Gentechnik
EU möchte Patentverbot für gentechnisch veränderte Pflanzen
Genetisch veränderte Nutzpflanzen sind umstritten und politisch Verantwortliche befürchten, dass die EU noch weiter zurückfällt, wenn sich Industrie und Umweltschützer nicht bald auf Regeln einigen. Das scheint nun dem Lebensmittelsicherheitsausschuss des Europäischen Parlaments (ENVI) gelungen zu sein. Am 24. Januar stimmten die Abgeordneten für eine Änderung des Kommissionsvorschlags zur Aktualisierung der EU-Vorschriften. Diese sieht vor, die Patentierung von Pflanzen zu verbieten, die mithilfe neuer genomischer Techniken (NGTs) verändert wurden.
Doch nicht alle sind damit zufrieden und halten es für eine "Scheinlösung", wie Eric Gall, stellvertretender Direktor der Lobbygruppe IFOAM Organics Europe. Seine Begründung: die Überarbeitung der EU-Richtlinie zu Biotechnologiepatenten würde mehrere Jahre dauern und das Europäische Patentübereinkommen müsse geändert werden, sagte er gegenüber Science Business, das darüber berichtete.
Patentfrage umstritten und komplex
NGTs sind Werkzeuge, mit denen die genetische Ausstattung eines Organismus verändert werden kann. Das geschieht ohne, dass fremdes genetisches Material oder welches von Organismen eingefügt wird, die sich in der Natur kreuzen können. Damit werden Pflanzensorten entwickelt, die verbesserte Eigenschaften wie Trockenresistenz oder Salztoleranz aufweisen oder weniger Pestizide und Düngemittel benötigen. Laut Gall von IFOAM, sollte es statt Patente auf NGT-modifizierte Pflanzen zu verbieten, eine gesetzliche Änderung geben, um "klarzustellen, dass genetisches Material und Merkmale, die durch konventionelle Züchtung oder in der Natur gewonnen werden können, in keinem Fall einem Patent unterliegen", sagte er zu "Science Business". IFOAM fordert deswegen, die Abstimmung im Plenum, die derzeit für Anfang Februar geplant ist, zu verschieben, damit diese Bedenken ausgeräumt werden können.
Auch Garlich von Essen, Generalsekretär des Saatgutindustrieverbandes Euroseeds, findet, dass das vorgeschlagene Patentverbot "viel mehr Differenzierung" erfordert zwischen Patenten auf Technologie und auf Merkmale und Pflanzen, die mit dieser Technologie gewonnen werden. Laut ihm bestehe "ein Konsens in der überwiegenden Mehrheit der Branche", dass kleine Unternehmen weiterhin in der Lage sein sollten, die Sorten ihrer Konkurrenten zu nutzen.
Von Essen findet, dass die EU das NGT-Dossier vorantreiben und die Patentierungsfrage zurückstellen sollte. Er befürwortet ein Abwarten bis zur Veröffentlichung des Kommissionsberichtes, in dem die Auswirkungen von Patenten auf den Zugang der Züchter zu genetischen Techniken, die Verfügbarkeit von Saatgut für Landwirte und die Wettbewerbsfähigkeit Europas evaluiert werden. Dies ist für 2026 vorgesehen, aber die Abgeordneten wollen, dass es auf 2025 vorgezogen wird.
Schlagabtausch von Industrie und Umweltschutz
Züchter und Landwirte befürchten, dass sich Patente nicht nur auf die Verfahren zur Erlangung bestimmter Merkmale erstrecken, sondern auch auf die Merkmale und die Pflanzen selbst. NGTs mögen die Sache beschleunigen, aber diese Eigenschaften könnten auch durch konventionelle Züchtungsmethoden eingeführt werden. Wenn die Rückverfolgbarkeits- und Kennzeichnungspflicht für NGT-veränderte Pflanzen abgeschafft wird, befürchten Züchter und Landwirte, dass sie gezwungen sein werden, Lizenzvereinbarungen mit großen Unternehmen zu unterzeichnen, um Saatgut zu verwenden, das das betreffende genetische Merkmal von Natur aus enthält oder das Ergebnis konventioneller Züchtung ist.
Mit herkömmlichen Methoden dauert es in der Regel zwölf Jahre, bis eine neue Nutzpflanzensorte auf den Markt kommt. Laut Gabino Sanchez, Direktor für Geschäftsentwicklung beim niederländischen Gen-Editing-Unternehmen Hudson River Biotechnology, lässt sich dieser Zeitraum mithilfe von Gen-Editing-Techniken jedoch auf drei Jahre verkürzen. Befürchtungen, dass große Unternehmen ihre Dominanz durch Patente ausbauen könnten, haben “nichts mit Gen-Editierung“ zu tun, so Sanchez. Aber diese Techniken befeuern diese Befürchtungen, da sie es ermöglichen, viel schneller mehr Sorten auf den Markt zu bringen. Während Sanchez nicht davon ausgeht, dass das vorgeschlagene Patentverbot die Innovation behindern wird. Sei laut ihm das eigentlich Problem, die NGT-Verordnung nicht zu aktualisieren.
"Für uns sind Biopatente von entscheidender Bedeutung"
Anne-Gaëlle Collot, Direktorin für industrielle Biotechnologie bei EuropaBio
"Jede Diskussion sollte im Kontext der Biopatentrichtlinie geführt werden, ganzheitlich sein und sich nicht nur auf einen Sektor konzentrieren", sagte Anne-Gaëlle Collot, Direktorin für industrielle Biotechnologie bei EuropaBio. Der Handelsverband der Gesundheits- und industrielle Biotech-Unternehmen befürchtet, dass die Entscheidungen hier einen Präzedenzfall für andere Sektoren schaffen werden. NGTs werden nicht nur in Pflanzen, sondern auch in Mikroorganismen eingesetzt, und das erste geneditierte Medikament wurde kürzlich zugelassen. "Für uns sind Biopatente von entscheidender Bedeutung", sagte Collot. Laut ihr schützen sie Investitionen großer und fördern den Zugang kleinerer Unternehmen zu Finanzmitteln.
Einsatz von NGTs veränderte Debatte maßgeblich
Die Debatte um die NGTs ist allerdings schon länger im Gange: Im Jahr 2018 entschied der europäische Gerichtshof, dass NGTs den gleichen Regeln unterliegen müssen wie alle gentechnisch veränderten Organismen. Doch im Jahr 2001, als die EU-Gesetzgebung zu Gentechnisch veränderte Organismen (GVO) verabschiedet wurde, gab es noch keine NGTs.
Der neue Gesetzesvorschlag unterteilt NGT-Anlagen in zwei Kategorien: stark veränderte Pflanzen und welche die weniger als zwanzig Mal verändert wurden. Letztere sind von den Regeln der GVO-Gesetzgebung ausgenommen. Die Industrie begrüßte diese Lockerung anders als Umweltschützer. Aber bislang waren sie sich einig, dass alle NGT-modifizierten Pflanzen im ökologischen Landbau verboten bleiben sollten. Das Parlament und der Rat könnten vor den EU-Wahlen in diesem Sommer noch eine endgültige Einigung über den Text erzielen, aber die Frage der Patente könnte statt Lösung auch zum Hindernis werden.
kfi