Im Gespräch
An der FU soll kein Platz für Diskriminierung sein

Der Präsident der FU Berlin will die Ängste der Studierenden anlässlich des Nahost-Konflikts ernstnehmen. Er plädiert für gemeinsame Gespräche.

Von Katharina Finke 10.12.2023

Forschung & Lehre: Gab es an der Freien Universität (FU) Berlin seit dem 7. Oktober antisemitische Angriffe?  

Professor Günter M. Ziegler: Angriffe hat es an der Freien Universität nicht gegeben, aber es erreichen uns vermehrt Beschwerden über Hetze und Hassbekundungen. Wir haben seit dem 9. Oktober eine sehr vielfältige Situation hier an der Universität. Am 3. November gab es die ersten Demonstrationen, eine von pro-palästinensischer Seite und eine Gegendemonstration von jüdisch-israelischer Seite. Diese fanden vor der Universität statt, nicht auf dem Campus. Die Freie Universität war nicht Veranstalterin der Demonstrationen, wir haben die Demonstrationen nicht genehmigt und auch keine Räumlichkeiten bereitgestellt: Auf dem Campus genehmigen wir keine politischen Demonstrationen. Sie wurden als Demonstrationen im öffentlichen Raum bei der Polizei angemeldet und durchgeführt, die Polizei hat sie begleitet. Wie sie abliefen, konnte man in den Sozialen Medien verfolgen. Nach allem was ich weiß, gab es keine strafrechtlich relevanten Vorfälle und keine Gefahrensituation, so dass die Polizei weder eingreifen noch die Demonstrationen abbrechen musste.

Portraitfoto von Günter M. Ziegler, Präsident der Freien Universität Berlin.
Der Mathematiker Günter M. Ziegler ist Präsident der Freien Universität Berlin. David Ausserhofer

F&L: Aber es gab pro-palästinensische Aktionen an der FU, oder?

Günter M. Ziegler: Es hat Flashmobs gegeben, die – wie bei Aktionen dieser Art üblich – nicht angemeldet waren. Sie sind nach meiner Einschätzung von manchen Medien unverantwortlich skandalisiert worden. Nach allem was ich weiß, haben sich Leute in Leichentüchern mit Pappschildern unter anderem mit Guterres-Zitaten auf den Boden gelegt. Ob das geschmackvoll ist, darüber kann man reden. Aber es war keine Aktion, für die wir, nach dem was wir wissen, hätten Anzeige erstatten müssen.

F&L: Wann erstatten Sie Anzeige?

Günter M. Ziegler: Wir erstatten Anzeige, wenn Aktionen zu Gewalt aufrufen und strafbar antisemitisch sind. Dazu gehören auch Schmierereien, die zu Hass und Gewalt aufrufen, das ist nicht akzeptabel. Unsere Linie ist da ganz klar: Sobald wir Kenntnis davon bekommen, erstatten wir Anzeige und wir haben auch schon mehrfach Anzeige erstattet, beispielsweise gegen die Betreiber eines Informationsstands, an dem der Holocaust relativiert wurde.

F&L: Können jüdische Studierende sich an der FU sicher fühlen?

Günter M. Ziegler: Ich hoffe, dass sie sich sicher fühlen können, und wir tun alles, was wir können, dass sie sich sicher fühlen. Denn die Freie Universität ist eine Gemeinschaft und es ist uns wichtig, wie wir miteinander umgehen. Dennoch fühlen sich einige von Antisemitismus bedroht und haben Angst, auch auf dem Weg zur und von der Uni. Es ist wichtig, das ernst zu nehmen. Das gilt auch für palästinensisch-arabische Studierende, die sich diskriminiert fühlen. Wir führen hier an der FU sehr viele intensive und wertvolle Gespräche. Das ist auch Aufgabe der Diversity-Stabsstelle und des neuen Antisemitismus-Beauftragen. Aber auch ich und andere Mitglieder der Hochschulleitung setzen sich mit Studierenden zusammen, wir hören zu und versuchen zu unterstützen und zu lernen. Es gibt Gespräche mit Gruppen von Studierenden von beiden Seiten. Das finde ich wunderbar, weil da ein Austausch von Meinungen und Sichtweisen stattfindet, der verhärtete Standpunkte aufweichen kann. Demonstrationen, wie wir sie vor dem Campus und anderswo in Berlin hatten, helfen dabei nicht.

F&L: Nicht nur die Demonstrationen wurden in der Presse kritisiert, sondern auch ihre Äußerungen – wie gehen Sie damit um?

Günter M. Ziegler: Wir, die Hochschule und auch der Präsident, haben kein politisches Mandat, das heißt ich werde mich nicht öffentlich politisch äußern, auch nicht mit einer Meinung über die israelische Regierung, die ich privat haben könnte. Da halten ich und wir uns zurück. Das Statement, das wir am 9. Oktober gegeben haben, war ein Statement, das sich auf die langjährige und intensive Zusammenarbeit insbesondere mit der Hebrew University in Jerusalem bezog: Die Anfänge für die Kooperation reichen an der FU bis 1957 zurück. Das Statement bezog sich auf die akademische Zusammenarbeit, es nahm Bezug auf den Angriff, der auch ein Angriff auf diese Zusammenarbeit war. Und wir haben uns auf alle Opfer und Betroffenen bezogen, die unter der Gewalt in Nahost leiden. Das haben wir vielleicht nicht klar genug gemacht. Deswegen gab es Kritik. Wir haben uns aber nochmals dazu geäußert, und deutlich gemacht, dass wir das Leid in Gaza auch sehen und die Opfer des Krieges. 

F&L: Was haben Sie daraus gelernt und was wird die FU in Zukunft anders machen?

Günter M. Ziegler: Eine Menge. Dazu gehört vor allem die Kommunikation. Wir haben gelernt, wie wichtig es ist, in viele Gespräche zu gehen und sichtbar zu machen, was wir wahrnehmen. Wir haben auch einen ordentlichen Maßnahmenkanon gegen Antisemitismus und Rassismus vor uns. Ich habe aus Gesprächen mit jüdischen Studierenden sowie mit palästinensischen und arabischen Studierenden mehrere Agenda-Punkte mitgenommen, die wir berücksichtigen und umsetzen werden. Einige Dinge wurden sofort umgesetzt. Bei anderen, wie zum Beispiel einem größeren Lehrangebot zu Antisemitismus, geht das nicht von heute auf morgen.

Das Präsidium der Freien Universität Berlin hat seine Position gegen Hass und Diskriminierung in einer Rundmail vom 5. Dezember verdeutlicht. Zu finden ist der Text hier.