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Pro & Contra
Braucht es verpflichtende Angaben zur Nachhaltigkeit?

Die DFG will die Nachhaltigkeit von Forschungsprojekten durch Angaben in Projektanträgen stärken. Zwei Meinungen.

Pro

Ja, das ist der richtige Weg, denn um ökologische Nachhaltigkeit in Forschungsprozessen zu erreichen, ist ein Kulturwandel nötig. Ein solcher Wandel wird erzeugt durch veränderte Rahmenbedingungen, die individuelle Verhaltensänderungen bewirken. Mit der verpflichtenden Reflexion setzt die DFG neue Rahmenbedingungen, die Bewusstseinsschärfung und Verhaltensänderung bei vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gleichzeitig befördern. So werden sich Normen im Wissenschaftssystem verändern, so dass ökologische Nachhaltigkeit in der Zukunft ganz selbstverständlich in Forschungsprozessen mitgedacht wird.

Das Wissenschaftssystem ist zur Zeit nicht ökologisch nachhaltig, wie sich an Hand von Daten belegen lässt (siehe zum Beispiel „Towards climate sustainability in the academic system in Europe and beyond“, ALLEA 2022, DOI: 10.26356/climate-sust-acad). Im Angesicht der Klimakrise und weiterer ökologischer Krisen ist klar, dass ein Wandel hin zu ökologischer Nachhaltigkeit schnell und umfassend passieren muss – zu einem solchen Ziel bekennt sich zum Beispiel die Allianz der Wissenschaftsorganisationen. Die Frage ist daher: Auf welchen Ebenen im Wissenschaftssystem setzt man am besten an, um ein ökologisch nachhaltiges Wissenschaftssystem schnell zu erreichen?

Portraitfoto von Professorin Astrid Eichhorn
Astrid Eichhorn ist Professorin für Physik an der University of Southern Denmark und Mitglied der Präsidialkommission "Nachhaltigkeit" der DFG. privat

Maßnahmen zu ökologischer Nachhaltigkeit fallen in drei Kategorien: Die erste ist auch in anderen Sektoren relevant, zum Beispiel die Umstellung auf „grünen“ Strom. Die zweite ist zwar nicht spezifisch für das Wissenschaftssystem, aber betrifft Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Forschungsprozesse, wie die Reduktion des CO2-Fußabdrucks aus Flugreisen oder aus wissenschaftlichem Rechnen. Die dritte ist spezifisch für Forschungskontexte, zum Beispiel die Reduktion von Einmal-Plastik in Forschungslaboren oder der Ersatz klimaschädlicher Fluorgase in Detektoren der Teilchenphysik. Daher müssen sich Forschungsprozesse ändern und Wissenschaftlerinnen sowie Wissenschaftler ihre Arbeitsweise umstellen.

Somit ist die Frage: Wie erreicht man bei möglichst vielen Forscherinnen und Forschern gleichzeitig eine Bewusstseinsschärfung für die Problematik und eine darauf folgende Verhaltensänderung? Ein entscheidender Moment, um Forschungsprozesse ökologisch nachhaltiger zu machen, ist der, in dem Forschungsideen und -visionen konkretisiert werden zu Forschungsplänen. Dies ist in vielen Fällen der Moment, in dem ein Drittmittelantrag geschrieben wird. Eine verpflichtende Reflexion zur ökologischen Nachhaltigkeit in Forschungsanträgen ist daher der richtige erste Schritt.

"Nur sehr wenige andere Instrumente können in einem kurzen Zeitraum eine solche Breitenwirkung entfalten."

Für die Verankerung in Drittmittelanträgen sprechen auch zwei weitere Gründe, die auf der Wichtigkeit von Drittmitteln im Wissenschaftssystem beruhen.

Erstens arbeiten nur wenige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unabhängig von Drittmitteln; über ihre Maßnahme erreicht die DFG somit, dass eine Vielzahl von Forschenden über Maßnahmen zur Verbesserung der ökologischen Nachhaltigkeit ihrer Forschungsprozesse reflektieren. Nur sehr wenige andere Instrumente können in einem kurzen Zeitraum eine solche Breitenwirkung entfalten.

Zweitens bedeutet der hohe Stellenwert von Drittmittelerfolgen im Wissenschaftssystem, dass die Maßnahme eine Hebelwirkung hat: Wo beispielsweise Anfragen zur Verbesserung der ökologischen Nachhaltigkeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bei ihren Universitätspräsidentinnen und -präsidenten bisher niedrige Priorität hatten, wird das Argument, dass ökologische Nachhaltigkeit für Drittmittelanträge relevant wird, bestimmt auch Prioritäten auf Leitungsebene verschieben.

Weiterhin ist klar, dass ökologische Nachhaltigkeit für eine Molekularbiologin anders erreicht wird als für eine Astronomin oder einen Theologen. Deshalb ist es wichtig, disziplinspezifisch Best-Practise-Beispiele zusammenzutragen. Hierfür sind die DFG-Fachkollegien geeignet – eine zusätzliche Zusammenarbeit mit Fachgesellschaften läge hier auf der Hand.

Damit die Maßnahme der DFG allerdings gelingen kann, ist entscheidend, dass sie von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nicht als zusätzliche, aufwändige Hürde beim Antragschreiben wahrgenommen wird. Daher sind ein guter Leitfragenkatalog und eine aktuelle (internationale) Sammlung von Best-Practise-Beispielen wichtige Instrumente, mit denen die DFG eine gelungene Reflexion unterstützen kann. Dann kann die Reflexion tatsächlich den dringend benötigten Wandel hin zu ökologischer Nachhaltigkeit in Forschungsprozessen einleiten.


Contra

"One apple a day keeps the doctor away." Wer wollte dieser Weisheit widersprechen? Am Nutzen von CO2-Emissionsreduktionen dürfte es unter Forschern ebenso wenig Zweifel geben wie an der gesundheitsfördernden Wirkung von Äpfeln. Doch der Senatsbeschluss der DFG vom 24. März 2023 geht weiter.

Die Präsidialkommission schlägt "für alle DFG-Förderprogramme die Aufnahme einer verpflichtenden Reflexion der Antragstellenden zu umwelt- und ressourcenschonenden Vorgehensweisen im Forschungsprozess" vor. Zwar erwähnt die DFG die Freiheit der Forschung. Doch macht sie an anderer Stelle klar: "Zu den entsprechenden Ausführungen der Antragstellenden, die […] mit in die Urteilsbildung zum Antrag eingehen können, sollen in Einzelfällen […] Rückfragen möglich sein." [Hervorh. d. Verf.] Daraus folgt, dass die Pflichtaussagen zur Nachhaltigkeit zur Ablehnung eines Antrags führen können.

In unserem Land gelten strenge Gesetze, die eine Benachteiligung auf Grund von Rasse, Religion oder sexueller Orientierung verbieten. Deshalb gelten einschlägige Fragen als unangebracht und sind in Bewerbungsgesprächen oder Anträgen tabu. Was aber auf Religionsfreiheit zutrifft, muss auch für politische Gesinnung gelten! Bei genauem Hinsehen zeigt sich nämlich, dass die Nachhaltigkeitsfrage Antragsteller de facto zu einer Offenlegung ihrer politischen Überzeugungen und Gutachter zur politischen Bewertungen nötigt.  Ein fiktives Beispiel möge dies verdeutlichen.

Stellen wir uns vor, ein Forscher beantrage ein Projekt, für dessen Bearbeitung in jedem Quartal der dreijährigen Laufzeit eine Dienstreise nach Neuseeland notwendig sei. Ein solches Projekt dürfte in die Kategorie "extreme Emissionen" fallen und besondere Aufmerksamkeit von Gutachtern und Gremien auf sich ziehen. Um die politische Dimension zu erkennen, stellen wir die Frage: Wie würden zwei Antragsteller mit gegensätzlichen politischen Gesinnungen ihre "knappe Reflexion" zu den zwölf Neuseelandreisen formulieren? Statt der Begriffe links und rechts bezeichnen wir den einen Antragsteller als sozial-ökologisch und den anderen als liberal-konservativ.

Portraitfoto von Professor André Thess
André Thess ist Professor für Energiespeicherung an der Universität Stuttgart und Direktor des Instituts für Technische Thermodynamik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt.

"Unabhängig von Mutmaßungen hätte die DFG die Bewilligung unter den Vorbehalt einer Offenlegung der politischen Gesinnung gestellt."

Der sozial-ökologische Antragsteller könnte formulieren: "Die durch meine Dienstreisen nach Neuseeland emittierten 48* Tonnen CO2 werde ich durch CO2-Kompensation ausgleichen, so wie es das Klimaschutzgesetz meines Bundeslandes sinnvollerweise vorsieht. Nach Abschluss des Projekts besteht keine weitere Notwendigkeit für emissionsträchtige Reisetätigkeit. Zur Verringerung meiner persönlichen Emissionen werde ich in den darauffolgenden drei Jahren an interkontinentalen Konferenzen nur im Onlinemodus teilnehmen."

Der liberal-konservative Antragsteller könnte schreiben: "Durch Verzicht auf Stilllegung der letzten drei Kernkraftwerke hätte Deutschland während der Laufzeit meines Projekts 45 Millionen Tonnen an CO2-Emissionen einsparen können. Das entspricht einer Million DFG-Projekte mit meinem Reiseumfang oder zwölf Millionen Neuseelandflügen. Angesichts solch klimaschädlicher politischer Weichenstellung halte ich es für unangemessen, Antragstellern kleinteilige Reflexionen zur Emission ihrer DFG-Projekte abzuverlangen."

Beide Stellungnahmen erfüllen die Anforderungen der DFG an eine "Reflexion": Sie enthalten sowohl wissenschaftliche Fakten über CO2-Kompensation beziehungsweise CO2-Einsparung als auch persönliche Meinungen, in denen die Antragsteller politische Leitplanken befürworten ("sinnvollerweise") beziehungsweise ablehnen ("unangemessen").

Der Umgang der DFG mit diesen hypothetischen Stellungnahmen gehört ins Reich der Spekulation. Es ist jedoch zu vermuten, dass die Chancen des zweiten Antrages geringer sind als des ersten. Unabhängig von Mutmaßungen hätte die DFG die Bewilligung unter den Vorbehalt einer Offenlegung der politischen Gesinnung gestellt. Dies dürfte im besten Fall problematisch und im schlimmsten Fall rechtswidrig sein.

Was würde passieren? Würden sich Antragsteller nicht schon beim Verfassen des Antrages zu Opportunismus genötigt fühlen und vorsorglich die politisch korrekte Antwort geben? Im Endeffekt würden Wissenschaftler durch übergriffige Fragen in Gewissenskonflikte gebracht. Ich bin deshalb der Meinung, dass verpflichtende Nachhaltigkeitsreflexionen nicht der richtige Weg zur Emissionsreduktion sind.

* Der Einfachheit halber wird für jede Flugreise nach Neuseeland eine Entfernung von 2 x 20.000 km = 40.000 km, 3 kg Kerosin und 10 kg CO2 pro 100 km und somit (ohne „non-CO2-effects“) eine  CO2-Emission von 4 Tonnen angenommen.

Zum DFG-Beschluss

Forschung & Lehre 1/24

Dies ist ein Artikel aus der Januar-Ausgabe von Forschung & Lehre.

Das Schwerpunkt-Thema der Ausgabe ist "Frieden" mit mit Beiträgen von:

Jörn Leonhard, Manuel Fröhlich, Stephan Stetter und Olaf L. Müller

Weitere interessante Beiträge über Hochschule und Wissenschaft aus Forschung & Lehre 1/24 lesen Sie hier.

1 Kommentar

  • Markus Lienkamp Liebe Kollegin Eichhorn, Sie sprechen von „ökologischer Nachhaltigkeit“ und bringen danach überwiegend Beispiele zu CO2-Vermeidung. Nachhaltigkeit bedeutet aber in der Wissenschaft einen Ausgleich von Ökologie, Ökonomie und Sozialem. Zudem verengen Sie die Ökologie zu CO2. Ökologie umfasst aber wesentlich mehr Aspekte. Schade, dass der Begriff Nachhaltigkeit so verbogen wird.