame Führungsstruktur – wir nennen das heute Governance – entwickeln kann. Es soll ja nicht nur bei einem freundlichen Kaffeetrinken mit den außeruniversitären Partnern bleiben, sondern es soll zu einer gemeinsamen Zielsetzung und Bearbeitung der Ziele kommen. Die Gemeinsame Berufung ist da natürlich das ideale Bindeglied.

F&L: Ist die Gemeinsame Berufung ein Modell, das in Zukunft noch weiter ausgebaut wird?

Ernst Schmachtenberg: Das hängt von der Frage ab, inwieweit die Universitäten selbst in die Lage versetzt werden, sich zu Forschungsuniversitäten zu entwickeln und inwieweit sie dabei auf die Zusammenarbeit mit den außeruniversitären Forschungseinrichtungen angewiesen sind. Das ist ja ein typisch deutsches Problem. Wenn Sie an dem großen Budget des Bundes im Bereich Forschung als Universität partizipieren wollen, geht das heute besonders durch die Kooperation mit den außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Um es umgekehrt zu sagen: Die Engländer haben kein Helmholtz und kein Max Planck, die geben ihr Geld gleich in die Universität. Die außeruniversitären Forschungseinrichtungen haben eine stärker programmatische Ausrichtung und können damit langfristigen Zielen der Politik besser dienen. Die Universitäten haben den privilegierten Zugang zum wissenschaftlichen Nachwuchs und können ihn besser fördern. Es ist letztendlich eine politische Entscheidung, inwieweit der Bund die Mittel in die außeruniversitären Einrichtungen gibt und damit programmatisch forscht oder in die Universitäten investiert und damit wissenschaftlichen Nachwuchs fördert.

F&L: Sie sprechen hier bereits die Vorteile der Gemeinsamen Berufung für die außeruniversitären Einrichtungen an…

Ernst Schmachtenberg: Da gibt es eine ganze Reihe. Auf jeden Fall geht es hierbei immer um den Zugang zum wissenschaftlichen Nachwuchs. Aber auch die gemeinsame Promotion sticht dabei heraus – wie generell das Promotionsrecht für die an die außeruniversitären Einrichtungen berufenen Professorinnen und Professoren ein wesentliches Element ist. Auch durch die synergetische Verbindung profitieren die außeruniversitären Forschungseinrichtungen natürlich von wissenschaftlichen Kenntnissen, Ausstattung und Einrichtungen der Universitäten.

F&L: Wie kommt es zu einer Gemeinsamen Berufung? Wie funktioniert das Berufungsverfahren?

Ernst Schmachtenberg: Es gibt verschiedene Modelle für eine Gemeinsame Berufung. Nehmen wir mal das Beurlaubungs-/Jülicher Modell, das ist das klassische einer Berufung mit der Helmholtz-Gemeinschaft. Helmholtz markiert einen Bedarf für die Leitung ihrer wissenschaftlichen Einrichtung und fragt dann bei den Universitäten an, ob sie kooperieren wollen. Im Falle einer Kooperation werden gemeinsame Berufungskommissionen gebildet und gemäß den Regeln der Universität wird die geeignetste Person an die Universität berufen und danach unmittelbar beurlaubt. Sie geht an die Forschungseinrichtung, bleibt aber der Universität mit einem geringen Lehrdeputat verbunden. Das ist die weitestgehende Form der Berufung eines Kollegen an die AUF, das heißt, die Mitwirkung an der Universität beschränkt sich auf das Lehrdeputat von zwei Semesterwochenstunden oder ggf. gemeinsame Promotionen. Eine andere, ganz typische Variante ist das sogenannte Nebentätigkeits-/Karlsruher Modell, mit dem wir seit vielen Jahren mit Fraunhofer kooperieren. Hier wird ein Kollege an die Universität in einem ganz normalen Verfahren berufen und die Leitung eines Fraunhofer-Instituts wird ihm in Nebentätigkeit übertragen. Die Schwerpunkte der Tätigkeit können sehr verschieden sein, von null Prozent an der Universität bis 100 Prozent an der Universität und umgekehrt. Und schließlich gibt es noch das Berliner Modell, bei dem der Berufene an der Uni verbeamtet ist, dann aber mit einem Teil seiner Arbeitszeit an die AUF "ausgeliehen" wird.

F&L: Wie funktioniert im Bewerbungsverfahren die Arbeit der Berufungskommision(en)? Wer hat in den Berufungsverhandlungen den "Hut auf"?

Ernst Schmachtenberg: Typischerweise sind es zwei verschiedene Verhandlungsrunden. Der Kandidat verhandelt einerseits mit der Universität und andererseits mit der AUF. Er verhandelt dann auch zwei Pakete, was Ausstattung, Arbeitsbedingungen oder das Gehalt angeht. Das hängt natürlich sehr von der jeweiligen Form der Professur ab. Bei dem dritten Grundmodell, dem Erstattungs-/Berliner Modell, bleibt der Kandidat immer Beamter der Hochschule. Die Forschungseinrichtung erstattet der Hochschule die Bezüge zuzüglich eines Versorgungszuschlags. Hier können dann Arbeitszeitmodelle wie zum Beispiel 50:50 entstehen. Im Jülicher Modell dagegen wandert der Kandidat vollständig auf die außeruniversitäre Seite. Hier macht die Universität im Grunde überhaupt keine Aussagen zu Gehalt und Ausstattung. Das Jülicher Modell ist das älteste und ursprünglichste Modell und es ist entstanden, weil das Forschungszentrum Jülich mit der RWTH Aachen viele Berufungen gemeinsam durchführt. Interessanterweise ist es heute auch mit Jülich oft nicht mehr das Jülicher Modell. Die JARA-Professoren (Jülich-Aachen-Research-Alliance) werden nach Berliner Modell berufen. Bei der Überlegung, welches Modell in Frage kommt, lauten wichtige Fragen: Wo wird das Hauptarbeitsfeld liegen? In welchem Maß sollen Führungsaufgaben an die betreffende Person übertragen werden? Beim Berliner Modell ist es zum Beispiel eine geteilte Professur. Wenn Sie in diesem Modell als Professor berufen wurden, haben Sie die Zeichnungsberechtigung, das heißt, Sie dürfen Forschungsprojekte in eigener Verantwortung abwickeln, Sie können Anträge schreiben, Sie haben auch in der Universität üblicherweise Ihre Kostenstelle, aus der Sie Gelder abwickeln und Mitarbeiter einstellen können. Das Gleiche gilt ja für die AucF. Wenn Sie nach dem Berliner Modell berufen wurden, haben Sie in beiden Fällen Prokura-Berechtigung.

"Bei Max Planck geht es ausschließlich um die wissenschaftliche Leistung." Prof. Dr. Ernst Schmachtenberg

F&L: Da gibt es doch sicher teils unterschiedliche Erwartungen an die Bewerber?

Ernst Schmachtenberg: Ja, Fraunhofer hat sehr oft hohe Erwartungen an die Führungskompetenz und Kommunikationsfähigkeit mit der Industrie. Bei Max Planck geht es ausschließlich um die wissenschaftliche Leistung. Es handelt sich um unterschiedliche Profile, und die Universitäten und die Forschungseinrichtungen haben – das höre ich oft – unterschiedliche Einschätzungen. Ein spannender Prozess, der nicht immer zum richtigen Ergebnis kommt – und dann funktioniert eine Berufung auch nicht. In den meisten Institutionen gelingt sie aber, und gelingen kann sie nur, wenn beide Seiten einverstanden sind.

F&L: Gibt es einen Einigungsmechanismus? Ist das im Kooperationsvertrag transparent geregelt?

Ernst Schmachtenberg: Natürlich kann ein Berufungsverfahren platzen und natürlich verfolgen die Hochschulen und AUFs auch unterschiedliche Ziele. Doch letztendlich geht es bei einer Berufung immer darum, herausragende Wissenschaftler und Persönlichkeiten zu berufen. Und es ist dann doch so, dass sich die AUFs und die RWTH Aachen im Bewerbungsverfahren relativ schnell auf einen Kandidaten einigen können. Das Sympathische ist, dass dieses gemeinsame Ziel hinterher bei der Berufung in einer Person konzentriert wird. Dadurch entsteht die Erwartung der Hochschule und der Forschungseinrichtung, dass diese Person nun das Arbeitsgebiet gestaltend in die Hand nimmt und zum Nutzen beider entwickelt. Das passiert auch meistens. Natürlich kann es auch vorkommen, dass man sich nicht auf eine Person einigen kann. Hier greifen dann – in der Regel vertraglich festgelegt – Ausstiegsszenarien.

F&L: Kommen wir zum Thema Geld. Wie hat man sich die Gehaltsverhandlungen vorzustellen?

Ernst Schmachtenberg: Hinter der Frage, wer das Gehalt und die weiteren Leistungen zahlt, steht die grundsätzliche Frage der Gewinnbarkeit. Wie viel Geld hat der Bewerber in seiner bisherigen Einrichtung erhalten? Würde er wechseln, was ist seine Gehaltserwartung? Und dann muss man natürlich auch wieder gemeinsam schauen, die AUF und die Universität. Können und wollen wir das zusammen stemmen? Das ist also auch ein Handel. Genauso ist es mit der Ausstattung. Das ist der finanziell eigentlich viel wichtigere Teil: Wie viel Labor wird bereitgestellt? Welches Folgepersonal wird zugeordnet? Welche Erwartungen in Richtung Lehre und Drittmittelforschung werden an dieses Paket geknüpft? Bei diesen Berufungen werden – wie bei anderen Berufungen auch – Zielvereinbarungen getroffen.

F&L: Außeruniversitäre Forschungseinrichtungen folgen einem vorgegebenen Forschungsauftrag. An einer Universität gilt grundsätzlich die Freiheit von Forschung und Lehre. Wie frei ist der gemeinsam Berufene in seiner Forschung?

Ernst Schmachtenberg: Auch in den außeruniversitären Einrichtungen gilt das Prinzip der Freiheit der Forschung, zumindest eingeschränkt. In dem eigentlichen Forschungsprozess sind auch Wissenschaftler an den AUF unabhängig, sonst ist es keine Forschung, das muss man sehr klar sagen. Aber natürlich: Die Frage, was muss ich als nächstes tun, wofür bekomme ich meine Ausstattung, da ist man an der Universität sehr viel freier als an einer Forschungseinrichtung, wo man ja auch in einer bestimmten Programmatik evaluiert und erwartet wird, dass Sie in einem bestimmten Feld Experte sind und sich auch weiterentwickeln wollen.

F&L: Besetzen diese gemeinsam Berufenen in ihrer Lehre hochspezialisierte Themen (für Master und Doktoranden) oder übernehmen sie auch grundständige Lehre?

Ernst Schmachtenberg: Das sind interessante Aspekte, die auch für die verschiedenen Modelle eine Rolle spielen. Jemand, der an die Hochschule berufen wird, hat üblicherweise ein Lehrdeputat von neun Stunden. Jemand, der nach dem Jülicher Modell berufen wird, das ist das Modell mit dem kleinsten Deputat, ist mit zwei Stunden dabei. Wenn Sie nach dem Berliner Modell eine 50:50 Professur einrichten, dann sind es fünf Stunden Lehrdeputat. Hier ist die Frage wichtig, welchen Bedarf die Hochschule hat. Wenn das also ein wichtigeres Thema ist, das umfangreicher vertreten werden muss, dann würden wir auf mehr Deputat drängen. Wenn es sich jedoch um ein hoch spezialisiertes Gebiet handelt, bei dem wir uns freuen, dass jemand in einem Vertiefungsstudium etwas beiträgt, aber eigentlich ist das – salopp gesprochen – im Grundstudium nicht gut unterzubringen, dann ist das Jülicher Modell wieder besser.

F&L: Sind die gemeinsam Berufenen zum Beipsiel im Jülicher Modell über ihre Lehrverpflichtung hinaus noch in die Universität integriert?

Ernst Schmachtenberg: Das ist ein schwieriger Punkt. Wir unterliegen auf beiden Seiten Rechtsnormen. So darf jemand, der nach dem Jülicher Modell berufen wird, gar nicht mehr als zwei Stunden Lehrtätigkeit absolvieren, sonst würde er auf der Bundesseite mit dem Bundesrechnungshof Probleme bekommen. Wichtig sind die zwei Stunden Lehrtätigkeit, er ist eingebunden als Mitglied der Fakultät, d.h. er hat das Recht, an den Fakultätssitzungen teilzunehmen. Er ist typischerweise nicht so integriert in die Selbstverwaltung, wie das die eigenen Professoren sind. So hat er nicht die Berechtigung, sich zum Dekan, Prodekan für Lehre oder Prorektor wählen zu lassen. Das ändert sich dann sofort wieder im Berliner Modell. Hier sind Sie auch an der Hochschule hauptamtlich bestellt und nicht beurlaubt und damit aktiv wählbar.

"Nach meiner Auffassung sind die Rechte am Geistigen Eigentum dort zuzuordnen, wo sie entstanden sind." Prof. Dr. Ernst Schmachtenberg

F&L: Ist das den Bewerberinnen und Bewerbern immer klar, welches Modell auch für sie das bessere ist? Wer überlegt, wen stellen wir in welchem Modell ein?

Ernst Schmachtenberg: Der Bewerber findet eine entsprechende Situation vor. Im Rahmen eines bestimmten Forschungs- und Lehrkonzeptes gibt es bestimmte Vakanzen und dann überlegen wir, wie man die füllen kann und was das Profil ist.

F&L: Stichworte Geistiges Eigentum (Intellectual property)? Wer hat die Rechte an Forschungsergebnissen, werden beide Einrichtungen bei Publikationen genannt?

Ernst Schmachtenberg: Eine sehr umstrittene Frage! Nach meiner Auffassung sind die IP-Rechte dort zuzuordnen, wo sie entstanden sind. Also je nach Art des zu Grunde liegenden Modells und der vereinbarten Anteile an Arbeitszeit, also etwa beim Jülicher Modell vollständig bei der AUF, beim Berliner Modell entsprechend anteilig, beim Karlsruher Modell vorrangig bei der Universität.

F&L: Im Jülicher Modell gehört die Publikation also der außeruniversitären Forschungseinrichtung…

Ernst Schmachtenberg: Ja, das ist meine Auffassung, die allerdings nicht einhellig geteilt wird. Mein Eindruck ist, dass etwa die Mehrzahl der Uni-Rektoren in der HRK das anders sieht. Aber wenn jemand beurlaubt ist und dann arbeitsrechtlich der außeruniversitären Forschungseinrichtung zugeordnet ist, kann ich nicht erkennen, wie ein Rechtsanspruch der Hochschule entsteht.

F&L: Handelt es sich da nicht um einen erheblichen Schönheitsfehler des Jülicher Modells? Was macht es für die Hochschule trotzdem attraktiv?

Ernst Schmachtenberg: Hier muss man die gesamte Bandbreite sehen. Im Jülicher Modell kann die Hochschule an einem Forschungsgebiet partizipieren, zu dem sie null Euro beiträgt. Alle Kosten (Ausstattung, Labors) liegen hier auf der außeruniversitären Seite.

F&L: Publikationen und intellectual property: ein heikles Thema?

Ernst Schmachtenberg: Nein, überhaupt nicht. Wir als Hochschulen sind immer mehr in den Stand versetzt worden, überhaupt intellectual property zu erkennen und zu verwerten. Vor 20 Jahren gab es das Hochschullehrerprivileg, das kein Privileg war. Die wissenschaftlichen Entdeckungen gehörten ganz einfach dem Professor, der aber zumeist mangels Kenntnis und Mittel nicht in der Lage war, das IP zu vermarkten. Heute gilt das Arbeitnehmererfindungsgesetz, und darüber regelt sich das auch sehr klar: Die Institution, an der ich angestellt bin, muss sich darum kümmern, mein IP zu vermarkten. Das ist eine Pflicht. In dem Moment, wo es vermarktet wird und Erträge erwirtschaftet werden, ist der Erfinder zu beteiligen. Die Situation ist also wesentlich komfortabler geworden für unsere Professoren. Entscheidend ist, dass wir das Recht sichern, also letztlich Patente anmelden. Das kostet relativ viel Geld. Es geht darum, sowohl für die Einrichtung als auch für die Professoren Werte zu sichern, die durch die Forschungsarbeit entstehen.

F&L: Ich meinte insofern heikel, als dass heutzutage gerade die Zahl der Publikationen eine große – zu große – Bedeutung hat…

Ernst Schmachtenberg: Diese Diskussion läuft gerade in der Hochschulrektorenkonferenz. Nach dem Motto: Die sind doch bei uns berufen und dann beurlaubt, und dann gehört uns nicht das, was die schreiben? Das ist m.E. zu einfach gedacht. Der Institution, die letztlich die Gehälter und die Ausstattung zahlt, gehören die Rechte an dieser Publikation. Im Berliner Modell würde ein Patent in der Verwertung gemeinsam von der RWTH Aachen und dem Forschungszentrum Jülich verfolgt.

F&L: Wird das in den Kooperationsvereinbarungen konkret festgehalten?

Ernst Schmachtenberg: Wir haben allein für die Publikationsrichtlinien mit Jülich eine eigene Vereinbarung. Es gibt den Kooperationsvertrag und darüber hinaus viele zusätzliche Vereinbarungen. Wir betreiben mit dem Forschungszentrum Jülich auch zusammen eine Patentverwertung.