Marie-Luise Vollbrecht, Biologie-Doktorandin an der Humboldt-Universität Berlin, hält an der HU einen Vortrag mit dem Titel "Geschlecht ist nicht (Ge)schlecht: Sex, Gender und warum es in der Biologie zwei Geschlechter gibt".
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Nach Kritik an Absage
Biologin holt Geschlechter-Vortrag an der Humboldt-Uni nach

Als die HU Berlin die Präsentation von Marie-Luise Vollbrecht kurzfristig aus dem Programm nahm, war die Aufregung groß. Nun ist die Debatte ruhiger.

15.07.2022

Nach wochenlangem Streit hat die Berliner Biologin Marie-Luise Vollbrecht ihren ursprünglich für Anfang Juli geplanten Geschlechter-Vortrag an der Humboldt-Universität (HU) zu Berlin nachgeholt. Die 32-jährige Doktorandin sprach am Donnerstag etwa eine halbe Stunde, Proteste gab es nicht. Bei einer Podiumsdiskussion versuchte die Uni anschließend, die komplexe Kontroverse aufzuarbeiten. Den Vortrag hatte Vollbrecht zuvor bereits auf Youtube gehalten.

Die Doktorandin sollte die Präsentation zuerst während einer Langen Nacht der Wissenschaften am 2. Juli halten. Nach angekündigten Protesten strich die Uni den Vortrag wegen Sicherheitsbedenken kurzfristig aus dem Programm und erntete dafür heftige Kritik. Universitätspräsident Professor Peter Frensch sagte am Donnerstag, es sei nie Absicht gewesen, den Vortrag zu streichen, sondern nur, ihn zu verlegen.

Vollbrechts zentrale These ist, es gebe beim Menschen nur zwei Geschlechter, die man lebenslang behalte. Einige Naturwissenschaftler argumentieren, diese Sicht sei vereinfachend. Kritiker werfen ihr eine feindselige Haltung gegen Transsexuelle vor, auch wegen früherer Äußerungen.

Shitstorm und Sorge um Wissenschaftsfreiheit

Die Humboldt-Universität wurde für ihr Vorgehen heftig gescholten. Frensch sprach von einem "Shitstorm", der über der Uni losgebrochen sei. Professor Bernhard Kempen, Präsident des Deutschen Hochschulverbands, sagte, die HU habe mit der Absage der Wissenschaftsfreiheit einen Bärendienst erwiesen. Die Hochschule hätte stattdessen "alles daran setzen müssen, dass der Vortrag stattfinden kann." Differenzen seien im argumentativen Streit auszutragen. Auch Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger hatte mehrfach Sorge um die Freiheit der Wissenschaft geäußert.

Bei der Podiumsdiskussion am Donnerstagabend sagte die FDP-Politikerin, eine Hochschule müsse in einem solchen Fall Sicherheitserwägungen treffen. Aber das "bedarf natürlich der Erklärung". Wichtig seien offene Debatten. Sie selbst unterstütze die Linie der Ampel-Koalition und das geplante Selbstbestimmungsgesetz, das das Leben von trans- und intersexuellen Menschen erleichtern soll. Von dieser inhaltlichen Position trenne sie die Frage der Freiheit der Wissenschaft. "Das ist eine gesamtgesellschaftliche Debatte, die wir führen müssen", sagte Stark-Watzinger.

Vollbrecht hatte ihre Teilnahme an der Podiumsdiskussion abgesagt. Als Gründe nannte sie unter anderem, es seien zu viele Personen für das Podium eingeladen und die Zusammensetzung sei unausgewogen. Die Berliner Geschichtsprofessorin Gabriele Metzler kritisierte am Rande der Veranstaltung, dass Vollbrecht auch keine Nachfragen zu ihrem Vortrag aus dem Auditorium beantworten wollte. Es sei unwissenschaftlich, der fachlichen Auseinandersetzung auszuweichen.

dpa/ckr