Zwei Menschen halten eine Israel-Flagge in Berlin in die Höhe.
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Krieg in Nahost
Wie es um Israels Universitäten steht

Wie ist die Lage an den Hochschulen in Israel? Ein Gespräch mit der Verwaltungsdirektorin am European Forum der Hebrew University in Jerusalem.

Von Katrin Schmermund 31.10.2023

Forschung & Lehre: Am 7. Oktober hat die radikalislamische Hamas Israel angegriffen. Wo waren Sie, als Sie von dem Angriff gehört haben, Frau Moatti?

Elisheva Moatti: Ich war mit meinem Mann zu Hause. Der Angriff fiel auf einen Samstag. Das ist in Israel unser freier Tag. Mein Mann arbeitet am Obersten Gericht in der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit. Eigentlich sollte er amerikanischen Rechtswissenschaftlern Jerusalem zeigen. Um 7.00 Uhr morgens bekamen wir einen Anruf, dass die Delegation wohl nicht kommen werde, weil es Alarme gebe. Wir haben den Fernseher angeschaltet und dann mitbekommen, was im Süden des Landes passiert. Man konnte nicht viel tun. Wir sind noch Blutspenden gegangen, weil dazu aufgerufen wurde. Danach haben wir den Rest des Tages am Bildschirm verbracht. Am Sonntag war ich dann das erste Mal an der Universität.

Eine Aufnahme von Elisheva Moatti
Elisheva Moatti ist Verwaltungsdirektorin am DAAD Center for German Studies am European Forum der Hebrew University in Jerusalem. Hier in Leiden, Niederlande. privat

F&L: Wie war dieser erste Tag nach dem Angriff an der Hochschule?

Elisheva Moatti: Der erste Tag nach dem Angriff war merkwürdig. Die Hochschule war fast leer. Uns wurde freigestellt, zur Universität zu kommen oder von zu Hause zu arbeiten. Ich hatte mich dazu entschieden, auf den Campus auf dem Mount Scopus in Jerusalem zu fahren. Ich hatte das Gefühl, dass mir diese Routine hilft, mit der Unsicherheit umzugehen. Es waren nur wenige Leute auf dem Campus – fast keine Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, kaum Studierende oder Leute in der Administration. Nach und nach sind immer mehr Menschen zurückgekommen. Israel ist jetzt drei Wochen im Krieg. Der Großteil, von denjenigen, die vor Ort sind, ist zurück auf dem Campus. Aber viele haben sich auch gefürchtet. Das Positive ist, dass die Universität durch die Corona-Zeit auf das mobile Arbeiten vorbereitet ist.

F&L: Wie hat die Hochschulleitung auf den Angriff reagiert?

Elisheva Moatti: Wir waren zum Zeitpunkt des Angriffs noch in den Semesterferien. Der offizielle Semesterstart wäre eine Woche später gewesen, am 15. Oktober. Wir sind über die Verschiebung des Vorlesungsbeginns, Möglichkeiten für Homeoffice und Sicherheitsmaßnahmen über WhatsApp-Nachrichten und Rundmails informiert worden. Eine Informationsveranstaltung von der Hochschulleitung hat es nicht gegeben. Auf Fakultätsebene wurde jeweils entschieden, wie die Vorgaben der Regierung umgesetzt werden können – auch, weil die Unterschiede zwischen den Fächern sehr groß sind. In den Geistes- und Sozialwissenschaften kann die Forschung zum Beispiel meist auch von zuhause weitergehen. In den Naturwissenschaften sind Forscherinnen und Forscher meist auf Labore angewiesen. Um im Blick zu halten, wie es allen geht, treffen wir uns innerhalb der Abteilungen und besprechen, welche Unterstützung Einzelne brauchen. Auch können wir jederzeit mit einem Universitätspsychologen sprechen. Wir versuchen den Universitätsalltag unter den besonderen Bedingungen so gut es geht aufrechtzuerhalten.

Diejenigen, die Reservedienst leisten, haben natürlich ganz andere Sorgen als die Frage, ob das Semester stattfinden wird. Elisheva Moatti

F&L: Wie viele internationale Studierende sind noch vor Ort?

Elisheva Moatti: In dem von mir als Geschäftsführerin geleiteten Programm "Contemporary Germany" haben wir zum Beispiel zehn internationale Studierende. Sie sind alle in ihre Heimatländer zurückgekehrt oder erst gar nicht eingeflogen. Viele, besonders die Erstsemester, hätten in der Woche vor Semesterbeginn kommen sollen. Sie haben ihre Flüge storniert und warten darauf, dass das Semester startet. Aber es sind nicht nur die internationalen Studierenden, die auf dem Campus fehlen. Viele Studierende und auch Lehrende sind in den Reservedienst der israelischen Armee einberufen worden. Nach Abfragen der Hochschulleitung waren es über die vergangenen Wochen fast 40 Prozent der Hochschulangehörigen, bei weiteren zehn Prozent wurde der Lebenspartner oder die Lebenspartnerin einberufen. Auch deshalb musste der Vorlesungsbeginn immer weiter verschoben werden, erst vom 15. Oktober auf den 22. Oktober, dann auf den 5. November und aktuell auf den 3. Dezember. Die Hochschulleitung hat den Studierenden aber zugesagt, dass das Studienjahr auf jeden Fall stattfinden soll, damit sie kein Studienjahr verlieren. Eventuell wird das Semester in die Sommermonate hinein verlängert, und die Prüfungsfristen werden gekürzt. Diejenigen, die Reservedienst leisten, haben natürlich ganz andere Sorgen als die Frage, ob das Semester stattfinden wird.

F&L: Können alle Bereiche der Universität genutzt werden?

Elisheva Moatti: Die Infrastruktur der Universität wurde nicht getroffen. Alle Gebäude können grundsätzlich genutzt werden. Es gibt aber Versammlungsbeschränkungen. Sollte es zu einem Raketen-Einschlag kommen, sollen so wenige Menschen wie möglich verletzt werden. Auf dem Campus selbst ist noch nichts passiert, aber alle kennen Personen, die ermordet oder verschleppt wurden. Die Zahl der Personen, die sich in Veranstaltungen aufhalten dürfen, wird an die Gefahrenlage angepasst. Aktuell dürfen nicht mehr als 100 Personen in einem Raum sein. Daher ist die Bibliothek gerade geschlossen, es können nur Bücher ausgeliehen werden. Darüber hinaus gibt es keine Beschränkungen, weil sich der Campus der Universität über eine sehr große Fläche verteilt.

F&L: Wie haben Sie die Unterstützungsangebote und Solidaritätsbekundungen von Hochschulen aus dem Ausland wahrgenommen?

Elisheva Moatti: Sie sorgen sich und schicken Nachrichten. Das hilft. Unsere Forschungsprojekte laufen weiter, wenn wir dafür nicht gerade reisen müssen, weil wir nicht wissen, ob wir wieder zurückkehren können. Wir sagen aber nichts ab. Allenfalls verschieben wir Termine. Es tut gut, diesen engen Austausch zu haben und zu spüren, dass die Kolleginnen und Kollegen gedanklich bei uns sind.

F&L: Sie haben bereits Routinen angesprochen – was hilft Ihnen persönlich, um mit der Situation umzugehen?

Elisheva Moatti: Was hilft, ist sich gegenseitig zu helfen. Die Zivilgesellschaft verteilt Lebensmittel und Kleidung und unterstützt etwa bei Babysitter-Diensten. Wir sind zusammengewachsen in dieser für den Staat Israel existenziellen Krise. In der Landwirtschaft, besonders in den an den Gazastreifen grenzenden Gebieten und im Norden fehlt Personal in der Landwirtschaft. Jeden Tag fahren Busse mit freiwilligen Helferinnen und Helfern in diese Gebiete, um bei der Ernte zu helfen. Betriebe und Firmen geben ihren Beschäftigten frei, damit sie helfen können.

Wir hoffen, dass wir sehr, sehr bald wieder zum normalen Lehrbetrieb zurückkehren können. Elisheva Moatti

F&L: In Deutschland haben seit dem Angriff antisemitische Übergriffe auf Menschen jüdischen Glaubens zugenommen. Waren  bereits Studierende Ihrer Universität betroffen und sind Sie dazu im Austausch mit den Hochschulen in Deutschland?

Elisheva Moatti: Ich habe es persönlich von Studierenden in Berlin gehört, die an der Freien Universität sind und inzwischen einen großen Bogen um einzelne Stadtteile wie Neukölln schlagen. Mit der Hochschulleitung selbst stehen wir nicht in Kontakt, aber mit unseren Ansprechpersonen in den verschiedenen Abteilungen. Wir haben aber gehört, dass sie sich wunderbar um unsere Studierenden kümmern und ihnen auch psychologische Betreuung angeboten haben. Ich wünsche mir, dass sich Hochschulen in allen Fällen, in denen so etwas passiert, klar positionieren und antisemitische Übergriffe verurteilen.

F&L: Haben Sie Kontakt zu Hochschulangehörigen in den palästinensischen Gebieten?

Elisheva Moatti: Grundsätzlich wenig und im Moment noch weniger. Wir haben arabische Studierende, die in Ramallah leben. Mit ihnen sind wir im Austausch. Die Lage ist angespannt. Beide Seiten haben Ängste. Auf dem Campus sehe ich vorwiegend arabische Studierende, die die Universität als geschützten Freiraum nutzen, was ich gut finde. Das sollte eine Universität leisten. Einen Raum zu bieten, an dem man sich treffen und frei sprechen kann.

F&L: Wie blicken Sie auf die kommenden Wochen und die Auswirkungen des Angriffs auf das Universitätsleben?

Elisheva Moatti Niemand weiß, wie die kommenden Wochen aussehen werden. Wir hoffen, dass wir sehr, sehr bald wieder zum normalen Lehrbetrieb zurückkehren können und Veranstaltungen mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Ländern wie Deutschland und Exkursionen für die Studierenden durchführen können. Die Studierenden fragen, ob es möglich sein wird. Wir sagen „Ja“ und bereiten uns auf verschiedene Szenarien vor, wie wir nachholen können, was wir jetzt verschieben müssen.

F&L: Sie sind immer wieder auch in Deutschland und haben Bekannte dort. Gibt es etwas, dass Sie uns aus Ihrer Perspektive noch für das Verständnis der Situation mitgeben können?

Elisheva Moatti: Häufig ist es schwierig, die Sicherheitslage in Israel einer Person zu vermitteln, die noch nie länger in Israel gewesen ist. Das ist etwas Grundsätzliches, tritt jetzt aber im Konflikt noch stärker auf. Wenn man die Berichterstattung in Deutschland verfolgt, könnte man meinen, dass man hier nicht leben kann. Das Bild ist aber differenzierter und die Gefahr räumlich begrenzt. Diejenigen, die hier waren, wissen das. Man stellt sich auf die Gefahrenlage ein. Das bedeutet nicht, dass es keine Gefahr gibt, aber wir haben gelernt damit zu leben und uns darauf einzustellen. Die Gefahr ist hier in Jerusalem zum Beispiel aktuell nicht so groß wie in Tel Aviv. Es werden kaum Raketen auf Jerusalem abgeschossen. Ich glaube, wir haben schon über eine Woche keinen Alarm mehr gehabt. Falls doch gehen wir brav in den Bunker, von denen mehrere auf dem Campus sind. Ich war seit dem Irak-Krieg 1990 nicht mehr in einem Bunker.