Das Foto zeigt einen Geschäftsmann, der Kurven auf einer Glasscheibe analysiert.
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Wirtschaftswissenschaften
Die Folgen der Digitalisierung

Oft wird vor dramatischen Folgen der Digitalisierung für Arbeitsmarkt und Ökonomie gewarnt. Womit ist in den kommenden Jahren zu rechnen?

Von Johannes Becker 29.12.2018

Auch im kommenden Jahr 2019 wird ein zentrales Thema in den Wirtschaftswissenschaften die zunehmende Digitalisierung der Wirtschaft sein. Handy, Computer, Fernseher, Auto und demnächst Küchengeräte – im Haushalt ist die Digitalisierung im vollen Gange –, und gleiches gilt für die Produktionsseite der Wirtschaft. Selbst im Agrarsektor spielt Big Data mittlerweile eine zentrale Rolle.

Die Digitalisierung ist allgegenwärtig und vielfach diskutiert und beschrieben – und doch ist nach wie vor unklar, welchen Einfluss diese auf die Prozesse und Funktionsweise unserer Wirtschaft nimmt. Hier hat die (akademische) Ökonomik eine wichtige Funktion, zum Verständnis beizutragen.

Vor mehr als 30 Jahren hat der Ökonom und Nobelpreisträger Robert M. Solow den Satz geprägt: "You can see the computer age everywhere but in the productivity statistics." Und in der Tat gilt auch für die Digitalisierung, dass ihr ein höheres Potenzial zur Veränderung beigemessen wird, als sich zur Zeit schon in den Daten niederschlägt. Am deutlichsten wird dies wohl bei den Vorhersagen über den Einfluss der Digitalisierung und Robotisierung auf die Arbeitsmärkte. Mit der Vollbeschäftigung sei es demnächst vorbei, kann man mitunter lesen, weil Roboter und Artificial Intelligence eine große Anzahl menschlicher Jobs ersetzen.

Digitalisierung: Das Dilemma der akademischen Forschung

Die akademische Forschung hat den Anspruch, solcher Spekulation belastbare Evidenz entgegenzustellen, gerät dabei aber mitunter in ein Dilemma. Denn wer nicht spekulieren will, kann nur auf beobachtbare Daten zurückgreifen, die naturgemäß nicht aus der Zukunft stammen. Trotz fortschreitender Digitalisierung hat beispielsweise Deutschland aber zurzeit eine historisch hohe Beschäftigungsrate. Wenn überhaupt hat die Robotisierung der Industrie eine Auswirkung auf die Lohnstruktur, nicht aber auf die Beschäftigungsrate. Da hier gerade am aktuellen Rand viel passiert, ist auch im kommenden Jahr damit zu rechnen, dass diese Forschung sehr viel Aufmersamkeit bekommen wird.

Als Konsequenz aus den dystopischen Vorhersagen zu Arbeitsplatzverlusten für breite Bevölkerungsschichten wird von einigen Beobachtern ein teilweise radikaler Umbau des Sozialstaats gefordert, unter anderem ein bedingungsloses Grundeinkommen.

Solche Vorschläge haben unter den wissenschaftlich arbeitenden ÖkonomInnen gar nicht so viele enthusiastische Befürworter. Doch die Frage, wie Sozialstaatsinstitutionen inklusive des Steuer- und Transfersystems das Leben der Menschen, unter anderem ihre Teilnahme am Arbeitsmarkt, beeinflusst, ist eine sehr relevante und wird auch 2019 intensiv erforscht werden. Dank deutlich verbesserten Datenzugangs ist gerade dieses Feld eines der aktivsten der letzten Jahre gewesen und verspricht es auch zu bleiben.

Marktmacht von "Superstar-Unternehmen"

Die Digitalisierung ragt auch in die Wettbewerbsökonomik hinein. Die technologischen Entwicklungen haben zur Entstehung sogenannter Superstar-Unternehmen geführt – fünf der sechs profitabelsten Unternehmen sind heute Tech-Firmen. Die jüngere Forschung legt nahe, dass diese Unternehmen über teilweise erhebliche Marktmacht verfügen. Die Analyse von Marktmacht ist nicht prinzipiell neu, aber die spezifischen Geschäftsmodelle erzeugen auch hier Forschungsbedarf.

So nimmt Google von den Nutzern seiner Suchmaschine kein Geld, gewinnt aber durch die Möglichkeit, Daten zu schöpfen und etwa für Werbung zu gebrauchen eine mutmaßlich marktbeherrschende Stellung. Diese sogenannten zweiseitigen Märkte (Google steht zwischen Werbetreibenden und Suchmaschinen-Nutzern) werden wohl auch in 2019 eine bedeutende Rolle in der Forschung spielen.   

Auch in der Makroökonomik spielt die Digitalisierung eine Rolle. Der Aufstieg von Superstar-Unternehmen, die zunehmende Bedeutung immaterialler Wirtschaftsgüter und die fortschreitende Deindustrialisierung in den entwickelten Ländern werden als mögliche Erklärung für die nun schon seit fast einer Dekade anhaltende Niedrigzinsphase genannt – eine substanzielle Herausforderung für die Geldpolitik. In diesem Zusammenhang muss auch die durch die Digitalisierung möglich gewordene vollständige Abschaffung des Bargelds genannt werden, die nicht nur politisch sehr kontrovers diskutiert wird, sondern auch interessantes Forschungsthema geworden ist.

Anstieg der Ungleichheit bei den Einkommen

Eine Folge dieser Entwicklungen ist auch ein deutlicher Anstieg der Ungleichheit in den Einkommen während der letzten 25 Jahre. Dies ist generell ein Problem, das unter anderem für die zunehmenden populistischen Bewegungen verantwortlich gemacht wird – die wiederum stark davon profitieren, das sich über digitale Plattformen und Social Media andere Kommunikations- und Marketingkanäle geöffnet haben. Eine besondere Herausforderung stellt dabei die regionale Ungleichheit dar, die sich in einem zunehmenden – politischen und ökonomischen – Stadt-Land-Gefälle äußert.

Die Schrumpfung einiger ländlicher Regionen und das Anwachsen der Städte und Metropolen ist ein säkularer Trend, der 2019 in der ökonomischen Forschung viel Aufmerksamkeit bekommen wird. Die Digitalisierung spielt auch hier eine treibende Kraft, da insbesondere das Angebot mit digitaler Infrastruktur (5G-Internetzugang) stark regional variiert.

Schließlich sieht sich die Steuerpolitik vor großen Herausforderungen durch die Digitalisierung gestellt. Bessere Datenverarbeitung bietet einerseits Vorteile bei der Steuerprüfung und -durchsetzung. Andererseits aber sind insbesondere Unternehmen mit digitalen Geschäftsmodellen schwer zu besteuern, und das gleich aus mehreren Gründen. Das zurzeit geltende System der Unternehmensbesteuerung tut sich schwer damit, den Gewinn aus immateriellen Wirtschaftsgütern (wie beispielsweise einem Patent, einem Algorithmus) einzelnen Unternehmensstandorten zuzuweisen.

Gleichzeitig ist es den Unternehmen durch digitale Technologie möglich, in Ländern aktiv zu sein, ohne dort physisch anwesend zu sein. Letzteres aber ist nach herkömmlichem internationalen Steuerrecht eine Voraussetzung dafür, gewinnsteuerpflichtig zu sein. Das Ausmaß der Gewinnverschiebung sowie mögliche Gegenmaßnahmen werden die Steuerforschung im Jahr 2019 maßgeblich beschäftigen.