Stadtansicht aus Iran
picture alliance / EPA | ABEDIN TAHERKENAREH

Hochschulkooperationen
Wissenschaft im Ziel der iranischen Propaganda

Damit deutsche Hochschulen nicht für iranische Machtpolitik instrumentalisiert werden, müssen deutsche Forschende wachsam sein. Ein Gespräch.

Von Katharina Finke 17.11.2023

Die Kooperation mit Hochschulen im Iran ist laut Professorin Katajun Amirpur, Inhaberin des Lehrstuhls für Islamwissenschaft mit Schwerpunkt iranischer Sprach- und Kulturraum an der Universität zu Köln, ein zweischneidiges Schwert. Warum sie dennoch unabdingbar ist und was für Lösungen es gibt, verrät sie im Gespräch mit "Forschung & Lehre".

Forschung & Lehre: Haben Sie schon einmal mit Hochschulen im Iran kooperiert?

Katajun Amirpur: Mit einzelnen Wissenschaftlern. Und das waren Kooperationen, die ich nicht missen möchte. Sie liefen über ein vom DAAD finanziertes Format, das sich "Hochschuldialog mit der Islamischen Welt" nennt. Dabei haben wir zwei Summer beziehungsweise Winter Schools gemacht, sowie ein Seminar. Alles lief als "co-teaching" ab: ein Linguist unserer Universität, einer der Universität Teheran, einer der Universität Kurdistan in Sanandadsch und ich haben online unterrichtet. Thema war: "Linguistic and Ethnic Diversity in a Comparative Perspective." Vor allem der Austausch mit den Studierenden der Universität Kurdistan war super spannend.

F&L: Was sind die Schwierigkeiten bei Kooperationen mit Hochschulen im Iran?

Katajun Amirpur: Man muss sich gut überlegen, mit welchen iranischen Universitäten man kooperiert. Aber wenn wir hingehen und sagen, wir machen gar nichts mehr mit denen, dann boykottieren wir natürlich zum einen gerade die Institution, von der das größte Potenzial für Veränderung ausgeht. Zum anderen brauchen wir natürlich eine formale Übereinkunft über Kooperation, denn sonst können wir unsere Studierenden auch nicht zum Persisch-Lernen nach Iran schicken. Eine Iranistik ohne Kontakte nach Iran kann einpacken. Und wir wollen doch schließlich auch eine Länderkompetenz Iran in der Bundesrepublik haben. Die Leute müssen wir ja irgendwie ausbilden. Allerdings versuche ich gerade zu diversifizieren und bemühe mich um Kooperationen mit Tadschikistan. Aus genau diesem Grund. Hinzu kommt: mit manchen Universitäten Irans dürfen wir Deutschen gar nicht kooperieren.

F&L: Haben Sie ein Beispiel dafür?

Katajun Amirpur: Die Sharif Universität in Teheran, das MIT Irans. Sie steht, weil da die meisten Atomwissenschaftler Irans ausgebildet werden, auf den Sanktionslisten der EU. Das kann man natürlich nachvollziehen. Allerdings bedeutet es im Umkehrschluss nicht, dass alle dort gefährliches Gedankengut vertreten. Das Gegenteil ist der Fall. Von der Sharif Universität kam Maryam Mirzakhani, die erste Frau, die 2014 die höchste internationale Auszeichnung in Mathematik erhielt. Sie brachte das Regime in die Bredouille: Anlässlich ihres Todes brachen iranische Zeitungen die eiserne Regel, dass Frauen nicht ohne Kopftuch abgebildet werden dürfen. Studierende dieser Uni waren zudem stark in der Reformströmung des 2. Khordad im Jahre 2009 vertreten. Auch bei den Protesten, de im vergangenen Oktober durch die Ermordnung von Jina Mahsa Amini ausgelöst wurden, standen sie an vorderster Front. Sie haben sich der staatlich verordneten Geschlechtertrennung in der Mensa widersetzt. Deshalb wurde die Uni dann von Regime-Einheiten gestürmt. Und solchen Leuten verwehren wir die Anerkennung, indem wir sie pauschal boykottieren?

"Die Studierenden in Iran dürsten nach Kontakt."

F&L: Wie gehen Sie mit dieser Situation um?   

Katajun Amirpur: Gemeinsam mit meinem Kollegen Dr. Jan-Felix Engelhardt habe ich in dem Fall eine Unterstützungskampagne für die Sharif Universität ins Leben gerufen. Wir haben einen Offenen Brief an Annalena Baerbock formuliert, der von hunderten von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterschrieben wurde. Und unsere Außenministerin darin aufgefordert, dass sie sich stärker in Solidarität mit den Studierenden und Forschenden der Sharif Universität positioniert.

F&L: Was sind Lichtblicke hinsichtlich der Forschung im Iran?     

Katajun Amirpur: Es gibt viele positive Erfahrungen. Es ist wichtig, dass wir mit Neugierde nach Iran gehen und nicht die gesamte dortige Wissenschaftslandschaft als reaktionär und zum Regime gehörig abstempeln. Es ist keineswegs so, dass an iranischen Hochschulen alles und jede und jeder gleichgeschaltet ist. Forschende haben sich Nischen geschaffen und Freiräume erkämpft. Sie unterstützen wir durch den Austausch mit ihnen. Es wird in Iran viel mehr rezipiert und es gibt Diskurse, die sehr viel offener sind, als wir es uns hier vorstellen. Es wäre fatal, ihnen zu signalisieren: Wir misstrauen euch insgesamt, weil ihr dieses Regime habt.

F&L: Was sind die Vorteile bei Kooperationen mit iranischen Hochschulen?

Katajun Amirpur: Iranerinnen und Iraner können dadurch nach Deutschland kommen. Vielfach lernen sie dadurch andere Perspektiven kennen, zum Beispiel innerhalb der Islamischen Theologie. In Deutschland bildet sich gerade ein Schwerpunkt in Islamisch-theologischer Genderforschung heraus. Wie hier neu nachgedacht wird über beispielsweise das Frauenbild in der Prophetentradition, kann Impulse liefern.

Die Studierenden in Iran dürsten nach Kontakt. Ein Germanist der Uni Köln, der in Iran unterrichtet hat, berichtete begeistert, wie gut vorbereitet und interessiert die Studierenden in seinen Seminaren waren. Und wie gut sie Deutsch konnten. Das hat sehr verwundert. Wir haben ja nicht mal ein Goethe-Institut in Teheran, weil es mit der Kooperation so schwierig ist. Vielleicht darf ich in diesem Zusammenhang Jürgen Habermas zitieren, der 2009 in Iran war und danach der FAZ im Gespräch sagte: "Wenn man mit kleinem geistigen Gepäck von Westen nach Osten reist, tritt man in die übliche Asymmetrie der Verständigungsverhältnisse, die für uns die Rolle der Barbaren bereithalten: Sie wissen mehr über uns als wir über sie". 

F&L: Was sind Nachteile bei deutschen Kooperationen mit iranischen Hochschulen?

Katajun Amirpur: Sie werden oft für die Propaganda des Regimes missbraucht. Auf den Webseiten geben die Universitäten im Iran nämlich gerne damit an, mit wem sie alles zusammenarbeiten und es folglich nicht stimme, dass sie isoliert würden. Und hinzu kommt: Es sind natürlich sind nicht alle Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen an iranischen Hochschulen regimetreu, nicht einmal die Dekane. Andererseits kommt man als 'outspoken critic' auch nicht in hohe Positionen.

"Über politische Verstrickungen kann man oft mehr herausfinden, wenn man in der Lage ist, eine persische Suchmaschinenabfrage durchzuführen."

F&L: Von so einem Missbrauchsfall berichtete jüngst die "taz": der Fall der University of Religions and Denominations (URD) in Qom – was ist Ihre Einschätzung dazu?

Katajun Amirpur: Ich hatte durch ein gemeinsames Graduiertenkolleg mit Doktorandinnen und Doktoranden von anderen Universitäten zu tun, die an der besagten iranischen Universität zu Workshops waren. Sie haben durchaus interessante Dinge berichtet, zum Beispiel das dort zum Teil sehr subversives, progressives Gedankengut formuliert wird. Selbst dort sind also nicht alle reaktionär. Für uns ist es wichtig das mitzubekommen. Außerdem werden von deutschen Doktorandinnen und Doktoranden und Professorinnen und Professoren gute Impulse nach Iran getragen. Durch den Austausch entsteht größere Offenheit – was der Hintergrund für die Initiative auf deutscher Seite war. Doch wenn die URD eng mit den Revolutionsgarden verbandelt ist, kann sie natürlich kein Kooperationspartner sein.

F&L: Was könnte bei der Auswahl der Kooperationspartner verbessert werden?

Katajun Amirpur: Länderkompetenz. Wir an unserem Institut für Sprachen und Kulturen der islamisch geprägten Welt können im Vergleich zu anderen Fachbereichen besser einschätzen, mit wem man sich austauschen kann und mit wem besser nicht. Deswegen würde ich von den deutschen Forschenden, die mit Universitäten und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Iran kooperieren wollen, fordern, ihrer 'due diligence' stärker nachzukommen. So zum Beispiel, sich die persischen Veröffentlichungen der potentiellen Kooperationspartnerinnen und -partner anzuschauen, nicht nur deren englische Publikationen, da diese häufig einen anderen politischen Grundton anschlagen. Über politische Verstrickungen kann man oft auch mehr herausfinden, wenn man in der Lage ist, eine persische Suchmaschinenabfrage durchzuführen.  

F&L: Was können deutsche Hochschulen und Forschungseinrichtungen für die Wissenschaftsfreiheit im Iran tun?

Katajun Amripur: So gut wie nichts, außer sich solidarisch zeigen. Ich fürchte, wir haben zurzeit keinen Hebel mehr. Weder kann deutsche Politik da momentan groß etwas ausrichten, noch deutsche Hochschulpolitik.  

F&L: Gibt es genug Bewusstsein für diese Problematik in der deutschen Wissenschaftslandschaft?

Katajun Amirpur: Manchmal ja, manchmal nein. Manchmal agieren deutsche Professorinnen und Professoren ausgesprochen naiv in Bezug auf Iran. Da würde ich mir wünschen, dass sie sich stärker mit den Verhältnissen im Iran beschäftigen. Andererseits zeigt die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) ein Problembewusstsein für die Lage im Iran. So gab sie bereits am 5. Oktober 2022 eine Erklärung zur bereits beschriebenen Lage an den Universitäten ab, der Senat zeigte sich erschüttert und besorgt. Und erklärte seine Solidarität mit den Angehörigen iranischer Hochschulen.

"Die deutsche Politik muss dafür sorgen, dass mehr Visa erteilt werden und dass diese schneller ausgestellt werden. Im Moment werden Termine für das Vorsprechen an der deutschen Botschaft in Teheran auf dem Schwarzmarkt verhökert, weil es so schwierig ist, offiziell einen Termin zu bekommen."

F&L: Gibt es Ihres Wissens nach Stipendienprogramme für geflüchtete iranische Studierende und Forschende?

Katajun Amripur: Ja, das Hilde Domin-Programm vom DAAD und die Patrick Schwarz-Initiative der Humboldt-Stiftung. Mit Neda Soltani hat die HU Berlin jemanden, die sich nicht nur, aber speziell in Iran extrem gut auskennt, und an ihrer Uni für geflüchtete Forschende zuständig ist. Sie kann man auch fragen, ob eine von iranischen Hochschulen für ein Stipendium vorgeschlagene Person möglicherweise mit dem Regime verbandelt ist. Neda Soltani erzählte bei einer durch die Abteilung Internationale Wissenschaft organisierten Veranstaltung der Universität Köln, dass sich manche iranische Promovierende und Forschende nicht auf Programme für gefährdete Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bewerben, weil sie Angst haben, dann in Deutschland neben regimetreuen Personen zu sitzen, die sie anschwärzen. Das müssen wir verhindern.

Also, 'long story, told short': Austausch mit einzelnen Forschenden ist wichtig und muss passieren. Aber 'due diligence' steht an erster Stelle. Manche Stipendiengeber in Deutschland setzen jedoch so sehr auf Wandel durch Handel, dass sie unüberlegte Kooperationen eingehen und sich von Universitäts-Rektoren in Iran Kandidaten vorsetzen lassen.

F&L: Wie kann Politik und Hochschulen in Deutschland Menschen aus dem Iran unterstützen, die gegen das Regime protestieren oder Repressalien erfahren?

Katajun Amirpur: Die deutsche Politik muss dafür sorgen, dass mehr Visa erteilt werden und dass diese schneller ausgestellt werden. Im Moment werden Termine für das Vorsprechen an der deutschen Botschaft in Teheran auf dem Schwarzmarkt verhökert, weil es so schwierig ist, offiziell einen Termin zu bekommen. Die Hochschulen selbst können nur das tun, was alle Normalsterblichen in Deutschland auch tun können. Und zwar das, was die Protestbewegung im Iran über Social Media der iranischen Diaspora mitgegeben hat in den vergangenen Monaten. Von dort wurde kommuniziert: Seid unser Sprachrohr, unsere Verstärker im Ausland! Das hilft und schützt uns. Vor diesem Hintergrund hatten wir uns als Universität zu Köln im März mit dem Platzieren einer großen Unterstützungs-Botschaft in der Galerie des Hauptgebäudes solidarisch erklärt. Dort hieß es: "Für Wissenschafts- und Meinungsfreiheit: Wir solidarisieren uns mit den Studierenden und Wissenschaftler:innen in Iran."

F&L: Haben Sie einen Einblick in die Situation von Frauen und Demonstrierenden im Iran? Wie ist die Lage derzeit?

Katajun Amirpur: Der große Protest ist erst einmal wieder vorbei – als Folge der massiven Repression: Hinrichtungen, Verhaftungen, Folter. Er kann aber jederzeit wieder aufflammen. Und was wir aber nach wie vor viel sehen, ist: ziviler Widerstand. Wer aktuell aus Iran kommt, erzählt, dass kaum noch Frauen mit Kopftuch auf den Straßen zu sehen sind – als Akt des zivilen Widerstands. Und als Zeichen des Protests gegen das große Ganze, also die Islamische Republik als solche.