In der Universitätsbibliothek der Uni Leipzig sitzen Studierende an mit Computern bestückten Tischen und lernen eigenständig.
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Studium
Wissenschaftsrat empfiehlt ganzheitliche Lehre

Ein Studium müsse Studierende befähigen, komplexe Probleme zu bewältigen, findet der Wissenschaftsrat. Die Lehre müsse dafür umgestaltet werden.

02.05.2022

Der Wissenschaftsrat hat am Montag im Nachgang zu seiner Frühjahrssitzung "Empfehlungen für eine zukunftsfähige Ausgestaltung von Studium und Lehre" veröffentlicht. In dem 136 Seiten umfassenden Papier empfiehlt der Rat, das Hochschulstudium als "ganzheitlichen Bildungsprozess" zu gestalten. Die Studierenden sollen dabei aktiv mitwirken und lernen, eigenständig mit bevorstehenden komplexen Problemen und Herausforderungen umzugehen. Das Studium müsse sie befähigen, stetig dazulernen, zu kooperieren, vernetzt zu denken und auch ungewohnte Wege zu gehen. Denn die Studierenden erwarteten gesellschaftliche, politische, technologische und ökologische Umbrüche, an deren Bewältigung sie nach Ansicht des Wissenschaftsrates maßgeblich beteiligt sein werden.

Um geeignete Rahmenbedingungen für ein solches Studium zu schaffen, müssen demnach alle Beteiligten grundlegend umdenken. "Wir müssen an vielen Stellen ansetzen: bei den Lehrformaten und der Studienorganisation, bei den Prozessen an Hochschulen sowie den Steuerungsinstrumenten im Hochschulsystem", sagte Professorin Dorothea Wagner, die Vorsitzende des Wissenschaftsrats. Erforderlich seien dafür auch bessere Betreuungsrelationen und zusätzliche Personalressourcen in der Hochschullehre. Die Länder müssten die notwendigen finanziellen und rechtlichen Rahmenbedingungen schaffen und insbesondere überprüfen, ob die geltenden Curricularnormwerte und Lehrverpflichtungsverord­nungen noch zeitgemäß seien.

Weniger Pflicht, mehr Eigenständigkeit im Studium

Die Hochschullehre soll laut Wissenschaftsrat künftig mehr Reflexion, Anwendung, Diskussion und Interaktion enthalten. Es solle weniger verpflichtende Lehrveranstaltungen geben, stattdessen mehr Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten im Studienverlauf sowie mehr Zeit für "angeleitetes Selbststudium" und für selbstbestimmtes Lernen, einzeln oder in Gruppen. Begleitet werden solle dieses eigenständige Lernen durch ein "akademisches Mentorat" in Form von regelmäßigen Reflexions- und Feedbackgesprächen zwischen Lehrenden und Studierenden, ebenfalls einzeln oder in Gruppen.

Prüfungen sollten so gestaltet werden, dass sie ermitteln, ob Studierende ihre Kenntnisse nicht nur reproduzieren, sondern auch anwenden und Probleme selbstständig bearbeiten können. Bei dieser Umstrukturierung und Neuorganisation der Hochschullehre müssten Studierende und Lehrende neue Methoden erproben, bei denen Um- und Irrwege sowie Nachbesserungen erlaubt sein müssten, so Wagner. Sie empfahl eine "produktive Fehlerkultur".

Der Wissenschaftsrat erklärte, dass seine Empfehlungen zwar nur schrittweise umgesetzt werden könnten, die Entwicklungen aber notwendig seien und "jetzt" angestoßen werden müssten.

Auf seiner Sitzung vergangene Woche hat der Wissenschaftsrat zudem acht Anträge zur Förderung von Forschungsbauten als förderwillig befunden sowie vier Akkreditierungsverfahren abgeschlossen. Ursprünglich hatte der Wissenschaftsrat geplant, auch "Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Gesundheitsfachberufe" herauszugeben. Über diese habe er sich jedoch in der ersten Lesung noch nicht einigen können, der Diskussionsbedarf dazu sei groß. Die Empfehlungen würden daher in einer der nächsten Sitzungen wieder aufgegriffen.

Der Wissenschaftsrat ist das wichtigste wissenschaftspolitische Beratungsgremium in Deutschland. Er berät Bund und Länder seit 1957 bei der inhaltlichen und strukturellen Weiterentwicklung des Hochschulsystems.

Offener Brief für mehr Bildungsinvestitionen

Angesichts der Haushaltsdebatten im Bund hatten vergangenen Freitag Studierendenvertreter vom freien zusammenschluss von student*innenschaften (fzs) sowie zahlreiche weitere politische Bildungsakteure in einem gemeinsamen offenen Brief deutlich mehr Investitionen im Bildungsbereich gefordert und zurückliegende Einsparungen sowie verschleppte Investitionen scharf kritisiert. Sie beklagten unter anderem schlechte Betreuungsverhältnisse und mangelnde Lehrkräfte und forderten, für die notwendigen finanziellen Mittel die Schuldenbremse auszusetzen. Der Brief richtete sich an den Bundestag, die Kultus- und Wissenschaftsministerien sowie das Bundesbildungs- und finanzministerium.

ckr