Außenansicht eines nachhaltigen Universitätsgebäudes des "Wageningen Univeristy and Research Campus" in den Niederlanden.
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Klimaschutz
Hochschulen "müssen Orte der Nachhaltigkeit sein"

Welche Rolle spielen Hochschulen für die nachhaltige Entwicklung? Ein Gespräch mit Professor Peter-André Alt über Bestrebungen von Unis weltweit.

Von Charlotte Pardey 05.06.2021

Beim Global University Leaders Council Hamburg (GUC) diskutierten in den vergangenen Tagen 45 Hochschulleitungen aus 27 Ländern digital über den Klimawandel und Nachhaltigkeit. Im Vordergrund stand dabei die Frage nach der Rolle der Hochschulen bei der Bewältigung dieser zentralen Herausforderungen unserer Zeit. Zum Abschluss des Councils veröffentlichten die Hochschulleitungen ein vierseitiges Papier, die "Hamburg Declaration". Forschung & Lehre hat mit Professor Peter-André Alt, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und Mitorganisator des Councils, über dessen Ergebnisse gesprochen.

Forschung & Lehre: Zu welcher Einsicht ist das Global University Leaders Council Hamburg hinsichtlich der Rolle der Universitäten und Hochschulen beim Thema nachhaltiger Entwicklung gekommen?

Peter-André Alt: Es war breiter Konsens, dass das Thema auf mehreren Ebenen behandelt werden muss und dass das auch in vielen Hochschulen schon der Fall ist. Zum einen gehört Nachhaltigkeit zu Studium und Lehre, nicht nur in naturwissenschaftlichen Fächern, sondern als ein Querschnittsthema, das in diversen Disziplinen vorkommt – auch beispielsweise aus einer historischen Sicht in den Literaturwissenschaften oder in der Philosophie unter dem Stichwort Naturethik. Zweitens ist es natürlich ein Forschungsthema. Dass die Hochschulen als Zentren der Forschung eine besondere Rolle spielen, versteht sich von selbst. Drittens betrifft Nachhaltigkeit auch das Handeln der Hochschulen. Hochschulen müssen selbst Beiträge zur Reduktion des Energieverbrauchs leisten. Sie brauchen nachhaltige Gebäude und ein grünes Energiemanagement auf dem Campus. Hochschulgelände müssen Orte der Nachhaltigkeit sein.

F&L: Sollten Hochschulen und Universitäten beim Thema Nachhaltigkeit auf den politischen Entscheidungsprozess Einfluss nehmen?

Peter-André Alt: Das ist eine Forderung unserer gemeinsamen Erklärung, ja. Hochschulen müssen im politischen Raum als Ratgeber und Treiber des Prozesses hin zu mehr Nachhaltigkeit auftreten und auf die politischen Verantwortungsträger einwirken. Das ist natürlich etwas, das unser gemeinsames Papier mit Rücksicht auf die sehr unterschiedlichen politischen Lagen in den einzelnen Ländern reflektiert. In den Diskussionen der letzten Tage habe ich noch einmal deutlich gemerkt, dass in Deutschland ein sehr starkes Bewusstsein für das Thema Nachhaltigkeit existiert. Kolleginnen und Kollegen aus Brasilien oder Australien haben in den Diskussionen beklagt, dass ihre Regierungen wenig Sensibilität zeigen würden.

Porträtfoto von Professor Peter-André Alt, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz.
Professor Peter-André Alt ist Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, die das Global University Leaders Council Hamburg (GUC) gemeinsam mit der Körber-Stiftung und der Universität Hamburg organisiert hat. picture alliance / Ulrich Baumgarten | Ulrich Baumgarten

F&L: Sollten nachhaltige Veränderungen auf lokaler oder globaler Ebene entschieden werden?

Peter-André Alt: Unserer Ansicht nach müssen Hochschulen zunächst einmal an dem Ort, wo sie sind, dafür sorgen, dass sie als "local player" einen Beitrag leisten. Das heißt, sie müssen sich vernetzen, auch mit ihrem direkten Umgebungssystem, mit Partnern aus der Wirtschaft, mit der Gesellschaft, in der sie verankert sind. Zugleich verlangt das Thema aber auch übergreifende Interaktionen. Ich persönlich bin der Meinung, dass Hochschulen eine weitreichende Bedeutung haben. Sie vernetzen sich untereinander, indem sie beispielsweise Forschungsprojekte zusammen betreiben. Aber hier geht es darum, Erfahrungen und "best practices" auszutauschen und Ziele der Nachhaltigkeit nicht in isolierten Räumen zu verfolgen, sondern im Miteinander. Das schließt ein, dass wir hier von unserem stark kompetitiven Universitäts- und Hochschulsystem Abstand nehmen und mehr Gemeinsamkeit entwickeln müssen. Wir haben im Council beispielsweise die Rolle von Rankings besprochen. Hochschulen sollten sich unter anderem auch an grünen Rankings beteiligen, die es inzwischen beispielsweise vom Times Higher Education Supplement gibt.

F&L: Wie schätzen Sie deutsche Hochschulen im Hinblick auf die Nachhaltigkeit ein?

Peter-André Alt: Durch eine Erhebung der Hochschulrektorenkonferenz von 2020 haben wir einen guten Überblick. Wir waren sehr beeindruckt von der Vielfalt der Konzepte und Initiativen. Viele Hochschulen haben Nachhaltigkeit in ihrem Mission Statement verankert. Sie haben sie als Teil ihrer institutionellen Identität erkannt. Hochschulen haben innovative Konzepte zur Reduktion ihres Energieverbrauchs umgesetzt, Ideenwettbewerbe initiiert und ihre Studierenden einbezogen. Manche Hochschulen haben auch bereits Stabsstellen für nachhaltige Entwicklung etabliert. Meine eigene Universität, die Freie Universität Berlin, hat das beispielsweise 2016 getan, als ich dort Präsident war. Die FU ist da immer noch ein Vorreiter in Deutschland, aber auch an anderen Standorten hat sich viel getan in den letzten Jahren.

F&L: Welche neuen Einblicke konnten Sie durch den internationalen Austausch im GUC erlangen?

Peter-André Alt: Was mich immer wieder fasziniert und beeindruckt, ist, wie Universitäten in Afrika mit viel Elan unter schwierigen Bedingungen großartige Arbeit leisten. Bei der Entwicklung von internationalen Konzepten muss immer mitgedacht werden, dass die Herausforderungen sehr unterschiedliche sind. Die afrikanischen Kolleginnen und Kollegen haben beispielsweise von Wassermanagement als einem ganz großen Thema auf dem Campus berichtet, das in Deutschland momentan ein weniger zentrales Problem ist. Die Maßnahmen vor Ort hängen eng mit den lokalen Herausforderungen zusammen, die wir natürlich gesamtheitlich global mitproduziert haben.

F&L: Ein Thema, das derzeit sicherlich Hochschulpräsidentinnen und Hochschulpräsidenten aller teilnehmenden Länder beschäftigt, ist die Corona-Pandemie. Welchen Einfluss hat sie auf die internationale Hochschullandschaft?

Peter-André Alt: In der heutigen Schlussrunde ging es darum, welche Lektionen wir aus der Pandemiesituation gelernt haben. Ein ganz wichtiger Punkt aus meiner Sicht ist: Wir können digitale Lehre machen, es gehen Aspekte verloren, aber sie funktioniert. Die Zukunft wird hybride Lehre und Forschungspraxis sein, also eine Mischung von Digitalem und Analogem. Das leistet einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung. Natürlich dürfen wir nicht vergessen, dass mit den benötigten Großrechnern auch Energiekosten verbunden sind. Nachhaltigkeit und Digitalisierung sind keine natürlichen Verwandten, das möchte ich betonen. Im Kern ist es aber so, dass eine gute Mischung aus Präsenz- und Distanzbetrieb auch Energiekosten reduzieren hilft. Ich glaube auch, dass wir nicht jede Konferenz in Präsenzform stattfinden lassen müssen - wir können und sollten uns häufiger digital treffen, gerade bei den kleineren Workshops. Wir reduzieren auf diese Weise unsere durch das Fliegen erzeugten CO2-Emissionen deutlich, und daran müssen wir unbedingt festhalten.

F&L: Auch das GUC war eine digitale Konferenz. Wie haben Sie das erlebt?

Peter-André Alt: Es war schade, die persönlichen Kontakte nicht in Präsenz pflegen zu können, aber es lief alles sehr gut, wir haben viel in Kleingruppen gearbeitet, das ist immer sehr intensiv und hilfreich. Es fehlte etwas der Funken, der in der Diskussion da ist, wenn man miteinander spricht, es fand aber trotzdem viel Austausch statt und es war vor allem beeindruckend, dass wir erneut eine Art der "United Nations" der Universitätslandschaft hier in diesem Global University Leaders Meeting und Council waren. Es war beeindruckend, wie viele Länder teilgenommen haben, von Korea über Australien bis zu Südafrika, Italien, Chile, Brasilien, alle waren digital da.

Hochschulleitungen aus aller Welt treffen sich

Das Global University Leaders Council Hamburg (GUC, bis 2019: Hamburg Transnational University Leaders Council) ist eine gemeinsame Initiative der Hochschulrektorenkonferenz, der Körber-Stiftung und der Universität Hamburg. Das Ziel des seit 2015 alle zwei Jahre stattfindenden Councils ist es, Hochschulpräsidentinnen und Hochschulpräsidenten zu einem globalen Dialog zusammenzubringen, um die zentralen Herausforderungen unserer Zeit in Hinblick auf den Hochschulsektor zu diskutieren.

Zu den Möglichkeiten der Hochschulen sich an der Bewältigung der Klimafolgen zu beteiligen, betonte Professor Dieter Lenzen, Präsident der Universität Hamburg, dass unter anderem eine ausreichende und verlässliche öffentliche Finanzierung von Nachhaltigkeitsinitiativen unerlässlich sei. "Hochschulen dürfen nicht im Übermaß von Drittmitteln abhängen, die sich Partikularzielen etwa der Industrie unterordnen", so Lenzen. Tatjana König, Vorständin der Körber-Stiftung, unterstrich, dass Hochschulen "durch ihre zentrale Stellung im öffentlichen Diskurs für die erfolgreiche Bewältigung des globalen Klimawandels unerlässlich und ein Schlüssel für die Suche nach Lösungen" sind.

Neben Klimaschutz und Nachhaltigkeit ging es beim GUC in diesem Jahr auch um den Einfluss der Corona-Pandemie auf den Alltag von Hochschulen und Universitäten in Forschung und Lehre. Die wissenschaftliche Grundlage des GUC war die Studie "Universities facing Climate Change and Sustainability".