Über dem großen, gläsernen Eingang eines Bürogebäudes steht "Max-Planck-Gesellschaft".
mauritius images / Manfred Bail

Antisemitismusvorwürfe
Max-Planck-Gesellschaft trennt sich von Ghassan Hage

Gastwissenschaftler Ghassan Hage muss das Forschungsinstitut verlassen. Ihm werden antisemitische Äußerungen und Publikationen vorgeworfen.

28.02.2024

Anfang Februar hatte sich die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) von dem australischen Gastprofessoren für Ethnologie Ghassan Hage getrennt. Die MPG begründete ihre Entscheidung mit: "Unter den von ihm in jüngerer Zeit über soziale Medien verbreiteten Ansichten sind viele mit den Grundwerten der Max-Planck-Gesellschaft unvereinbar. Die MPG hat sich daher im Einvernehmen mit dem Institut von ihm getrennt." 

Weiter hießt es seitens der MPG: "Forschende missbrauchen Freiheitsrechte, wenn sie mit öffentlich verbreiteten Verlautbarungen die Glaubwürdigkeit von Wissenschaft untergraben und damit das Ansehen und Vertrauen in die sie tragenden Institutionen beschädigen. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit findet seine Grenze in den wechselseitigen Pflichten zur Rücksichtnahme sowie Loyalität im Arbeitsverhältnis."

Vorwurf israelfeindlicher Äußerungen und Glorifizierung von Terror

Zuvor hatten einige Medien der MPG hinsichtlich Ghassan Hage Untätigkeit vorgeworfen. Die Jüdische Allgemeine titelte zu Beginn des Monats mit “Max-Planck-Institut beschäftigt Israel-Hasser". Die "Welt" war dem australischen Wissenschaftler vor "Propaganda der Anti-Israel-Bewegung BDS" zu verbreiten während sich die MPG viele Monate tolerant mit ihm gezeigt habe. Laut "Table.Research" habe Professor Ghassan Hage am 7. Oktober auf seinem Blog ein Gedicht veröffentlicht, dass die Terrororganisation Hamas glorifiziere. Zudem habe er sich vor allem über Soziale Medien israelfeindliche Äußerungen verbreitet und die Israelis als Nazis beschimpft.

In einem Interview mit dem "Tagesspiegel" im Dezember hatte der neue MPG-Chef, Patrick Cramer, zum Thema Nahost-Konflikt gesagt: "Wir haben einen syrischen Direktor, eine libanesische Gruppenleiterin, Dutzende Studierende aus Ägypten und Israel. Sie alle können und dürfen – in einer Demokratie eine Selbstverständlichkeit – das Handeln und die Entscheidungen von Regierungen kritisieren. (…) Aber: Wir dulden keinen Antisemitismus. Denn das sind zwei verschiedene Dinge, deren Vermischung nicht akzeptabel ist. (…) Wenn Israel auf einmal Apartheid, Neokolonialismus oder gar Genozid vorgeworfen wird, muss man sich fragen, ob diejenigen, die diese Begrifflichkeiten nutzen, überhaupt wissen, was diese wirklich bedeuten?" 

Weltweite Wissenschaftscommunity unterstützt Hage

Zahlreiche Wissenschaftlerinnern, Wissenschaftler und Fachgesellschaften aus aller Welt haben sich nun in öffentlichen Briefen an den MPG-Chef Cramer gewandt, um Hage zu "unterstützen" und ihren “Protest gegen die Anschuldigungen gegen ihn" zu äußern. Dazu zählen die Australische Anthropologische Gesellschaft, die Britische Gesellschaft für Nahost-Studien und die Europäische Gesellschaft für Sozialanthropologie. Auch seine Heimathochschule die Universität Melbourne steht zu ihm: Hage sei ein respektierter Kollege und Gelehrter mit internationaler Reputation. Er selbst ist inzwischen nach Australien zurückgekehrt und lehnt es resolut ab, als Antisemit bezeichnet zu werden. 

Auf der Plattform "X" schreibt Hage, die Autoren, von denen er am meisten gelernt habe, seien fast alle Juden gewesen. "Und hier lebe ich nun inmitten der Kulturen, die den Judenhass, das Verbrennen jüdischer Bücher und Geschäfte, das Einsperren von Juden in Konzentrationslager und deren massenhafte Ermordung zu einer makabren Kunstform erhöht haben, und muss mir moralische Vorträge anhören, wie man sich nicht antisemitisch verhält." 

Zudem dokumentiert Hage dort die Briefe seine Unterstützer und Unterstützerinnen. Dazu gehören auch 50 israelisch-jüdische Forschende von Wissenschaftseinrichtungen weltweit. Ihnen sei bekannt, dass Hage Teil der BDS sei und schreiben dem MPG-Chef Cramer: "Obwohl viele von uns nicht einverstanden sind mit den Methoden dieser Bewegung, erkennen wir an, dass sie nicht die Diskriminierung individueller Juden oder Israelis vorgibt, und wir können versichern, dass Hage auch nicht diese Form der Diskriminierung praktiziert." 

MPG wartet noch weiter ab, Hage geht gerichtlich vor 

Die Forschenden schreiben von dem "Privileg des Austausches und der Debatte" mit Hage und "er ist uns immer mit Respekt, Freundlichkeit und einer professionellen Antwort begegnet worden." Weiter schreiben die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner an Cramer: "Inmitten einer Zeit der Polarisierung, des tiefen Misstrauens, nationalistischer Radikalisierung und der Verfolgung kritischer Stimmen appellieren wir an Sie, sich nicht auf das brutale Mundtotmachen kritischer Stimmen einzulassen und die akademischen Werte unvoreingenommener Evaluation und des fairen Umgangs aufrechtzuerhalten". Und auch die Deutsche Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie unterstützt Hage. Laut ihr gäbe es eine "unbedingte Notwendigkeit, Antisemitismus, Rassismus, und Islamophobie in Deutschland und weltweit zu bekämpfen." Dies lasse sich nicht mit der "Überwachung von Wissenschaftler:innen, ihrer wissenschaftlichen Arbeit und ihrer persönlichen Stellungnahmen erreichen".

Seit dem 4. Februar ist eine Petition online, die sich solidarisch mit Hage zeigt mit der Begründung: "Das Engagement von Professor Hage, alle Formen von Rassismus und Herrschaft durch rigorose akademische Forschung zu dekonstruieren, ist lobenswert. Seine wissenschaftliche Arbeit war stets von Integrität geprägt." Sie erhielt inzwischen Stand heute rund 3.500 Unterschriften. 

Doch es gibt nicht nur Unterstützung für Hage. Vor allem in Deutschland gibt es viel Kritik und die Forderung nach weiterer Aufklärung von der MPG: etwa seit wann sie von Hages Äußerungen gewusst habe und warum sie nicht früher eingeschritten sei. Bislang hat die MPG auch auf alle Briefe und Erklärungen zur Unterstützung Hages nicht reagiert. Auf Anfrage des Journalisten Jan-Martin Wiarda sagte eine Sprecherin, Cramer werde erst die Diskussion in den Fächer-Sektionen der Forschungsgesellschaft in der neuen Woche abwarten "und dann entscheiden, wie wir antworten". In der Zwischenzeit hatte Hage angekündigt, gerichtlich gegen die MPG vorgehen zu wollen: "Hier geht es um viel mehr als mich".

Dieser Artikel wurde am 28.2. um 16:15 Uhr aktualisiert. Erstmals veröffentlicht wurde er am 8.2.2024

cva/kfi